Nachdenken über die Zukunft der Innenstädte
Rundum Begegnung mit dem Weihnachtsmann

Wer kann sich noch an die Adventszeit der 50er Jahre in Singen in der Innenstadt erinnern? Da waren die Menschenmassen unterwegs, wenn in der Abenddämmerung in der Ekkehardstraße auf der Höhe des ersten Obergeschosses vorweihnachtliche Szenen zu sehen waren. Oder waren es auch Märchenszenen? Eines ist mir nur in der Erinnerung geblieben: Es war ein Erlebnis, manchmal auch ein bisschen kalt. Aber das gehört einfach auch dazu. Damals gab es noch nicht die Vordächer, getragen von der städteplanerischen Vision einer etwas anderen Einkaufskultur. Schaufenster anschauen war damals etwa so wie fernsehen, ein Blick in eine traumhafte Welt.

Heute erleben wir eine rundum gegebene Begegnung mit dem Weihnachtsmann. Er ist der Werbeträger aller Branchen, bisweilen auch Glücksbringer bis hinein in das eheliche Schlafzimmer. Wie wirkt er aber letztlich für den Handel, das Wohlergehen des Einzelhandels? Wie wichtig das Weihnachtsgeschäft ist, verdeutlichte der heutige City-Ring-Vorsitzende Karl Wager dem Gemeinderat einmal so: Der verkaufsoffene Sonntag vor Weihnachten entscheidet auch bei den Flagschiffen des Handels oft darüber, welche Farbe die Zahl im Jahresabsc hluss hat. Und in Konzernen frage später keiner danach, welche Praxis der jeweilige Gemeinderat bei der Genehmigung von Sonntagsverkäufen befürworte.

Unterwegs ist in Singen ein zweites Gutachten zu Neuansiedlungen in der City. Das Kunsthallen-Areal wird zur unendlichen Geschichte, das Bahnhofscenter erweist ist immer mehr als Planungssünde der Vergangenheit. Das war mit ein Grund für das Singener Wochenblatt, der Zukunft des Handels beim Politischen Aschermittwoch 2013 nachzugehen. Die Überraschung war, dass sich der Konflikt zwischen Innenstadt und „Grüner Wiese“ inzwischen anders darstellt, denn der gemeinsame große Konkurrent wird längst im Internet gesehen. Da tanzt nicht nur der Bär, sondern da rockt wahrlich der Weihnachtsmann. Und der Paketversand erlebt einen nie erwarteten Boom, bei dem viele an die Nachkriegszeit mit dem Versandhandel und dem fleißigen Packen von DDR-Paketen erinnert fühlen. 33 Milliarden Euro wurden 2012 in Deutschland im Internethandel umgesetzt, das waren 15 Prozent mehr als im Vorjahr, wobei das Bestellen im Katalog rückläufig ist. Zwei Zahlen noch: 2007 fanden 3 Prozent des Handelsumsatze im Internet statt, 2012 waren es 7,7 Prozent. Ein Autohändler sagte mir einmal, jeder dritte Autokauf werde im Internet angebahnt. Ja, das Schaufenster von heute!

Was wird nun aus unseren Innenstädten? Der Radolfzeller Handel hat sich früh mit den Zukunftsvisionen von Matthias Horx beschäftigt und einen seiner Mitarbeiter über künftige Gesellschaftsstrukturen im Milchwerk referieren lassen. Mich hatten die Lebensformen einer neuen Patchwork-Society nicht ruhen lassen. Ist denn die Innenstadt künftig ein Erlebnisraum zur Bespaßung von Kunden, die dann doch billiger im Netz kaufen? Kann das dann auch ökonomisch funktionieren? Der Animateur im Laden, der anonyme Kassierer im digitalen Netz? Das werde funktionieren, sagte mir später Horx-Mitgeschäftsführer Andreas Steinle in einem Gespräch im Brustton der Überzeugung. Der Handel werde sich ändern und die Gesellschaft eben auch. Vielleicht auch umgekehrt zuerst! Geblieben ist ein Kernsatz: Der Einzelhandel funktioniert mit dem Internet, aber nicht gegen dieses! Dabei darf es aber keine Halbherzigkeiten geben. Aber genau darauf stößt man bei einem digitalen Adventsbummel. Internet-Präsenzen verlangen permanente Pflege und damit einen erheblichen Personalaufwand. Wann fahre ich zu einem Werksverkauf oder einem Outlet-Shop? Nur dann, wenn die Öffnungszeiten im Internet stimmen. Wenn eine Tuttlinger Schuhfabrik den Umbau des Werksverkaufs gleich zweimal nicht kommuniziert bekommt, dann ist der Weihnachtsmann schon vorbei gegangen. Kundendienst hat viele Facetten, das zeigt die Probe aufs Exempel: Gibt es für die 1979 gekaufte Brotmaschine in der Küchenschublade vielleicht noch ein Schinkenmesser? Einfach unter „Kontakt“ anfragen und die Firma reagiert sogar zweimal und stellt die richtigen Rückfragen: Farbe der Antriebsräder und Form des Startschalters. Und so schneidet sich der Weihnachtsschinken wie von selbst! Aber auch hier ist der Kundendienst an den Menschen gebunden: Der richtige Bahn am Mail ersetzt die hilfsbereite Verkäuferin in Fachgeschäft? Alles natürlich eine Frage der richtigen Form der Kommunikation. Wie geht man miteinander um, und werde ich als Kunde ernst genommen?

Die Weihnachtsausstellung auf der Aktionsfläche ersetzt nicht unbedingt den Adventsbummel durch die City. Aber sie ist überall griffbereit. Man kann ihr nicht entgehen. Und im Internet? Da informiert man sich zwanglos zum Beispiel über Badmöbel. Und dann laufen Ihnen die Bilder dauernd im Netz nach. Und bei Büchern geht mir das ebenso: Sie haben sich doch auch interessiert. . . ? Das hat kein Weihnachtsmann zu mir in den 50er Jahren gesagt. Dafür war er leibhaftig mit Mandeln und einer Orange in der Hand vor mir gestanden. Aber das wird mir der virtuelle Kollege von ihm mir auch noch irgendwann anbieten . . .

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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