Szenische Lesung im Landgericht Konstanz
"Das Geschehene kann nicht gesehen werden"

Durch das "Schwärzen" der "Täterbilder" sollte versucht werden, diese Menschen vergessen zu machen.  | Foto: Philipp Findling
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Konstanz. In der letzten Spielzeit startete die Kooperation des Theaters mit dem Landgericht Konstanz, bei der unter dem Titel "Von Fall zu Fall" juristische Literatur aufgegriffen und szenisch vorgelesen werden. Am vergangenen Sonntag, 10. März, erlebte das Publikum nun die Lesung zum Buch "Laufendes Verfahren" von Kathrin Röggla.

Wie erging es den Zuhörenden im Gerichtssaal damals im Jahr 2013, als die Hauptverhandlungen gegen das noch einzig verbliebene NSU-Mitglied Beate Zschäpe starteten? Dieses Gefühl wird bereits in Rögglas Roman sehr detailliert und wahrheitsgetreu dem Leser beschrieben. Übertragen wurde dies nun als szenische Lesung von Regisseurin Chiara Hunski und Dramaturgin Sabrina Toyen.

Besonderer "Schauplatz"

Dabei passte das Setting mit dem Schwurgerichtssaal des Konstanzer Landgerichts zu diesem doch sehr besonderen Theaterstück wie die Faust aufs Auge. So hatte der Aufführungsort einen unmittelbaren Einfluss auf die Lesung der drei SchauspielerInnen Odo Jergitsch, Lilian Prent und Anne Rohde, was der Geschichte dadurch umso mehr Kraft wie Atmosphäre verlieh.
Das Publikum konnte die geschilderten Eindrücke, welche im Buch alle von ZuhörerInnen des damaligen Prozesses stammten, plötzlich aus deren Augen, aufgrund der Sitz- und Spielweise im Saal direkt aus deren Perspektive betrachten und ein Gefühl dafür erlangen, was dies mit den Menschen in dieser Zeit machte.
"Noch konnten wir nicht wissen, dass die Worterteilung der Angeklagten sich als schwierig gestalten und der Prozess sich über einen längeren Zeitraum verschleppen würde", wurde unmittelbar zu Beginn von Odo Jergitsch verlesen. Schon hier wurde deutlich, wie lange sich der Prozess insgesamt gestaltete, und zwar über fünf Jahre bis zum 11. Juli 2018, als Beate Zschäpe mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Auch die Laienposition der ZuhörerInnen wurde wunderbar durch den Ausdruck des Fachmännischen, welcher hier als "ansteckende Krankheit" beschrieben wurde, widergespiegelt. "Ist das Morden schon vorbei? Was läuft hier vorne denn nun ab?" verdeutlichte Lilian Prent umso stärker die Ahnungslosigkeit dieser Menschen, was wiederum vermutlich im Kopf vieler ZuschauerInnen im Gerichtssaal einen Bogen zu aktuellen Ereignissen spannen ließ, welche mit diesem Prozess nichts zu tun hatten, im Sinne aber diesem so nah waren.

Auf die Täter "draufsehen"

Hunskis Inszenierung gelang es dabei eindrucksvoll, dem Publikum einen Blick auf die Täter selbst zu geben, auf diese draufzusehen. Begriffe aus dem Buch wie "Nachwendenazis", "Modethema" oder auch "Thor Steinar" wurden auf ein Blatt Papier geschrieben, nur um zehn Minuten später wieder, vermutlich als Prozess des Vergessens, zerrissen zu werden. Auch Bilder des NSU-Trios wurden gezeigt und wild mit Schwarzstift übermalt. Doch können diese Begriffe und Menschen wirklich vergessen werden oder hat das Ende, wie ebenfalls auf dem Blatt versehen, doch ein Fragezeichen?
Durch die Schilderungen der ZuhörerInnen, welche sowohl im Buch als auch in der Lesung vermutlich zur Bewahrung der Anonymität derer unter anderem mit "Blogger-Klaus" oder "Vornamen-Yildiz" bezeichnet wurden, bekam das Publikum einen "hautnahen" Eindruck davon, wie die Angeklagten auf sie gewirkt haben mussten. So wurde einer dieser als "einziger Angeklagter, der während des Prozesses wirklich gesprochen hat und sich dabei auch auf eisigem Gebiet befand" sowie als "unerfrischter Angeklagter" bezeichnet. "Ob sie wohl das Gericht an der Nase herumführen würden", lautete einer der Fragen, welche sich die ZuhörerInnen über die Angeklagten stellten. "Das Geschehene kann nicht gesehen werden", rezitierte Jergitsch aufgrund der angeblichen Unwissenheit der Angeklagten über ihre Taten. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe betitelten die ZuhörerInnen damals als "Frau mit den Haaren, welche bis zur Urlaubsinsel Fehmarn reichten". Vermutlich ein metaphorisches Beweisstück dafür, an wie vielen Delikten diese Frau, die den "Restbestand eines Terror-Trios" darstellte, wohl beteiligt war. Details, welche man in der Öffentlichkeit zu dieser Zeit wenig bis gar nicht mitbekam, wie die Positionsveränderungen von Leichen oder ein junges Mädchen, welches die Explosion einer Bombe, welche sich in einer Christstollendose befand, überlebte, sowie die Frage, ob man denn nun ein "NSU 2.0" erlebe, kamen innerhalb dieser szenischen Lesungen ans Licht.

Vergebliche Einspruchsversuche

Unter dem Begriff Nachfolgesituationen wurde noch direkter auf den Prozess eingegangen, so kam "beim Richter kein richtiger Satz" heraus und die Medien hätten doch "nichts Zitierbares aufgreifen" können. "Was ist schon ein Gericht, in dem ständig unterbrochen wird und das Fragerecht ständig auswandert", rezitierte Odo Jergitsch die ständigen Falschaussagen der Verteidiger sowie die vergeblichen Versuche des Staatsanwalts, Einspruch zu erheben und somit auf das "Prinzip der Mündlichkeit" vor Gericht einzuwirken, ohne sich in Abstraktionen zu verlaufen. Dabei solle man "die Drohungen dieser Rechtsextremen sehr ernst nehmen", wenn unter anderem weiterhin Adressen von Kindergärten veröffentlicht werden.
So bedrückend wie spannend zugleich die Atmosphäre im Schwurgerichtssaal als Aufführungsort nun wirkte, so stark spiegelte ein nachdenklich wirkendes Zitat vermutlich das Gemüt und Erlebte der realen ZuhörerInnen in Konstanz sowie den zitierten vom Münchner Prozess eindrucksvoll wider: "Die Wege aus dem Gericht sind meist komplizierter als die, die hineinführen."

Die szenische Lesung "Von Fall zu Fall: Laufendes Verfahren" wird nochmals am Donnerstag, 14. März um 19 Uhr im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Konstanz aufgeführt. Karten hierzu gibt es entweder an der Theaterkasse im KulturKiosk sowie online auf der Webseite des Theaters.

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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