Abschiedsworte zum Tode von Hans Paul Lichtwald
Ein Kolumnist wird zum Vordenker
Singen. »Abschied nehmen muss das WOCHENBLATT von seinem einstigen Chefredakteur Hans Paul Lichtwald, der am 22. Juli im Alter von 69 Jahren nach längerer Krankheit verstorben ist. Auf Wunsch der Familie wurde mit einem Gedenken bis nach der Bestattung im engsten Familienkreis gewartet.
Von 1992 bis 2010 war Hans Paul Chefredakteur in Singen gewesen. Zeitweise kam die Leitung der Radolfzeller Redaktion hinzu, bis die gesundheitlichen Folgen eines Unfalls ihren Tribut forderten. Doch Hans Paul blieb etwa durch die Moderation des »Politischen Aschermittwochs« bis 2016 mit dem WOCHENBLATT verbunden – und war in vielen Fragen auch immer wieder Ratgeber, denn sein Gedächtnis konnte als legendär bezeichnet werden.
Die journalistische Karriere von Hans Paul Lichtwald begann bereits in einer Zeit der Umbrüche. Damals, Ende der 1960er Jahre, als durch Singen die Protestzüge mit »Ho Tschi Min«-Rufen zogen, als der allmächtige Oberbürgermeister Theopont Dietz durch den jungen, in Frankreich ausgebildeten und mit Berliner Luft groß gezogenen Sozialdemokraten Friedhelm Möhrle gestürzt werden sollte, als Oßwald Kolle die Scheffelhalle füllte und als wenig später der junge Hans-Peter Repnik die politische Bühne betrat, um den damaligen Bundestagsabgeordneten Biechele mit einem Generationswechsel abzulösen.
Damals noch Jungspund beim »Schwarzwälder Boten« waren die 1970er Jahren von vielen Umbrüchen begleitet. Als sein Chefredakteur Herbert Baier urplötzlich ausfiel, wurde Hans Paul Lichtwald Mitte der 1980er Jahre von einem Tag auf den anderen der neue Chef der kleinen, aber geschätzten Lokalausgabe – ein neuer Umbruch. Und als die Tageszeitungen 1991 im Südwesten ihre Erscheinungsgebiete neu ordneten, stand der wohl wichtigste Umbruch seiner Karriere an: Er nutzte die Chance, um die redaktionelle Leitung des Singener WOCHENBLATT zu übernehmen.
Für Hans Paul Lichtwald, den scharfsinnigen Beobachter lokaler Politik mit einem Hintergrundwissen, das die Menschen immer wieder in Staunen versetzte, war dies die Chance, nun unter Carmen Frese-Kroll als der Verlegerin der zweiten Generation für das ganz große Publikum zu schreiben - für das WOCHENBLATT war es der Wechsel zu Qualität in Kontinuität, die die Zeitung noch mehr zum heiß begehrten Objekt nicht nur der Information, sondern auch vieler Hintergrundinformationen machte. Und das ebenfalls in einer Zeit der Umbrüche - in Singen mit dem Wechsel von OB Möhrle zu Andreas Renner, in Radolfzell mit dem langen Abtritt von OB Günter Neurohr und der erfolglosen Kandidatur des späteren Landrats Frank Hämmerle gegen Siegfried Lehmann, in Stockach mit dem Wechsel von Urgestein Franz Ziwey zu Rainer Stolz.
Sein wöchentliches Format »Bemerkenswert ist…« war gefürchtet und geachtet zugleich. Denn wenn es übers Wochenende produziert wurde, liefen gerne die Fäden zu seinem Homeoffice in Bodman heiß. Sogar manchen politischen Rat gab es, denn Hans Paul Lichtwald kannte sich aus in den politischen Konstellationen der ganzen Region. Irgendwie wusste er immer über alles Bescheid. Kultur lag ihm dabei genauso am Herzen, wenn man nur an seine so lange Begleitung des Theaters »Die Färbe« denkt, die er durch die Freundschaft zu Peter Simon zur Chefsache gemacht hatte – weil Singen so etwas brauchte.
Seine Kunst war es immer, der Rolle der Medien als vierte Gewalt im Staat treu zu bleiben – immer Redakteur zu sein und damit Kritik einzubringen, aber auch über Lösungen nachzudenken und diese zur Diskussion zu stellen. Da wurde der Kolumnist zum Vordenker, was auch dem WOCHENBLATT eine ungeheure Achtung verschaffte. Und auch seine Feinde – die man als Redakteur naturgemäß immer hat - zollten ihm Respekt vor seinem Standpunkt, der oft auch der der Leser war. Heute würde man das »konstruktiven Journalismus« nennen. Da zückte Hans-Paul Lichtwald durchaus zuweilen das Florett, den Säbel brauchte er nie, um – wie zuletzt in der großen Affäre um die geplante »Giftmüll«-Fabrik am Singener Containerbahnhof in der Ära von OB Oliver Ehret - seine Akzente zu setzen, in denen sich auch die Leser selbst wieder finden konnten. Das war seine Kunst gewesen. Und auch, auf manche Dinge sehr schnell zu reagieren – wie zum Beispiel den tragischen Flugzeugabsturz von Überlingen, als im Morgengrauen die Medienvertreter ins Katastrophengebiet eingeladen wurden.
