"Gezielte, gesteuerte Zuwanderung"
Einwanderung könnte die deutsche Wirtschaft zukunftsfest machen
Landkreis Konstanz. Wenn qualifizierte Fachkräfte fehlen, dann wird die Suche ins Ausland ausgeweitet - mit diesem Hintergedanken entstanden viele verschiedene Wege, über die etwa Arbeitssuchende nach Deutschland gelangen können. Um die dazu notwendigen Prozesse zu vereinfachen, soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert und damit auch modernisiert werden.
Das Gesetz liegt auf Bundesebene in der Verantwortung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, hauptsächlich jedoch beim Innenministerium. Dr. Ann-Veruschka Jurisch ist als Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Konstanz eines der Mitglieder der FDP-Fraktion im Ausschuss für Inneres und Heimat. Dort ist sie als "Berichterstatterin" ihrer Fraktion maßgeblich verantwortlich für das Thema Arbeitsmigration. "Für mich ist das jetzt eines der wichtigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode", verdeutlicht Jurisch im Gespräch mit dem WOCHENBLATT die Wichtigkeit der Reform bei der Arbeitseinwanderung als eine "gezielte, gesteuerte Zuwanderung".
Beratung vor der Sommerpause
Bevor über das Gesetz noch im Juni innerhalb des Bundestags abschließend beraten werden soll, sprach Ann-Veruschka Jurisch kürzlich sowohl mit überregionalen Verbänden, als auch mit Unternehmen im Landkreis Konstanz. Daraus zeichnete sich für die Abgeordnete ein Bild, wie es um den Fachkräftemangel steht und wo die Einwanderung hier Chancen bieten könnte.
Während ihr diese Wichtigkeit oft bestätigt wurde, kann die Abgeordnete auch die Kritik mancher Handwerksbetriebe nachvollziehen, eher die Gewinnung inländischer Kräfte zu fördern. Da zwischen den Berufsfeldern die Bedürfnisse zum Teil sehr unterschiedlich seien, sieht sie im Schul- und Bildungssystem einen zweiten, großen Hebel, "an dem wir auch drehen und nachsteuern müssen". Gerade "angesichts der Demografie" in Deutschland sei die Einwanderung von Arbeitskräften jedoch notwendig, um die größer werdende Lücke offener Stellen zu schließen.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz stützt sich dabei auf drei Säulen: Die Fachkräftesäule zielt auf die Einwanderung von Personen mit Hochschulabschluss oder Berufsbildung, die in Deutschland anerkannt sind. Im Sinne der Erfahrungssäule sollen Kräfte nach Deutschland kommen können, deren Abschluss im Herkunftsland anerkannt ist. Hier wird außerdem künftig eine Berufserfahrung von zwei Jahren für alle Berufe vorausgesetzt. Bei beiden Methoden muss eine gesicherte Arbeitsstelle vor der Einwanderung nachgewiesen werden. Gewonnen werden die Kräfte oft von den Unternehmen selbst. Insgesamt gibt es laut der Bundestagsabgeordneten rund 20 Elemente der Fachkräfteeinwanderung, etwa auch zum Zweck einer Ausbildung oder eines Studiums.
Die neue "Chancenkarte"
Die Säule, die die meisten Neuerungen bringt, ist die Potenzialsäule. Dahinter steckt die "Chancenkarte", nach Vorbild des kanadischen Punktesystems zur Einwanderung. Während so in Kanada ein unbefristetes Visum zur Arbeitssuche innerhalb des Landes ausgestellt wird, soll diese Möglichkeit in Deutschland auf ein Jahr befristet sein. Die Einreise ermöglichen Punkte in verschiedenen Bereichen, etwa für die Ausbildung oder die Berufserfahrung. Mindestvoraussetzungen sind auch hier etwa ein Hochschulabschluss oder eine zweijährige berufliche Ausbildung, die im Ausland anerkannt ist, sowie hinreichende Deutsch- oder Englischkenntnisse. Das Prinzip der Chancenkarte berge gar das Potenzial, Grundkonzept der Einwanderung zu werden, ist Jurisch überzeugt.
Das Gesetz und die Einwanderung nutze den Unternehmen und der Wirtschaft, indem gezielt Kräfte einwandern, die gebraucht werden. Zudem stecke darin "auch die Grundlage für gesellschaftlichen Wohlstand". Als Beispiel nennt sie die Westbalkanregelung, die Personen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt vereinfachen soll. Erhält ein Anwärter ein verbindliches Arbeitsplatzangebot, wird zunächst ausgeschlossen, dass eine geeignete Kraft aus Deutschland oder der EU vorhanden wäre. Aufgrund ihres Erfolgs für die Arbeitgeber soll die Westbalkanregelung ohne zeitliche Befristung übernommen und mehr Personen die Einwanderung ermöglicht werden.
