Ein Besuch in der Talwiesenhalle
AfD-Bürgerdialog: Ein kleiner Aufsatz zu einem wichtigen Thema

Teilnehmer des Bündnis Demokratie auf der linken Seite des Eingangs | Foto: Anatol Hennig
3Bilder
  • Teilnehmer des Bündnis Demokratie auf der linken Seite des Eingangs
  • Foto: Anatol Hennig
  • hochgeladen von Anatol Hennig

Rielasingen-Worblingen. Das erste Mal auf einem AfD-Bürgerdialog, in diesem Fall am Freitagabend, 4. April, in Rielasingen. Und die Frage danach: Was macht man daraus als Journalist und als Bürger, der ein eigenes Gewissen hat? Eine Nachricht plus Kommentar? Das schien mir wenig geeignet. Zu viele Angriffe gegen alles, was derzeit Macht hat und zu viele Faktenchecks, die notwendig wären, das würde Wochen gehen. Ein Erlebnisaufsatz, so wie man das in der Schule mal gelernt hat? Da fehlt etwas. Also die Erwachsenen-Form des Erlebnisaufsatzes mit den Faktenchecks, die in angemessener Zeit im Zeitungsalltag zu schaffen sind: Ein Essay, einen Aufsatz. Subjektiv, wie Journalismus übrigens immer ist, aber für mich und mein Verantwortungsgefühl stimmig. Voila!

25,5 Prozent der Zweitstimmen holte die AfD bei der Bundestagswahl in Rielasingen, das ist mehr als ein Viertel. Und jetzt lud die AfD in die Talwiesenhalle ein. 300 Plätze, gut ein Drittel davon unbesetzt. Draußen vor der Türe rund 80 bis 100 Mitglieder des „Bündnisses Demokratie stärken“ auf der einen Seite vor der Halle und rund 30 bis 40 Linke und noch weiter links Orientierte auf der anderen Seite und natürlich Polizei. Aggressiv wurde es zwischen den AfD-Veranstaltungsbesuchern und den Demonstranten wenig, außer (etwas kindergartenmässig) wenn es darum ging, dass der politische Gegner fotografiert wurde, was laut polizeilicher Anordnung nicht erlaubt war.

Gegen den Stau von der Brücke springen?

Doch chronologisch: Ich fragte Ilse Pochaba und Steffen de Sombre vom Bündnis Demokratie, warum es ihrer Meinung nach das Phänomen AfD gibt? Ilse Pochaba sagt: „Die AfD gibt es wegen der Unsicherheit und sozialen Abstiegsängsten. Die Hoffnung ist, die AfD richtet es. Aber Hetze und 'Ausländer raus' löst das Problem nicht.“ Man habe Angst, dass die AfD die Demokratie kaputt macht.

Auch De Sombre sagt: „Wir haben große Probleme, wirtschaftliche Probleme, Kapazitätsprobleme in Kindergärten, Schulen, im Gesundheitssystem, im Wohnungsmarkt.“ Und er nimmt eine Metapher: „Aber wenn ich im Stau stehe, springe ich auch nicht von der Brücke, damit es vorangeht.“ Wenn man sich die AfD in die Regierung hole, dann müsse man damit rechnen, dass die Demokratie wie in Amerika den Orkus runtergehe. Beide hätten sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können, dass es notwendig wäre, so ein Bündnis zu gründen. Jetzt schon und das parteiübergreifend.

Innen in der Halle AfD-Plakate auf der Bühne, Wahlkampf eben. „Mut zur Wahrheit“ (fühlt sich irgendwie nach George Orwell an), „Freiheit für unser Wappentier“ und „Deutschland. Aber normal.“ Ich lausche den Gesprächen der Besucher des Bürgerdialogs: Die CDU tue so, als ob sie konservative Werte vertrete, aber das tue sie nicht. Die Freundin eines Besuchers aus Asien bekomme ihren Deutschkurs nicht bezahlt, aber „jeder hergelaufene Kanake kriegt es bezahlt“. So gehe das nicht weiter.

