Welche Aufgaben auf Singen bis 2030 zukommen
Der Umbau zur grünen Industriestadt
Singen. Die Liste von Oberbürgermeister (OB) Bernd Häusler für eine gute Zukunft im Jahr 2030 ist lang: Eine weiterhin ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen. Mehr Menschen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. Eine regenerative Nahwärmeversorgung in mehreren Stadtgebieten. Eine klare Perspektive zur Umsetzung von Wasserstoff als Energieträger für die Industrie. Dass Singen weiterhin eine attraktive Einkaufsstadt ist. Und ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum für die Menschen. Viele Themen, zu viele, um sie in dem einstündigen Gespräch mit WOCHENBLATT komplett zu vertiefen. Und doch genug, um in einige Entwicklungsbereiche der Stadt Singen einzutauchen.
Doch nicht alles Genannte ist bisher reine Zukunftsmusik: Die Masurenstraße soll zum Nahwärmequartier werden, also zum Heizen komplett mit Nahwärme versorgt - ein Leuchtturm, auch für das städtische Ziel, 2035 klimaneutral zu sein. Die Ausschreibungen für die dazu parallel notwendigen Tiefbaumaßnahmen befinden sich aktuell in der Vorbereitung, erzählt Bernd Häusler. „Das kann eine Blaupause sein, auch für andere Quartiere. Dann kann man den Leuten zeigen: Schau, das funktioniert“, hofft er, um so den Menschen die Sorge vor der Umrüstung auf die neue Heiztechnik nehmen zu können. Doch es brauche auch andere Lösungen für die Menschen, um ihre Häuser zu beheizen: „Man wird nicht jeden dazu bringen können, dass er für viel Geld sein Haus saniert. Deswegen klappt auch nicht überall das Thema Wärmepumpe.“ Es brauche auch andere Lösungen, Wohnungen und Häuser langfristig wirtschaftlich beheizen zu können. Um Möglichkeiten zu diskutieren, die aktuell von der Stadt geprüft werden, werde es im April eine Klausurtagung des Gemeinderates geben.
Wasserstoff und Innovationen für die Industrie
Während Photovoltaik für die Stadt schon fast zum Tagesgeschäft gehöre, sei „relativ frisch“ das Thema der Wasserstoffversorgung für die Industrie hinzugekommen: „Da wird Wasserstoff sicherlich eine große Rolle spielen, um unsere Großindustrien hier am Standort auch in der Zukunft wettbewerbsfähig zu halten.“ Im Zusammenschluss mit Singen aktiv, dem Landkreis und der Industrie- und Handelskammer (IHK), setze man sich bei der Stadt Singen dafür ein, bis 2032 eine Wasserstoffversorgung in der Region realisieren zu können. Betrachte man das vom Bund in Aussicht gestellte Wasserstoffkernnetz, sei der Südwesten bislang abgeschnitten – das dürfe nicht so bleiben, betont Häusler. Weil auch der Gaspreis in den nächsten Jahren immer weiter steigen werde, gebe es Überlegungen hier im Landkreis Konstanz über dezentrale Elektrolyseure Wasserstoff selbst zu produzieren, berichtet der OB. Damit hätten auch die Betriebe Planungssicherheit für einen Umstieg.
Um die Unternehmen zu unterstützen, wurde 2021 das Reallabor zwischen der Hochschule für Technik Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) in Konstanz und Singens lokalen Betrieben ins Leben gerufen. Das Ziel der Kooperation: „Die Dekarbonisierung eines Industriestandortes“. Dabei können laut Bernd Häusler „unsere Betriebe mit der HTWG zusammen immer spezifisch Forschungsprojekte angehen, das Knowhow der Wissenschaft einbringen und damit Innovation befeuern.“ Gleichzeitig könnten so auch Förderprogramme umgesetzt werden, um die meist teuren Innovationen überhaupt entwickeln zu können. Die so angestoßenen Veränderungen in der Industrie werden allerdings erst langfristig wirklich sichtbar. Für die Betriebe hebt Häusler zudem einen weiteren Vorteil hervor: „Der berühmte Klebe-Effekt.“ Studierende, die mit einem Unternehmen gearbeitet haben, bleiben möglicherweise dort. Die Industrie bleibe als Arbeitgeber auch weiter wichtig, ist er überzeugt: „Mit einer Deindustrialisierung wird es vielleicht in Zukunft schwierig sein, unseren Wohlstand halten zu können.“ So leben etwa auch viele dienstleistende Unternehmen von der Industrie.
