Interview mit Arbeitsforscher Dr. Hans Rusinek
Wer ist eigentlich für den Sinn im Leben und in der Arbeitswelt verantwortlich, Herr Dr. Rusinek?

- Der Arbeitsforscher Dr. Hans Rusinek nach dem Interview vor der Singener Stadthalle.
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Dr. Hans Rusinek, Arbeitsforscher, Buchautor, Dozent an der Universität St. Gallen und Berater hat am Abend des 12ten Wirtschaftsforums letzte Woche in der Singener Stadthalle die Keynote gesprochen. Das Wochenblatt hat ihn zu seinem Kernthema Sinn in der Arbeitswelt interviewt. Heraus kamen Perspektiven, die in heutiger Zeit irgendwie verstören und sich gleichzeitig völlig selbstverständlich und gesund anfühlen. Unter anderem geht es um körperliche Sinnerfahrung und um den scheinbar altmodischen Begriff des Tagwerkes, aber auch darum, ob Sinn nicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
Wochenblatt: Sie haben Ihre Doktorarbeit zur Sinnsuche in der Arbeit geschrieben. Sie sind im Think Tank 30 Deutschland des Clubs of Rome. Sie haben ein Buch mit dem Titel „Work Survive Balance“ geschrieben.“ Wessen Aufgabe ist denn die Sinnsuche in der Arbeit?
Rusinek: Also die einfache Antwort wäre: Die Sinnsuche ist natürlich eine Aufgabe von allen Beteiligten. Der Sinn wird sozial konstruiert, wir können ihn nicht aus uns selbst heraus schaffen. Das ist schon mal eine Kritik an bestimmten Social-Media-Phänomenen, die suggerieren, du musst deinen Sinn in irgendeinem Slogan finden, der dann festgenagelt ist.
Wochenblatt: Die Überschrift deines Lebens, der große Purpose.
Rusinek: Genau, so was. Die große Fessel. Meaningful work is a process, not an achievement. Es ist ein Prozess, nicht eine Errungenschaft in dem Sinne, dass man Sinn festnageln könnte. Das sind eher Ideen, die aus der Religiosität kommen oder aus bestimmten Social-Media-Diskursen. Sinn muss man gemeinsam machen.
Auf Ihre Frage: Ein Stück weit ist die Sinnsuche auf jeden Fall eine Bringschuld der Arbeitgeber. Ein Stück weit ist es aber auch eine Holpflicht der Arbeitnehmer.
Da gibt es zum einen die, die sagen, Arbeit ist Arbeit und Schnaps ist Schnaps. Ich hole mir mein monetäres Einkommen in der Arbeit und ich hole mir mein psychologisches Einkommen in der Freizeit, im Schrebergartenverein, in der Kirche, in der Familie etc. So eine Trennung, die funktioniert aber nicht.
Wochenblatt: Da sind wir bei Work-Life-Balance. Wenn man in die Wissenschaft schaut, sieht man ja: Work-Life-Balance ist zwar das gängige Konstrukt, was durch die Gegend getrieben wird, aber eigentlich geht es - wesentlich gesünder - um Live-Domain-Boundaries, also um die Gestaltung von Grenzen und Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Lebensbereichen. Und das ist etwas ganz anderes. Vielleicht können Sie da ganz kurz etwas dazu sagen. Da fängt ja quasi der Irrglaube an. Der Arbeitstitel für unser Interview ist, was auch immer unser Gespräch jetzt ergibt: Was verstehen wir an Arbeit derzeit falsch?
Rusinek: Sehr gut. Wenn man sagt, Arbeit ist Arbeit, Schnaps ist Schnaps, ich hole mir mein Geld im Job und mich interessiert es nicht, ob ich da mich da irgendwie entfalten kann, weil ich das ja dann mit meinen Kumpels am Stammtisch mache, dann funktioniert das nicht, weil wir ja ein und die gleiche Person sind. Ein und der gleiche Körper. Das heißt, wir nehmen unsere Zumutungen, die wir in der Arbeit erleben, mit nach Hause.
Es lässt sich nachweisen, dass Menschen, die versuchen, so einen Ablasshandel zu betreiben, mehr zu häuslicher Gewalt neigen, zu Depressionen und auch zu anderen Problemen. Denn Work-Life-Balance suggeriert ja, dass unsere Welt sich in zwei Waagschalen unterteilt, die man gegeneinander auswiegen könnte. Das eine ist das Leben live und das andere ist das Gegenteil vom Leben. Die Arbeit wäre dann der Tod oder die Hölle. Man gibt der Arbeit damit den Todesstoß, wenn man das mal zu Ende denkt.