Bernhard Eisenhut (MdL) eröffnet die Veranstaltung: „Wir hätten die Halle gerne voller gehabt. Aber wir haben da draußen diese Störer, da traut sich der eine oder andere noch nicht her.“ Stören, das ist in Wirklichkeit der Markenkern der AfD, und dass die anderen immer schuld sind auch: „Herr Jahnke ist mit mir im Kreistag und wir versuchen da zu stören... ...Unser Fraktionsvorsitzende hat denen im Kreistag schon das fürchten gelehrt,“ sagt Eisenhut.

Die Redner werden vorgestellt: Anton Baron sitzt für den Wahlkreis Hohenlohe im Landtag in Stuttgart: „Das ist der Mann, der Frau Arass kontra gibt.“ Muhterem Arass, das ist die Landtagspräsidentin im baden-württembergischen Landtag. Und Anton Baron zeigt, was in ihm steckt: Er sei da trotz Männerschnupfen, ein AfD-Mann mache eben alles mit.

„Ich dachte ja, dass es Frauen und Männer gibt. Nachdem ich die Gestalten da draußen gesehen habe (die Demonstranten vor der Türe, Anm. d. Verf.), bin ich mir nicht mehr so sicher.“ Für ihn ist Friedrich Merz Pinocchiofritze. „So einen rückgratlosen Bundeskanzler brauchen wir nicht.“ Für solche emotional wirksamen Sätze gibt es natürlich Beifall, aber zugebenermaßen nicht nur bei AfD-Veranstaltungen.

Relevante Themen und Schnapsideen bunt gemischt

Baron sagt, die AfD sei mit ihrem Aufstieg die erfolgreichste Partei der Geschichte der Bundesrepublik. Der Totengräber der deutschen Automobilwirtschaft sei die CDU. Der Schuldige ist der politische Gegner und man macht sich selbst zum Helden. Differenzierung? Fehlanzeige. Kein Wort dazu, dass die weltweiten politischen Verwerfungen hier eine Rolle spielen könnten oder dass die Automobilwirtschaft gute Technologie möglicherweise zu lange in den Schubladen hat liegen lassen.

Baron sagt, die AfD habe die richtigen Lösungsansätze: Staatsreform, Sozialsystemreform, Steuern runter. Dabei wäre doch das Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl laut Institut der deutschen Wirtschaft dem Land am teuersten gekommen - mit am meisten ungedeckten Ausgaben. Die Berechnungen des Institutes sind relativ unverdächtig, weil nach dem Wahlprogramm der Linken am meisten Geld übrigbleiben würde. Und die Linken sind ja nicht gerade die Wirtschaftspartei.

Es ist allerdings nicht so, dass die AfD nicht auch Themen adressiert, die relevant sind und gleichzeitig von anderen Parteien nicht oder nicht transparent genug angegangen werden: Das Schweizer Steuersystem wird als Vorbild genannt, die zentrale Digitalisierung von Kfz-Zulassung und Führerscheinstelle angemahnt, die derzeit in jedem Landkreis eigens organisiert ist.

Dann wieder eine Schnapsidee: Stadtmarketingmanager seien entbehrlich. Die Stadt solle lieber Läden kostenlos anbieten, bis sich die Läden für den Unternehmer rentieren würden. Da brauche man keine Stadtmarketingleute dafür. Echt? Die Stadt besitzt die Gebäude meistens gar nicht, in dem die Läden sind. Vorher die Ladenbesitzer enteignen? Das wäre eine eher linke Idee. Fazit hier: Reichlich wirr.