Eindruck aus der Region
Ein Gespräch der Bundestagsabgeordneten fand bei der Firma Waldorf Technik in Engen statt. Neben dem Geschäftsführer, Gregor Kessler, und Dr. Ann-Veruschka Jurisch selbst, waren hier auch Engens Bürgermeister Johannes Moser und der städtische Wirtschaftsförderer Peter Freisleben beteiligt. Waldorftechnik arbeitet im Bereich der Spritzgusstechnikautomatisierung. Die in Engen zusammengestellten Maschinen finden häufig Anwendung im medizinischen Bereich, zum Beispiel zur Fertigung von Spritzen oder Kontaktlinsen. Das Unternehmen sei lange eigentümergeführt gewesen, bis es sich 2016 der international agierenden Hahn Group anschloss.
Benötigt werden hier unterschiedliche Fachkenntnisse, vom Diplom-Ingenieur über den Werkzeugmacher bis zum Mechatroniker, der insbesondere mechanische und elektronische Aspekte der Automatisierung zusammenbringe und daher von hoher Bedeutung sei, unterstrich Kessler. Statt der in Engen angebotenen fünf bis sechs Ausbildungsstellen pro Jahr liege das reale Mittel über die letzten Jahre bei etwa vier ausgebildeten Mechatronikern.
"Künstlicher Filter"
Insgesamt sei Waldorf Technik offen für ausländische Kräfte, betont der Geschäftsführer. Die ähnliche Qualität in der Ausbildung der Mitarbeitenden innerhalb der Hahn Group nimmt Gregor Kessler dabei als großen Vorteil wahr. Über Standorte in Kroatien, das zu der Westbalkanregelung zählt, könne man so Personal gewinnen. Während die fachliche Ausbildung gut vom Unternehmen selbst gestemmt werden könne, empfindet er hauptsächlich die Sprachbarriere und die Bürokratie als Hürde der Zuwanderung.
Dem stimmte die Bundestagsabgeordnete Jurisch weitgehend zu. Die Einwanderungspolitik bemühe sich ihrer Meinung nach immer alles anerkennen zu wollen und schaffe damit einen "künstlichen Filter". Die Auswahl der Kräfte wäre in Unternehmerhand besser aufgehoben. Hier kritisierte Bürgermeister Johannes Moser, dass der Staat bei anderen Aspekten der Einwanderung, etwa dem sowieso knappen Wohnraum, "weiterdenken und alle Folgen lösen muss".
MdB Seitzl ist mit im Boot
"Wenn ich im Landkreis Konstanz unterwegs bin, gibt es kein Thema, das branchenübergreifend so präsent ist, wie der Fachkräftemangel. Ob in Kitas, Pflegeeinrichtungen oder im Handwerk, in vielen Betrieben und Einrichtungen können Stellen aufgrund von Personalmangel nicht mehr vollständig besetzt werden", führte die Konstanzer SPD-Bundestagsabgeordnete, Dr. Lina Seitzl, kürzlich in einer Medienmitteilung aus, als es Ende April an die erste Lesung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes ging. Auch im Landkreis Konstanz werde das Thema Fachkräftemangel mittelfristig zu einem der drängendsten Themen und sei schon heute an vielen Stellen im Alltag zu spüren. Um dem entschieden zu begegnen, "müssen wir an verschiedenen Stellschrauben drehen", erklärte Dr. Lina Seitzl.
Eine dieser Stellschrauben sei für sie aber auch die Aus- und Weiterbildung der Menschen im Inland, das entsprechende Gesetz begleitet sie als Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion im Bildungsausschuss: "Mit dem Qualifizierungsgeld und der Bildungszeit unterstützen wir Erwerbstätige aktiv. Weiterhin unterstützen wir junge Menschen mit einer gesetzlich festgeschriebenen Ausbildungsgarantie, besseren Beratungs- und Berufsorientierungsangeboten sowie einer Mobilitätsprämie."
Abseits davon sei das Fachkräfteeinwanderungsgesetz notwendig, "um Deutschland international wettbewerbsfähig zu halten und ein modernes Einwanderungsland zu werden." Auch die Region werde hiervon profitieren könne, schlussfolgerte Seitzl.
Nicht immer erfolgreich am Markt
Die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland ist für den Gesundheitsverbund des Landkreises schon lange ein Thema. Dort sind die Lücken in der Personalausstattung gravierend, trotz gewaltiger Anstrengungen im Ausbildungsbereich mit der eigenen Gesundheitsakademie für verschiedene Berufsfelder. In 2015 hatte man es hier bereits mit spanischen Fachkräften versucht, die auch gekommen waren und vorab Sprachkurse machen konnten, um sich auf den Einsatz hier vorzubereiten.
Allerdings waren die Fachkräfte größtenteils schon bald wieder verschwunden und lieber in die Heimat zurückgekehrt. Der Gesundheitsverbund hatte es in der Folge auch in asiatischen Ländern versucht, wo jedoch die bürokratischen Hürden hierzulande enorm hoch waren. Eine neue Gesetzgebung wäre eine wirkliche Erleichterung, dem Pflegenotstand zu begegnen. Auch in Italien und den Philippinen hatte der Gesundheitsverbund bereits in Corona-Vorzeiten Anwerbeaktionen durchgeführt.
Autor:Redaktion aus Singen |
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