Eine Oberbürgermeisterwahl als Zeitensprung
"Sich nicht reinziehen lassen"

Würde wieder Lokaljournalist werden wollen: Wochenblatt-Chefredakteur Oliver Fiedler, hier unterwegs in der Region für eines seiner Bilder zu „Fiedlers Tag“, den es schon seit über zehn Jahren gibt. | Foto: Oliver Fiedler
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  • Würde wieder Lokaljournalist werden wollen: Wochenblatt-Chefredakteur Oliver Fiedler, hier unterwegs in der Region für eines seiner Bilder zu „Fiedlers Tag“, den es schon seit über zehn Jahren gibt.
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Es gibt Zeitenwenden und es gibt Zeitensprünge. Für Oliver Fiedler war der Wahlkampf zwischen Bernd Häusler und Oliver Ehret in Singen 2013 ein Zeitensprung. Die Stadt sei in zwei Teile geteilt gewesen. Dramatisch sei diese Wahl gewesen, sagt Oliver Fiedler heute.

Der damalige Stellvertreter von Oliver Ehret, Bernd Häusler, sei „aus dem Busch gesprungen und hat gesagt: Ich übernehme“, weil es zu viele Blackboxes in der Stadt gebe.
Aus der Kandidatur des Chefs und seines Vizes wurde ein regelrechter Kampf, ein WahlKAMPF, da könne man Kampf ruhig großschreiben. Social Media habe eine Riesenrolle gespielt in diesem Wahlkampf. Atempause habe es keine mehr gegeben. Oliver Fiedler erinnert sich daran, wie er daheim am Rasenmähen war und Oliver Ehret ihn angerufen habe. Der war stinksauer, weil etwas geschrieben wurde, was nicht belegbar gewesen sei. Fiedler beendete damals seinen Rasenschnitt und es war plötzlich wieder Wahlkampf.

Und der Kampf wollte kein Ende nehmen: Sogar am Wahltag selbst wurde noch plakatiert, in diesem Fall von Oliver Ehret: „An Tagen wie diesen…“, begannen die Plakate. Filmreif nicht nur der Plakat-Titel.
In der Stadthalle dann war die Auszählung. Wahlbezirk für Wahlbezirk änderte sich, wer von den beiden Wahlkämpfern vorne lag. „Und jedes Mal frenetischer Applaus einer Seite“, erinnert sich Fiedler.
Sind die damaligen Gräben wieder geschlossen? „Vergessen.“, sagt Fiedler, das Thema der ehemaligen städtischen Immobiliengesellschaft GVV habe das Nachtreten erübrigt.
Was war denn so neu an diesem Wahlkampf? Amerikanisch sei er gewesen, „dauernd musste man irgendwelchen Gerüchten nachgehen.“ Das Wort Fake-News gab es damals noch gar nicht, „getunte“ Wahrheiten schon.

Und wie ist das als Mensch, in der Heimat als Beobachter mitten in so einem Kampf zu sein? „Als Mensch“, sagt Oliver Fiedler, „habe ich mich unwohl gefühlt zwischen den Fronten. Man wurde dauernd angegangen, doch in dieses oder jenes Horn zu blasen.“ Wer Oliver Fiedler kennt, weiß, wie resilient er gegen diese Versuche ist und das schon lange Jahre davor war. Dennoch sei es wüst gewesen.
Seit der Oberbürgermeisterwahl 2013 gab es solche Wahlkämpfe in der Region nicht mehr. Corona allerdings war für Fiedler ein Déjà-vu: „Was ich denke, müsst ihr schreiben, das ist die Wahrheit.“ Das hörte man als Journalist oft während besagtem Wahlkampf und in der Coronazeit und immer von beiden Seiten. Wie reagiert man darauf als Journalist? „Man muss dauernd abwägen und die eigene Position behalten, neutral bleiben.“

Dabei tut es auch gut, gute Sparringpartner zu haben: Oliver Fiedler erinnert sich, dass im OB-Wahlkampf 2013 gerade Stephan Mohr im Wochenblatt angefangen hatte, der heute persönlicher Referent des damaligen Wahlsiegers gewesen sei. Mohr habe als Neuling nicht gewusst, wer hinter wem steht und so habe ihm Mohrs unvoreingenommene Sichtweise geholfen. Und immer wieder sagt Oliver Fiedler: Es gehe darum, sich nicht reinziehen zu lassen, unemotional zu bleiben, wo andere zu emotional sind.
Was muss der Journalist hier noch können? „Die richtigen Fragen stellen“, sagt der Wochenblatt-Chefredakteur: Was brauche diese Stadt an Führung, an Kultur, wie in der Stadt über Politik gesprochen werde. „So, dass etwas rauskommen kann für die Bürgerinnen und Bürger.“