Ordnungsrufekönig

Auftritt des „Ordnungsrufekönigs“ (O-Ton Eisenhut) des Deutschen Bundestages, Stephan Brandner: „Die mit den Ordnungsrufen wollen uns diskreditieren“, sagt er, ganz der arme Märtyrer. Und er würde gerne haben, dass die AfD Untersuchungsausschüsse einrichten könne, aber da fehlen noch die Mehrheiten dazu. „Wo ist das Geld geblieben, was wir in die Ukraine gepumpt haben?“ 

Auch der Anschlag auf die Nordstream-Pipelines sei einen Untersuchungsausschuss wert, aber leider auch hier: Kein Hinweis darauf, was diese Untersuchungsausschüsse für die internationale Stellung Deutschlands bedeuten würden, auch wenn ich mir die Fragen zu beiden Punkten persönlich ähnlich stelle, wen auch aus anderen Gründen. Aber ich ahne: Wenn man das jetzt untersucht, hat es internationale Folgen.

Aber die AfD will ja auch den großen Umbau: eine Milizarmee, eine Heimatverteidigung ohne internationale feste Anbindung nach dem Vorbild der Schweiz. Verschwiegen wird, dass in der Schweiz derzeit diskutiert wird, dass man ja ohne die großen Brüder und Schwestern um die Schweiz herum gar nicht verteidigungsfähig ist.

Politikkabarett

Brandner verkauft mit den Mitteln eines Kabarettisten scheinbar seriöse Politik. Die AfD würde immer gefragt, wo sie Lösungen anbiete. Aber, so Brandner: „Es ist noch pfiffiger, Probleme gar nicht entstehen zu lassen.“ Ein Allheilversprechen, was ich normalerweise eher von Influencern und Sekten kenne. Und dann irgendwann: „Wie fördert man transsexuelle E-Rikschafahrer*innen“ (O-Ton Brandner). Das ist zwar vielleicht am Stammtisch ein Schenkelklopfer, wird aber seriöser Politik für die Menschen in einem Land nicht ansatzweise gerecht, schadet der Atmosphäre, die es braucht, um in einem Land Probleme wirklich zu lösen, so dass die Menschen mitgehen können.

Aber darum geht es der AfD ja auch nicht: Man will stören und die Menschen für den eigenen Aufstieg nutzen, die wütend und enttäuscht sind. Und dafür muss man als Spaltpilz, als Spaltaxt agieren: „Völlig irre“, fasst Brandner die Kritik seines kabarettistisch vorgeführten Ausfluges zusammen, und dann: „Jetzt schaue ich in nicht irre Gesichter.“ Zusammenfassung: Die hier drin in der Halle sind die Richtigen und alle draußen sind es nicht.

So agieren Sekten. Parteien, die von Demokratie sprechen, sollten eine andere Sprache sprechen, wenn sie es denn mit der Demokratie ernst meinen. Die Rechnung der Redner geht auf: Das Publikum klatscht und steht auf. Sozialpsychologisch vorhersehbar. Endlich fühlen sich Menschen gesehen, die Anliegen haben und denen gefühlt andere politische Vertreter*innen nicht zuhören. Das Kalkül populistischer Macht.

Womit wir beim Trauerspiel wären, das sich da gerade abspielt. Einem Trauerspiel, das für dieses Land und für die ganze Welt gerade brandgefährlich ist. Wo die eigenen Partei-Kanäle scheinbar die Wahrheit sind und die freien Medien verunglimpft werden. Wo der politische Gegner nicht mehr als Mensch mit eigener und anderer Meinung geachtet wird, sondern als Verirrter geschmäht wird.

Widerspruch bei der Schmähung Würths

Der Schraubenunternehmer Reinhold Würth hatte vor der Bundestagswahl seine 25.000 Mitarbeiter davor in einem Brief gewarnt, die AfD zu wählen: „Bloß wegen ein bisschen Spaß an der Freude Rabatz zu machen und aus Unmut über die Ampelregierung die AfD zu wählen, ist einfach zu wenig. Meine Frage: Nachdem wir alles oder fast alles, was wir brauchen, haben – Arbeit, Urlaub, Gesundheitsversorgung, Reisefreiheit, Einkommen… …. – brauchen wir mehr?“, hieß es darin unter anderem.

