Harald F. Müller und sein Mut zu „stratozero“
Netzwerk, Denkfabrik, Ort der Kommunikation und Kunst
Es gibt wohl kaum einen anderen Künstler, der sogar seinen eigenen Bahnhof hat. Bei Harald F. Müller gab es am Seehas-Haltepunkt „Gaisenrain“ im Singener Süden, den er mit seinem Schüler Fabian Winkler (inzwischen Professor für Kunst und Design an der „Purdue University“ Lafayette, Indiana) 1998/99 in den Farben des Seehas entwickelte, den Bahnhof freilich schon vor seinem Lebensprojekt „stratozero.net“, das baulich 2015 begann. 2018 in Betrieb genommen, soll es aber bewusst für immer eine „Baustelle“ bleiben, sich also immer weiter entwickeln, sein Netzwerk immer weiter spinnen und dadurch auch immer weiter neue Konzepte entwickeln.
Der Gedanke, was nach seiner sehr intensiv gelebten Zeit als Kunsterzieher am Friedrich-Wöhler-Gymnasium geschehen könnte, die ihn sogar als Experten für die „Kunsterziehung“ im Kultusministerium aufsteigen ließ, beschäftigte Harald F. Müller schon sehr lange, wie er im Gespräch mit dem WOCHENBLATT sagte. Schon in der Schule war das für ihn viel mehr als Job gewesen. Als Künstler war er in ganz Europa mit seinen Fotografien, seinen Wortskulpturen, seinen Farbkonzepten und Farbplastiken unterwegs, die gemeinsam hatten, dass sie Räume einnehmen und auch neu definieren sollen. Und schon in der Schule war er Netzwerker, holte spezielle Künstler in die Kunst AG der Schule, die auch landesweit einen erstklassigen Ruf hatte. Und außerdem war sein bisheriges Atelier in den Gebäuden des alten Chorherrenstifts doch ganz schön abgelegen, was das Netzwerken in Präsenz doch schwer machte.
„Es war schon eine sehr fundamentale Entscheidung für mich, mit 65 Jahren noch einmal neu anzufangen, mit einem neuen Gebäude als Millionenprojekt“, unterstreicht Harald F. Müller die Bedeutung dieses Projekts, das nun eben mit einem Grundstein in der Mitte das neue Herz seines künstlerischen Netzwerks ist. Die Entscheidung für Singen war ihm da eine sehr bewusste, weniger weil der „eigene Bahnhaltepunkt“ tatsächlich hier im Gewerbegebiet Hardmühl Nord in einem kleinen Spaziergang erreichbar ist, sondern weil Singen eben zentral liegt, mit der Schweiz, Frankreich, Italien oder Österreich quasi vor der Haustüre. „Seit es das Stratozero gibt, kommen auch viel mehr Menschen zu mir“, freut er sich.
Neben Theaterinszenierungen wie etwa „Mosers Schweigen“ von der Färbe, Konzerten, Ausstellungen wird in der Halle des „stratozero“ viel und intensiv gearbeitet an vielen Konzepten. Denn eins muss man natürlich auch sagen: Harald F. Müller ist ein Künstler, dessen Kunst das Konzept ist. Den Pinsel nimmt er nur in die Hand, um aus seiner gigantischen Pigmentensammlung, Farben für Probeaufträge zu entwickeln. Die Fotos, die er ausstellt und entwickelt, sind fast immer Reproduktionen bestehender Fotos aus gedruckten Seiten. Seine neueste Entwicklung „Electrocuts“ werde in einem Rechenzentrum aus all seinen Bildern als sich ständig nach einem Logarithmus veränderndes Bild produziert. Darüber muss viel geredet werden, weshalb dieses „stratozero.net“ für Harald F. Müller Kommunikationszentrum ist, zu dem auch immer wieder Delegationen der verschiedensten Akademien für Kunst oder auch Architektur hier nach Singen kommen, um gemeinsam neue Ideen zu entwickelt. Der Mut dieser großen Entscheidung, so Harald F. Müller, hat sich gelohnt. Hier werden von Teamplayern neue Ideen entwickelt, denn für Harald F. Müller ist Kunst letztlich das, was aus Kommunikation oder auch Kollaboration entsteht.
Die Frage, wie „stratozero.net“ für eine Zukunft weiter besteht, beschäftigt dabei Harald F. Müller ungemein. Eine Stiftung wäre für ihn keine Antwort, weshalb er jetzt die Idee der Stratozero AG entwickelt hat, für die Interessierte „Kunstaktien“ erwerben können, die natürlich Kunstwerke und damit Unikate sind. Damit solle auch eine Stärkung der künftigen finanziellen Basis des Projekts erreicht werden, das für Harald F. Müller in seiner Vision immer schon ein Gemeinschaftsprojekt werden sollte. Ein Ort nicht nur der Begegnung, sondern auch des Zusammenwirkens, des Entwickelns von gemeinsamen Zielen, von Personen, die sich hier erst kennenlernen in der Halle des „stratozero“. „Es war die Entscheidung meines Lebens. Was hier ständig neu entstehen kann, zeigt, dass die für mich richtig war.“
Portrait:
Name: Harald F. Müller
Alter: 73 Jahre
Stationen des Lebens: Schon als Kind mit dem Vater im Stadtbauamt Karlsruhe, Studium der Freien Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie mit Ziel Lehramt an der Kunstakademie Stuttgart. Von 1979 bis 2016 Kunsterzieher am Friedrich-Wöhler-Gymnasium.
Erfolge: In der Region unter Anderem: „SINGEN“-Schriftzug an alten DRK-Haus Singen. Seehas-Haltepunkt „Gaisenrain“ in Singen Süd, Farbkonzept für das neue BSZ Radolfzell.
International: Konzepte für Google-Headquarter Zürich, Prime Tower Zürich, Institut für Weltraumforschung Uni Stuttgart, „WAGRAM“ – Fine Arts Nizza, „MONDIA“ Kartause Ittingen, „Fosse aux Lions“ Neuchâtel – und vieles mehr.
Digitale „Electro-Cuts“ aus dem Großrechner seit 2018.
Mich verbindet mit der Region: „Meine Kunst sollte immer Teil dieser Region sein.“
Der Ort:
Harald F. Müller mit dem Singener OB Bernd Häusler bei der Legung des Grundsteins, der natürlich nach dem Vorbild von Joseph Beuys in Spiegelschrift signiert ist, und übrigens eine Ausgabe des „Wochenblatt“ enthält.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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