Wilhelm Waibel hat Grenzen abgebaut
Seltene Ehrenbürgerwürde verliehen
Mit Ehrungen hat sich die Stadt Singen immer zurückgehalten. Die Ernennung von Wilhelm Waibel zum Ehrenbürger der Stadt war anlässlich des Neujahrsempfangs aber geradezu überfällig! Waibel hat mit seiner Aufarbeitung des Schicksals der Zwangsarbeiter Singen auf der politischen Weltbühne ankommen lassen. Die Entschädigung der Opfer hat er zum großen Thema werden lassen, das Otto Graf Lambsdorff später in Deutschland für Staat und Wirtschaft politisch aufgearbeitet hat! Die Städtepartnerschaft mit Kobeljaki ist Ausdruck des Bekenntnisses zur Geschichte und zur deutschen Vergangenheit. Heute wissen wir, für wen die kleinen Holzkreuze im Süden des Waldfriedhofs stehen. Unvergessen ist das Foto von Oliver Fiedler, als ein Überlebender dort vor seinem eigenen Totenkreuz stand! Auch dessen Geschichte hatte Waibel aufgearbeitet!
Waibel ist der Singener Geschichtsforscher! Immer wieder präsentierte er uns Journalisten überraschende Entdeckungen. Und er nahm uns auf eine Reise in die Vergangenheit mit! Er hatte sein Gedächtnis nie beim Eintritt in das politische Leben an der Kasse abgegeben! Als Bub war er schon als Ministrant in der Theresienkapelle hilfreich tätig. Das Schicksal der Mitmenschen und Vorgänger fesselten ihn. Aufarbeiten statt Vergessen war seine Devise. Und damit ist er ein exzellenter Ehrenbürger der Stadt. Ja, mit Ehrungen hat die Singen immer wieder Probleme gehabt. Prälat August Ruf war schon 1930 Ehrenbürger geworden. Das hatten ihm die Nazis aberkannt. Posthum wurde er erneut geehrt! 1955 wurde der Industrielle Walter Wiederhold aus Hilden zum Ehrenbürger ernannt. Er hatte Geld zum Ausbau des Widerholt-Weges zum Hohentwiel gespendet, denn er glaubte Konrad Widerholt, der Festungskommandant aus dem 30jährigen Krieg sei ein Vorfahre von ihm. Das war allerdings ein Irrtum. Mir geriet es zur Eselsbrücke für die richtige Schreibweise: Der Konrad war ein „harter Bursche“, deshalb hinten mit „t“. Und weil er gegen alles und alle erfolgreich kämpfte, gab es vorne ein einfaches „i“!
Ein „greifbarer“ Ehrenbürger war Apotheker Albert Funk am Kreuzensteinplatz. Ihn kannte ich noch hinter der Ladentheke! Hans-Constantin Paulssen war mir als Alu-Generaldirektor und Präsident des Arbeitgeberverbands schon präsent. Theopont Diez war mir ein väterlicher Freund. Pause mit Ehrungen in Singen! Als Bürgermeister Rüdiger Neef mit dem Goldenen Ehrenring verabschiedet wurde, wurde mir klar, dass sein Vorgänger Helmut Ruf auch sein direkter Ring-Vorgänger gewesen war! Damals wies ich OB Andreas Renner auf die fehlende Ehrungskultur der Stadt hin! Kein Ehrenbürger! 16 Jahre kein weiterer Ehrenring mehr! Wochen später rief Renner nach 21 Uhr aus der Gemeinderatssitzung an: Mit Dietrich H. Boesken habe die Stadt jetzt wieder einen Ehrenbürger. Ich solle es wegen meines Hinweises es als erster wissen. Der Gemeinderat hat über die eigene Ehrungskultur nachgedacht und gehandelt. Mit Wilhelm Waibel haben wir jetzt sogar zwei! Zwei Vorbilder!