In der Talwiesenhalle wurden dann die Verdienste von Würth runtergeredet: Würth verdanke der BRD seinen Erfolg. Und ich frage mich: Wenn das so ist für einen Unternehmer wie Würth, dann ist doch die Generalkritik der AfD an den herrschenden Umständen in der BRD dazu im Widerspruch, dann läuft doch vieles richtig in Deutschland. Hier spätestens beißt sich die Katze selbst in den Schwanz.

Aber um inhaltliche Logik oder gar Stimmigkeit geht es der AfD nicht, es geht um Störung, das haben die Sprecher auf der Bühne immer wieder selbst gesagt. Die Störung ist ein Ausdruck der Wut. Und die Wut, die haben, so nehme ich das zumindest wahr, in Deutschland gerade viele. Die Wut ist ein Symptom einer wachsenden Unzufriedenheit mit lauter Phänomenen, die sich nicht gut anfühlen und Stress verursachen im Land:

Wenn man keinen Facharzt mehr findet, wenn das Netto auf dem Konto und die wirkliche Kaufkraft auf dem Konto immer weniger wird, wenn das frühere „Schaffst-Du-was-wirst-Du-etwas“-Versprechen nicht mehr zu gelten scheint, weil die Spitzenbesteuerung mittlerweile beim 1,9-fachen des durchschnittlichen Bruttogehaltes greift und 1980 noch erst beim fünffachen Gehalt aufgerufen wurde, dann macht das langsam immer mehr Menschen einen dicken Hals.

Die AfD stellt sich als Therapeut dar, nutzt aber in Wirklichkeit nur die Wut der Menschen, um genau mit dieser Wut-Energie die eigene Macht aufzubauen – psychologischer Vampirismus.

Was ist zu tun?

Wie geht man denn dann mit Störungen der AfD um? Störungen sind erst zu verstehen und die Bedürfnisse dahinter in die gemeinsame Sache, in die Agenda zu integrieren, fasse ich an dieser Stelle einen Teil der Arbeit von Ruth Cohn zusammen, die ihre themenzentrierte Interaktion auch vor dem Hintergrund der Nazizeit entwickelte. Und dann sind die Probleme, die da sind, zu lösen. Da helfen keine Brandmauern, sondern ergebnisorientierte Politik. Wenn das gelingen sollte, wäre die AfD schnell Geschichte.

Zusammengefasst: Ich möchte nicht morgens in einem Land aufwachen, in dem der Umgangston so ist, wie ich ihn in der Talwiesenhalle erlebt habe. Culture eats Strategy for Breakfast, weiß man in der Wirtschaft. Diese AfD-Kultur, wie man sie in Rielasingen erleben durfte, würde alles auffressen, was wir an menschlichen und demokratischen Werten über die letzten Jahrzehnte in Deutschland und Europa aufgebaut haben und damit auch den Wohlstand, behaupte ich.

Die Wählerinnen und Wähler der AfD zu bashen führt allerdings nicht weiter, ebenso wenig wie Brandmauern. Also muss eine andere Kultur gewinnen: Die drängendsten Probleme in der Bevölkerung sehen und verstehen, Ärmel hochkrempeln und endlich die Probleme lösen und damit gute nachvollziehbare Sachpolitik betreiben, die auch argumentiert wird mit Für und Wider, liebe Politikerinnen und Politiker der gemäßigten Zone.

Teilnehmer des Bündnis Demokratie auf der linken Seite des Eingangs | Foto: Anatol Hennig
Anton Baron, AfD-MdL in Baden-Württemberg, auf dem Podium in der Talwiesenhalle. | Foto: Anatol Hennig
Linke und weiter linke rechts neben dem Talwiesenhalleneingang | Foto: Anatol Hennig
Autor:

Anatol Hennig aus Singen

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.