Eine "Nacht des Schicksals"
Der "Stein der Weisen" bei der Entwicklung von Alucobond
Es war vor 45 Jahren gewesen, als der junge Leiter des damaligen Oberflächenlabors der ALU, Dr. Gerd Springe seinen Auftritt hatte, der für seine weitere Karriere aus heutiger Sicht von großer Bedeutung war. Damals war die Zeit, als der neue Werkstoff „Alucobond“ auf den Markt gebracht werden sollte. Den Markt für dieses sehr innovative Produkt, das heute um den ganzen Globus herum unter anderem für Fassaden sorgt, die in solcher Bauweise und Beständigkeit anders gar nicht machbar wären, gab es damals noch gar nicht. „Ähnlich wie beim iPhone haben wir hier damals ein Produkt entwickelt, für das durch das Produkt selbst der Markt erst entstanden war“, bringt es Dr. Gerd Springe auf den Punkt. Und damals war er ein Teil der Geburt gewesen, die freilich doch mit stärkeren Wehen verbunden war.
Alucobond ist, kurz gesagt, eine Platte aus Polyäthylen, die von zwei dünnen Aluminiumplatten umgeben ist. Doch die beiden Materialien dauerhaft zu verbinden, war eben gar nicht einfach. „Zusammen mit BASF haben wir damals Klebefolien entwickelt, mit denen die Materialien zusammenhaften sollen, das bedeutete freilich, dass hier unter Wärmeeinfluss fünf Schichten in einem Walzvorgang zusammengeführt werden mussten, und die Platten auch noch absolut plan für ihre weitere Verwendung sein mussten.“
„In den Probeläufen wurden damals erhebliche Mengen Ausschuss produziert, es war wirklich nicht einfach gewesen, die absolut richtige Temperatur, Geschwindigkeit und den richtigen Druck herausfinden, um gleichzeitig gute Haftung und Planheit zu erreichen“, erzählt Gerd Springe, der als Leiter des Oberflächenlabors mit zum Team gehörte. In einer der Nächte der Probeläufe, die sich oft lange hinzogen, sah er sich gefordert, da kein Gabelstapler verfügbar war, die Bahn für weitere Versuche freizumachen, indem er Berge von Ausschuss mit einem Kran packte, um das auf die Seite zu bringen. Und just in dieser Nacht schaute der Technische Geschäftsführer auch vorbei und entdeckte den jungen Mitarbeiter hier am Kran, wo er aber eigentlich gar nicht hingehörte. Er war offensichtlich erstaunt über die Eigeninitiative und Dr. Springe spürte, dass er nachdachte „Kurze Zeit später wurde ich schon zu einem Kaderkurs für Nachwuchsleute durch Alusuisse Europa eingeladen, bei dem mein Thema ‚Kundennutzen durch Beratung‘ gewesen ist, was auch etwas ganz Neues war, weil die Technik und der Verkauf damals noch strikt getrennte Bereiche waren, und den Verkäufern die technischen Eigenschaften mancher Produkte gar nicht so bekannt waren“, so Dr. Springe zum nächsten entscheidenden Moment. „Wie kann der Akademiker dem Kaufmann nutzen“, war ein Gegenvorschlag zum Thema gewesen.
„Es war die Lösung“, sagt Gerd Springe auch heute noch mit Stolz. Es galt für eine sichere Produktion von dem Zwang ganz enger Toleranzen der Produktionsparameter wegzukommen, um Reserven einzubauen. Da bot sich als Aktionsfeld die Haftung und Verklebung an. In Zusammenarbeit mit dem Alusuisse-Forschungszentrum in Neuhausen wurde eine zusätzliche Behandlung der klebeseitigen Oberfläche des Aluminiums erprobt. Das brachte im Team die Lösung. Bereits 1969 konnte dann das Alucobond auf den Markt kommen, der sich dann bald entwickeln würde. „Es war tatsächlich eine entscheidende Idee. Damit hatten wir endlich die Haftung bombensicher im Griff, und im Prozess machten sogar gewisse Wärmeschwankungen gar nicht mehr so viel aus.“
Dr. Gerd Springe hatte mit dieser Initiative die Visitenkarte für weitere Stufen auf der Karriereleiter hinterlassen. Bald kam der Vorschlag, eine Produktionsgruppe des Stammwerks im Wallis zu übernehmen, um Führungserfahrung zu sammeln. Als er nach einem Jahr nach Singen zurückkam, wurde ihm die Leitung des Walzwerks übertragen, dann von Produktion und Vertrieb der Folien und Alucobond, nach 12 Jahren Einsätzen in der Schweiz die Leitung der heutigen Constellium und von Werken in Frankreich und Tschechien und anschließend die Leitung der damaligen deutschen Holding. Sein Abschluss war mit einer Punktlandung verbunden gewesen. „Ich wurde am 3. Oktober 2000 65 Jahre alt, am 18. Oktober kam „Alcan“ und wollte viel umkrempeln.“
„Wie wichtig aber der Moment dieser Nacht war“, hebt Gerd Springe schon fast als Schicksalsfügung heraus. Denn, dass ein Technischer Geschäftsführer in der Nacht auftauche, komme vielleicht zwei oder drei Mal im Jahr vor.
Für den Ruhestand war Dr. Gerd Springe freilich dann noch zu jung, wie sein enormes Engagement in den folgenden 20 Jahren für das Standortmarketing „Singen aktiv“ zeigte.
Portrait:
Name: Dr. Gerd Springe
Alter: 88 Jahre
Stationen meines Lebens: Geboren in Hamburg, aufgewachsen Wasserburg am Bodensee, Studium zum Diplomphysiker mit Habilitation am Max-Plank-Institut Stuttgart als Metallkundler, ab 1976 Mitglied der Geschäftsführung von Alusuisse Singen, nach dem Ausscheiden von Dietrich H. Boesken Geschäftsführer in Singen bis 2000. Ab 2002 dann Vorstandsvorsitzender des Standortmarketings „singen Aktiv“ bis 2022.
Der Ort:
Ein Beispiel von vielen für die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten von Alucobond. Eine Moschee in Singapur.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
Kommentare