Willi Waibel hat mit seiner Dankadresse Marken gesetzt, gerade das letzte Wort aufgenommen. Was wünscht man mit 81 Jahren für sich, seine Familie, seine Mitbürger: Frieden und Gesundheit! Waibel hatte viele Rollen im Leben ausgefüllt. Als apostrophierter „Ortsvorsteher vom Bruderhof“ waren wir miteinander auf der Erfolgsspur! Am Ende stand ein Artikel von mir zur rechtlichen Lage im Neubaugebiet: Am Abend schickte OB Möhrle ein Kündigungsschreiben an Hannes Ott nach Bohlingen! Der frischgebackene Ehrenbürger erinnerte in seine Dankesrede an jene Jahre, als er nicht der Liebling des Rathauses war. Wer aber vom „mündigen Bürger“ spricht, mag Ehrenbürger wie Willi Waibel! Er ging den Dingen auf den Grund und suchte Kontakte. Er fragte US-Soldaten, die 1944 Bomben über Singen zu Weihnachten abgeworfen hatten, wurde aber auch in der Ukraine nach seinem christlichen Weltverständnis gefragt, wenn deutsche Soldaten „Gott mit uns“ im Koppelschloss stehen hatten.
Was sagte Waibel bei seiner Ehrung in der Stadthalle: “Hier kommt aber auch der Gedanke hoch, dass man bei einer solchen Ehrung gerne auch so als „Musterknabe“ dargestellt wird. Es gibt wohl im Leben eines Menschen aber auch Zeiten, wo vielleicht Eltern, Lehrer, Vorgesetzte nicht unbedingt das Bild vom Musterknaben hatten. Gefälschte Bebauungspläne hatten damals dazu geführt, dass wir, die Bürgerinitiative Bruderhof, einen Prozess vor dem Verwaltungsgerichtshof führen mussten – leider ! Dieser Vorgang hat mich geprägt und kritisch gemacht, obwohl ich früher schon dazu neigte, fragwürdigen und kritischen Dingen mit Penetranz auf den Grund zu gehen, oft auch zum Leidwesen meiner Familie, denn die Recherchen waren ja doch sehr zeitaufwendig und auch nicht immer angenehm. Vor allem als ich vor fast 40 Jahren anfing, das Thema Zwangsarbeiter in den Singener Industriebetrieben offenzulegen, da spürte ich deutlich, dass abgeblockt wurde, aber umso intensiver wurde dann mein Suchen nach der Wahrheit, aber da waren vor Jahrzehnten auch entsprechende Türen oft noch verschlossen. Als „Graswurzel-Historiker“ ohne Abitur und ohne Studium – und dabei auch noch „nur“ aus der Südstadt stammend - musste ich oft, und dies auch bei Fachkreisen, bei Verwaltungen, mühsam die Türen zur Vergangenheit öffnen. Ich denke da z.B. an Archive von Singener Großbetrieben, die ursprünglich aussagten, dass keine Unterlagen mehr vorhanden seien, und leider gibt es bis in die heutige Zeit aus dem besagten Kreis noch Institutionen, bei welchen die Zeit von 1933 bis 1945 offensichtlich nicht stattgefunden hat. Oder wenn ich an die jahrelange Suche nach Dokumenten über die öffentliche Erhängung eines jungen Polen in einem nahegelegenen Dorf denke, der 1942 sterben musste, weil er sich in die Tochter seines Arbeitgebers verliebt hatte. Das Thema ist heute dort noch tabu, obwohl selbst das Protokoll der Erhängung mit den Unterschriften mancher bekannter Persönlichkeiten in meinem Archiv liegt!“
Willi Waibel ist ein Gedächtnis unserer Region. Autor Gerd Zahner hat dank seines Erinnerungsvermögens deutsch-schweizer Grenzszenen wieder lebendig werden lassen. Darüber hinaus war er auch ein politisch agierender Mensch. Beides zusammen macht einen Ehrenbürger aus. Mit ihm im Dialog zu stehen, ist großartig. Dafür muss man dankbar sein!
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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