Gedenkstättenreise von Landtagspräsidentin Aras
"Es darf keinen Schlussstrich geben"

Auch im Jüdischen Museum Gailingen sollen die Erinnerungen wachgehalten werden (von links nach rechts: MdL Hans-Peter Storz, Dr. Ina Appel, wissenschaftliche Leitung des jüdischen Museums Gailingen, Landtagspräsidentin Muhterem Aras, MdL Dorothea Wehinger, Vorsitzender des Vereins für jüdische Geschichte Gailingen Heinz Brennenstuhl und Gailinger Bürgermeister Thomas Auer). swb-Bild: Patrik Silberling
  • Auch im Jüdischen Museum Gailingen sollen die Erinnerungen wachgehalten werden (von links nach rechts: MdL Hans-Peter Storz, Dr. Ina Appel, wissenschaftliche Leitung des jüdischen Museums Gailingen, Landtagspräsidentin Muhterem Aras, MdL Dorothea Wehinger, Vorsitzender des Vereins für jüdische Geschichte Gailingen Heinz Brennenstuhl und Gailinger Bürgermeister Thomas Auer). swb-Bild: Patrik Silberling
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Gailingen/Singen. „Erinnern für die Zukunft“ lautete das Motto der diesjährigen Gedenkstättenreise von Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Am Freitag, 12. Juli, führte sie ihre Reise in das Jüdische Museum in Gailingen und die Theresienkapelle in Singen.

Jüdisches Leben in Gailingen

Unter erhöhtem Sicherheitsaufgebot wurde Aras in Gailingen von Dr. Ina Appel, wissenschaftliche Leitung des jüdischen Museums Gailingen, ihrer Stellvertreterin Doreen Heuer, Gailingens Bürgermeister Thomas Auer und Heinz Brennenstuhl, dem Vorsitzenden des Vereins für jüdische Geschichte Gailingen, empfangen. Man besichtigte zunächst die Gedenkstätte gegenüber des Museums. Früher stand dort eine Synagoge, doch im Zuge der Reichspogromnacht 1938 wurde auch sie niedergebrannt.

Anschließend führte Dr. Ina Appel die Landtagspräsidentin und die anderen Gäste durch das Museum und erzählte dabei die spannende Geschichte der Juden in Gailingen und Umgebung. Begonnen hat diese Geschichte bereits Mitte des 17. Jahrhunderts, als Carl Friedrich Graf zu Hohenems in seiner Eigenschaft als Landvogt und Pfandinhaber der Landgrafschaft Nellenburg sowie die Freifrauen von Reinach aus Randegg es möglich machten, dass Juden sich in Gailingen ansiedeln durften.

Im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts konnte sich das jüdische Leben im Ort relativ ungestört entwickeln. Beliebt war Gailingen vor allem durch seine Nähe zur Schweiz. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten schließlich mehr Juden als Christen in Gailingen. Eine Synagoge, ein jüdisches Schulhaus und das Israelitische Krankenhaus, in dem auch Christen behandelt wurden, entstanden.

1870 bis 1884 hatte die Gemeinde mit Hirsch Leopold Guggenheim für mehr als zwei Amtszeiten sogar einen jüdischen Bürgermeister. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verschwand das jüdische Leben zuerst allmählich aus Gailingen und endete dann abrupt am 22. Oktober 1940, als die übriggebliebenen Juden in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert wurden.

Erinnerungen wachhalten

"Das Wort Geschichte", meinte Landtagspräsidentin Muhterem Aras, "beschreibt einen Prozess, in dem sich Epoche um Epoche, Zeitschicht um Zeitschicht ablagert und übereinanderlegt. Jede Zeitschicht wiederum besteht aus Millionen von Geschichten, von Ereignissen und Biografien. Manche dieser Geschichten wirken unscheinbar, wie ein Sandkorn im See, andere kommen einem Erdrutsch gleich. Aber sie alle formen unsere Vergangenheit." Deswegen wolle sie in alle Regionen des Landes gehen, die Gedenkstätten besuchen, den Geschichten auf den Grund gehen, sie freilegen und die Vergangenheit im Hinblick auf die Zukunft wachhalten. Es dürfe, so betonte Aras, keinen Schlussstrich geben bei der Erinnerungsarbeit. „Rassismus, Ausgrenzung und Diffamierung dürfen sich nicht wieder in unsere Gesellschaft einschleichen“, meinte Aras. „Wir müssen unsere Demokratie verteidigen.“

Vom Feind zum Freund

Auch hinter der zweiten Station von Aras‘ Reise an diesem Tag verbirgt sich ein Stück dunkle deutsche Geschichte. Aber nur wenige kennen die Theresienkapelle in Singen. Direkt neben der Autowaschanlage Ley fällt sie kaum auf. Und noch weniger Menschen dürften ihre Geschichte kennen: Wo heute die Kapelle steht, errichtete man 1942 ein Lager für „Ostarbeiter“, die bei der Georg-Fischer AG Zwangsarbeit leisten mussten, wie die Vorsitzende des Fördervereins Theresienkapelle Singen, Dr. Carmen Scheide, erklärte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1948 wurden im Lager deutsche Kriegsgefangene interniert. Dabei entstand zwischen 1946 und 1947 auch die Theresienkapelle, gebaut von deutschen Gefangenen. Die Idee hierzu geht auf denfranzösischen Lagerkommandanten Jean le Pan de Ligny zurück, der den Gefangenen auch eine Möglichkeit zur seelsorgerischen Betreuung geben wollte. Die Weihung folgte am 9. November 1947.

So ist die Theresienkapelle ein Ort der Umwandlung, wo aus der deutsch-französischen Feindschaft langsam eine Freundschaft erwuchs. Nach der Schließung des Lagers verwaiste die Kapelle, da sich weder die Kirche noch die Eigentümer für sie verantwortlich fühlten. Von 1960 bis 2000 fanden regelmäßig Gottesdienste auf Italienisch statt. 2006 wurde der Förderverein zum Erhalt des Denkmals Theresienkapelle gegründet. Seit 2020 steht die Kapelle vollständig unter Denkmalschutz.

Autor:

Patrik Silberling aus Singen

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