Mehr Wege zu Fuß und mit dem Rad, aber...
Singen sei, wie viele Städte nach dem Zweiten Weltkrieg, autogerecht gebaut worden, gibt OB Häusler zu, mit großen, breiten Straßen. Das sei auch ein Vorteil. Einerseits, weil das Auto auch weiterhin eine Zukunft habe. Das Auto immer schlecht zu machen, erzeuge bei denen, für die das Auto nach wie vor wichtig sei, nur Gegendruck. Andererseits könne auf einer breiten Straße auch besser ein Radweg gebaut werden: „Ich muss den Leuten attraktive Angebote machen, mit einem schönen Fahrradweg, mit dem man schnell in die Stadt reinkommt.“ Aktuell werden die einzelnen Maßnahmen des kürzlich neu aufgelegten Radverkehrskonzepts in Singen geplant. Doch im ländlichen Raum sei es schwieriger, komplett auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) umzusteigen, etwa wenn zur Arbeit in die Stadt gependelt werden muss. „Eine Lösung habe ich für den Bereich nicht“, hebt Häusler hervor, auch auf Tagungen habe er hierzu noch von keinen Ansätzen gehört. „Deswegen wird es weiterhin das Auto geben, wir werden weiterhin Angebote machen müssen, dass die Leute bei uns in der Stadt auch gut parken können.“ Um die Menschen zum Umsteigen auf den ÖPNV zu bewegen, hoffe er auch auf mehr Mithilfe durch Land und Bund, etwa zur Frage eines kostenlosen ÖPNV, wie er in Luxemburg bereits umgesetzt wird.
Um gesellschaftlich eine gute Zukunft zu erreichen, erachtet Bernd Häusler das Thema Integration als sehr wichtig: „Uns muss es gelingen, dass man den Menschen, die zu uns gekommen sind, eine Chance gibt, hier ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Personen müssen aber auch die Chancen nutzen, die man ihnen gibt. Beim Thema Integration geht es immer um eine Gegenseitigkeit.“ Würden beide Seiten so an der Integration arbeiten, mit Chancen zur Bildung und Ausbildung, könne sich daraus nachher für beide Seiten einen „tollen Mehrwert“ ergeben, aber: „Im Augenblick fühle ich, dass wir da überfordert sind, durch die schiere Masse an Menschen, die zu uns kommt.“ OB Häusler betont die Bedeutung einer gemeinschaftlichen Lösung, etwa zwischen der Stadt, Singen aktiv, der Wirtschaftsförderung und dem Integrationsverein inSi.
Zukunft der medizinischen Versorgung
Nach der Entscheidung für Singen als neuen Klinikstandort steht hiermit eine weitere große Herausforderung an. Nun gehe es um die Finanzierung und die Frage, welche medizinischen Bereiche in Konstanz, in Singen oder an beiden Standorten letztlich abgedeckt werden. Auch die hausärztliche Versorgung werde zum Problem: Viele Ärzte gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand. „In der Zukunft wird es auch im Bereich der fachärztlichen Versorgung Defizite geben“, ist Bernd Häusler überzeugt. Mit einem eigenen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) werde in Singen versucht, den hausärztlichen Bereich abzudecken. Drei Ärzte hätten sich bereit erklärt, mitzumachen, stellte der OB in Aussicht: „Das werden wir in Zukunft weiter ausbauen, auch da denken wir langfristig. Das ist alles mit Problemen behaftet und nicht ganz so einfach, aber wir kriegen das hin.“
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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