Legendär waren seine Notizblätter, denn einen Block brauchte er nie. Normales Papier faltete er zu einem Leporello. Es hatte eine Menge darauf Platz, aber lesen konnte das nur er. Nun bleibt nur noch die Erinnerung an einen der großen Köpfe des Journalismus der Region, der seine Zeit geprägt hat.«
Oliver Fiedler, WOCHENBLATT-Chefredakteur
Geradlinige Menschlichkeit
Brief an einen geschätzten Wegbegleiter: »Sehr geehrter Herr Lichtwald,
das WOCHENBLATT und die Familie Frese/Frese-Kroll nehmen von Ihnen Abschied und entbieten Ihnen allen Respekt als Chefredakteur des WOCHENBLATTes, Kollegen und Menschen. Es war mir eine Freude, Sie zu kennen und mit Ihnen zu arbeiten. Ich war nur Eine von vielen Menschen, die Sie mit Ihrer Fülle von Wissen, Ihrer Eloquenz, Ihrer Gradlinigkeit und Menschlichkeit fasziniert haben. Sie haben im WOCHENBLATT Vergangenes geprägt und Zukünftiges geschaffen. »Ich bin immer noch irgendwo« – Ja, Herr Lichtwald, das sind Sie. In unglaublich vielen von Ihnen verfassten Themen, Kommentaren, Interviews, Glossen, Features, Erklärungen von Zusammenhängen und in unseren Herzen.«
Carmen Frese-Kroll, Geschäftsführerin des Verlags Singener WOCHENBLATTs
Großes Wissen, großes Herz
Zum Ende 1991 kam für den »Schwarzwälder Boten« in Singen das Aus. Das war damals ein Glücksfall für das WOCHENBLATT, denn Anfang 1992 konnte ich Hans Paul als Chefredakteur hierher holen. Hans Paul hatte Zeit seines beruflichen Lebens ein schon fast genial zu nennendes Netzwerk. Er kannte wie kaum ein Zweiter Land und Leute. Er war Autor, Fotograf und Journalist. Seine Berichte über die Herrenjagdessen des CC Clubs der kochenden Männer Singen waren legendär, seine Bilder von der »Färbe« in »Das Theater in der Diaspora« genial, sein Nachruf auf den Kollegen und Freund Peter Voncken eindrücklich, und ohne seine Moderation wäre mein »Politischer Aschermittwoch« nicht das geworden, was er heute ist - um nur einige ganz kleine Beispiele zu nennen. An Hans Paul Lichtwald konnte man sich reiben, er hatte ein großes Wissen und ein großes Herz. Er war ein Schlitzohr und manchmal mehr als unbequem. Er konnte zuhören, diskutieren und war da, wenn man ihn brauchte.
Hans Paul, du fehlst! Es war mir eine Ehre, ein Stück gemeinsamen Weges mit Dir zu gehen.«
Peter Peschka, ehemaliger Verlagsleiter des WOCHENBLATTs
Ein Mann der klaren Worte
»Mit Hans Paul Lichtwald ist der Mann von uns gegangen, der das WOCHENBLATT zur Zeitung hat werden lassen, die gesellschaftlich und politisch in der Region relevant ist. Und seine Art, zu schreiben und mit denen umzugehen, über die er schreibt und die ihn informieren, war unvergleichlich: respektvoll, achtsam würde man heute sagen, auch wenn dieses Wort damals noch eher selten verwendet wurde, konstruktiv und verantwortungsvoll. Lichtwald wusste, dass man sich im lokalen Raum immer wieder begegnet und was das bedeutet für die, die Macht ausüben und die, die darüber schreiben: Man begegnet sich immer wieder, und es braucht also triftige Gründe, journalistisch so weit zu gehen, dass im Zweifelsfall die Türen zwischen Menschen dauerhaft geschlossen werden.
Streiten können und wollen musste man trotzdem mit ihm, etwas, das heute fehlt: Recht haben wollen gibt es noch, streiten nicht mehr.
Hans Paul Lichtwald hat in Zusammenhängen gedacht und geschrieben und sie eingeordnet, und genau das hat mich als jungen Journalisten beim WOCHENBLATT dazu gebracht, viel von ihm lernen zu wollen: Das war die Schnittstelle - hinter den Details die Zusammenhänge zu erkennen. Verstehen, wie und warum etwas ist, wie es ist, und nicht vorschnell zu urteilen.
HP Lichtwald hatte für die heute völlig ausgeuferte Jederglaubtalleszuwissen-Welt schon damals klare Worte: »Friseurgeschwätz« sagte er, wenn die Gerüchteküche ohne konkrete Recherche mal wieder hochkochte, und »Hallo Herr Lehrer, ich weiß was« waren die klaren Worte über diejenigen, die sich profilieren wollten, indem sie Journalisten etwas stecken, aber nicht öffentlich dazu stehen. Das Diskutieren mit Ihnen hat viel Spaß gemacht, und Sie haben mir den Raum gegeben, den ich als junger Mensch gebraucht habe.
Danke Ihnen, Herr Lichtwald!
Anatol Hennig, Verlagsleiter des WOCHENBLATTs
Autor:Anatol Hennig aus Singen |
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