Und das kann man dann später auch einmal Revue passieren lassen: Die dreiteilige Sporthalle, die am Wahlabend angekündigt worden sei, gäbe es bis heute nicht in Singen, sagt Fiedler. Das liege aber auch daran, dass das Geld mal schnell hier und da ausgegeben werden müsse in der Stadt und niemand vorhersehen kann, was an großen und kleinen Krisen auf so eine Stadt zukommt.
Gab es so einen Wahlkampf nochmals? Nein, auch nicht jetzt zuletzt in Radolfzell zwischen Gröger und Staab. Aber: Social Media sei 2013 auch ganz anders beachtet worden als heute. Sei ernster genommen worden als heute. Und in einer Stadt wie Singen sei das politische Interesse an der Stadtentwicklung auch stark zurückgegangen. Was für die Dörfer des Wochenblattverbreitungsgebietes nicht so gelte.

Das Interesse an Lokalpolitik sei stark von persönlicher Betroffenheit getrieben. Was auch an der Komplexität der Inhalte liegt: „Früher haben wir die Details eines Regionalplanes im Blatt veröffentlicht, der jetzige Regionalplan 3.0 ist dafür zu abstrakt. Das ist nicht mehr vermittelbar.“
Überhaupt: Journalismus, sagt Oliver Fiedler, müsse vermitteln, nicht nur Themen setzen. Vermitteln, um was es geht zwischen den Menschen hier, was vor sich geht. „Das ist unersetzbar.“ Und dazu müsse die Journalistin, der Journalist zu den Menschen, Augen- und Ohrenzeuge sein.
Und genau deshalb würde Oliver Fiedler, wenn er noch einmal jung wäre, jederzeit wieder Lokaljournalist werden wollen.

Portrait:

Name: Oliver Fiedler

Alter: 62

Start im Wochenblatt: 1991 mit der Schließung des Schwarzwälder Boten in Singen

Werdegang: Redaktionsleitung, seit 2010 Chefredakteur des Singener Wochenblattes

Was mich treibt: Dass Themen heute so schnell Fahrt aufnehmen, dass man sich nicht mehr vorbereiten kann, nicht mehr darauf eingehen kann, bevor die nächsten Themen kommen. Das macht mir Sorgen. Und ich habe keine Ahnung, wie man den Handlungsdruck da herausbekommt.

Was verbinde ich mit dem Hegau: Die interessante Gesellschaft hier, mit vielen lokalen Unterschieden, Dorfidentitäten, das ist für mich Heimat und das finde ich sympathisch. Und die schöne Landschaft.

Der Ort:

Die Stadthalle Singen | Foto: Oliver Fiedler
  • Die Stadthalle Singen
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Die Singener Stadthalle, hier wurden am 14. Juli 2013 die Auszählungsergebnisse der Wahlbezirke bei der Singener Oberbürgermeisterwahl 2013 verkündet. Beim ersten Wahltermin am 30. Juni hatte keiner der Bewerber eine absolute Mehrheit erreicht. Abwechselnd jubelten die einen und dann die anderen. Gegen das Wahlergebnis wurde dann sogar Einspruch eingelegt, der aber abgewiesen wurde. Wahlkampf auf Amerikanisch …

Ein langer Kampf, mit Bernd Häusler als denkbar knappen Sieger. Die Erlösung nach der Zitterpartie des Wahlabends könnte besser nicht zum Ausdruck kommen. | Foto: Oliver Fiedler
  • Ein langer Kampf, mit Bernd Häusler als denkbar knappen Sieger. Die Erlösung nach der Zitterpartie des Wahlabends könnte besser nicht zum Ausdruck kommen.
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Ein Abend des Zitterns auch für den damaligen Amtsinhaber Oliver Ehret, neben ihm Altlandrat Frank Hämmerle und der Stadtrat Wolfgang Werkmeister.  | Foto: Oliver Fiedler
  • Ein Abend des Zitterns auch für den damaligen Amtsinhaber Oliver Ehret, neben ihm Altlandrat Frank Hämmerle und der Stadtrat Wolfgang Werkmeister.
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Autor:

Anatol Hennig aus Singen

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