Die Tragödie am Himmel von Überlingen
„Ich sah dieses Flugzeug auseinanderbrechen“

Christiane Kirch-Jacobi | Foto: Susanne Dietz-Vollmar
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Am 30. Juni 2002 sprach Christiane Kirch-Jacobi in der Schule ein Junge an. Sie arbeitete in diesem Sommer seit etwa einem halben Jahr bei den Camphill Schulgemeinschaften Brachenreuthe, zwischen Überlingen und Owingen. Der Junge hatte Angst, weil sein Vater auf Geschäftsreise war und zu dieser Zeit im Flugzeug saß. Schnell beruhigte sie ihn: „Du brauchst keine Angst haben. Fliegen ist sicher.“ Einen Tag später kollidierten zwei Flugzeuge über Owingen - und nichts war mehr sicher.

Christiane Kirch-Jacobi arbeitete zu dieser Zeit nicht nur in der sonderpädagogischen Einrichtung in Überlingen, sondern wohnte auch dort, wie viele der Mitarbeiter. Am 1. Juli, spätnachts, nach einem heißen Sommertag, waren sie und ihr Mann noch wach. Plötzlich hörten sie ein Donnergeräusch: „Zumindest dachte ich, das wäre jetzt ein Donnern.“ Sie schaute zum Fenster hinaus und sah dort das Flugzeug auseinanderbrechen. „Es hat gebrannt. Also der Krach, das muss gewesen sein, als diese beiden Flugzeuge aufeinandergestoßen sind“, schildert Kirch-Jacobi. Das Flugzeug zerbarst in drei Teile, eines davon schoss in Richtung Überlingen. „Mein erster Impuls war: Das Ding fällt jetzt aufs Krankenhaus. Ich bin sofort zum Telefon gerannt und habe die 110 gewählt, aber die war schon belegt.“
Stattdessen ging sie dann hinaus. Es war eine laue Nacht, die Kinder schliefen, während viele Mitarbeiter noch wach waren und sich vor den Gebäuden versammelten. Draußen lag ein Triebwerk der Maschine, „quer über der Zufahrtsstraße, man kam nicht mehr raus oder rein und es brannte.“ Das gesamte Gelände wurde nach weiteren Teilen abgesucht, erzählt Christiane Kirch-Jacobi. Es wurde eine abgestürzte Person gefunden, die durch das Dach des Stalls gefallen war. Bei der Kollision kamen alle 71 Personen an Bord der beiden Maschinen ums Leben.

Sechs Monate zuvor war Christine Kirch-Jacobi aus Südafrika nach Überlingen gezogen. Während ihrer Zeit in dem afrikanischen Staat wurde es dort immer unsicherer, mit Gewalt in ihrer Nachbarschaft, zum Teil auch Überfällen auf Bekannte. „Dann kommt man nach Deutschland zurück, in der Idylle des Bodensees und dann stürzt da ein Flugzeug ab. Und man bleibt unbeschadet.“ Doch ganz spurlos ging der Absturz an ihr und ihren Kollegen nicht vorbei. Eine Kollegin sei danach wochenlang ausgefallen, berichtet sie. Und das Geräusch der tieffliegenden Hubschrauber, die in den Feldern nach Abgestürzten suchten, „das hat sich uns eingebrannt.“ Die Kinder der Mitarbeiter mussten in der Zeit danach zum Bus begleitet werden, damit sie nicht von Journalisten belagert werden konnten.

„Es ist niemand am Boden zu Schaden gekommen“, berichtet die 63-Jährige über den wohl größten Glücksfall an dieser Tragödie im Jahr 2002. Für sie sei damit zwar ein Gefühl der Unsicherheit verbunden – „es kann in jedem Augenblick etwas passieren“ -, aber auch die Dankbarkeit, dass niemand im unmittelbaren Umfeld verletzt wurde. Die Teile der Passagiermaschine verfehlten die bewohnten Gebäude, wenn zum Teil auch knapp: „Ich habe die Trümmerteile gesehen. Die waren wirklich neben Häusern, zwischen Häusern. Niemand, der dort gelebt hat, ist zu Schaden gekommen.“ Auch auf dem Camphill-Gelände wurde niemand verletzt, direkt bei den bewohnten Häusern seien auch keine Metallteile gefunden worden. „Als wäre über dieser Schule eine Schutzglocke gewesen.“ So wurde am nächsten Tag innerhalb des Geländes der Schulbetrieb so normal wie möglich weitergeführt. Da traf sie in einer Klasse auch wieder den Jungen, der sich zuvor wegen des Flugs seines Vaters an sie gewandt hatte. Er fragte sie: „Und was sagst du jetzt?“ Aber ihr fehlten die Worte.

Portrait:

Name: Christiane Kirch-Jacobi

Alter: 63 Jahre

Wohnort: Überlingen am Bodensee

Beruf: Schulleiterin beim „Haus am Mühlebach“ seit 2006

Mich verbindet mit der Region:
Für mich ist die Region mein sehr geschätzter Arbeitsort. Ich bin sehr verbunden mit der Bodensee-Region im Größeren, den Hegau zähle ich noch mit dazu. Wenn ich vom Norden wieder angefahren komme und dann die Hegau-Vulkane sehe, weiß ich: Jetzt bin ich Zuhause.

Das treibt mich in meinem Tun an:
Sonderschullehrerin war schon immer mein Traumberuf. Die Rolle der Schulleitung bringt ein hohes Maß an Verantwortung und manchmal auch ein hohes Stresslevel mit sich. Aber ich arbeite einfach gerne mit den Kindern, um sie zu begleiten und ihnen, trotz aller Widrigkeiten, die sie in ihrem Leben bereits erfahren haben, einen guten Start ins Erwachsenenleben zu geben.

Der Ort:

Foto: Lichtwald/Archiv
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In der Nacht des 1. Juli 2002 kam es über Owingen bei Überlingen zu einem Zusammenstoß zwischen einer Passagiermaschine aus Baschkortostan (Russland) und einer Frachtmaschine. Dass es zu dem Unfall kommen konnte, war laut Kirch-Jacobi „eine Verkettung von tragischen Vorfällen“. Unter den 71 Toten befanden sich zum größten Teil Schulkinder, die für gute Leistungen in der Schule mit einer Reise belohnt werden sollten.

Christiane Kirch-Jacobi | Foto: Susanne Dietz-Vollmar
Foto: Lichtwald/Archiv
Autor:

Anja Kurz aus Engen

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