Wochenblatt: … Zwei Pole sozusagen….
Rusinek: … und das ist natürlich schlecht für eine Arbeitswelt, in der Verantwortung wichtig ist. Und zudem ungesund. Deswegen dieses Work-Survival-Balance-Thema. Ich muss in der Arbeit schon eine gewisse Selbstautorenschaft haben, also selbst zum Gestalter werden, weil ich dort auch Mensch bin, weil ich dort ein Drittel meiner wahren Zeit verbringe, weil ich das mit nach Hause nehme, mit zu meiner Frau, meinen Kindern etc. Deswegen gibt es schon einen gewissen psychohygienischen Drang oder die Pflicht, würde ich sagen, sich in der Arbeit auch als Arbeitnehmer wirklich zu kümmern.
Mit Cocktailschirmchen auf Bali arbeiten
Das eine Extrem ist also die Totschlagserzählung, würde Dieter Thomä, der Schweizer Philosoph, das nennen. Das andere Extrem ist die Umarmungserzählung, die sagt: „Ich hole mir jegliches Einkommen in der Arbeitswelt, monetär wie psychologisch. Ich mache also eine Arbeit, die den New-Work-Klischees entspricht. Eine Arbeit, die man eigentlich nur noch ironisch Arbeit nennen könnte. Ich sitze auf Bali mit einem Cocktailschirmchen im Getränk und tippe ein bisschen was. Und das ist dann meine Arbeit. Und das ist natürlich auch nicht richtig.
Wochenblatt: …und dann kommt das passive Einkommen, tropft rein, flutet schon bald mein Konto…
Rusinek: … Was ja nur funktioniert, wenn Andere für einen arbeiten. Das ist ja immer das Ding. Jeder so ein Dubai-Solo-Unternehmer. Und ist ja im Grunde ein Schneeballsystem. Und diese Art von Umarmungserzählung, das ist nur eine scheinbar sanfte Umarmung, weil sie die Arbeit einfach gar nicht ernst nimmt.
Also Arbeit ist nicht immer nur Spaß. Und ich finde, im Deutschen gibt es das schöne Wort Leidenschaft dafür…
Wochenblatt: … Die Leidenschaft, die Leiden schafft.
Rusinek: Genau, genau. Oder auch, dass man im Deutschen ja auch zu Freunden sagt, du, ich kann dich leiden. Und das heißt, selbst wenn du mir heute keine Freude bereitest, halte ich das aus. Das ist eine Haltung zur Arbeit, die finde ich interessant.
Die doppelte Verwandlung bei sinnvoller Arbeit
Arbeit ist eine doppelte Verwandlung. Die bildet, indem wir etwas bilden, ein Gegenstand idealerweise. Aber da gibt es im Digitalen diese Entkörperung. Deswegen gehen Social-Media-Manager am Wochenende töpfern. Aber es gibt keinen Töpferer, der am Wochenende eine Social-Media-Schulung macht, um sich selbst zu spüren. Das heißt, Arbeit bildet, indem wir Dinge bilden. Das ist eine Art von Verwandlung.
Arbeit bildet uns auch selbst, indem wir etwas bilden. Das ist dieses sich Reiben an der Welt, diese doppelte Verwandlung. Das ist der dritte Weg zwischen dieser Totschlagerzählung, die sagt, den Sinn hole ich mir zu Hause, und der Umarmungserzählung, die Arbeit zur letzten Religion macht und zur einzigen Sinnquelle.
Wochenblatt: Was empfehlen Sie jetzt ganz pragmatisch dem Arbeitnehmer, der dieses Interview liest?
Rusinek: Genau, also die Sinnfrage ist das Interessante, nicht unbedingt die Antwort. Bei Wittgenstein steht das ganz schön, dass die Sinnfrage sich aufhört zu stellen, also die Sinnfrage beantwortet sich dadurch, dass sie sich nicht mehr stellt. Das heißt, wir sind in einem Modus erfüllter Fraglosigkeit.
Wochenblatt: Und wie kommt man da hin?
Rusinek: Auf sehr unterschiedlichen Wegen. Ich gebe ja an der Universität St.Gallen den Kurs zu sinnvoller Arbeit, was witzig ist, weil das Leute sind, von denen viele niemals mit den Händen arbeiten werden, wenn man das mal ganz zynisch sagen darf.
Und was ich denen dort hinstelle, sind fünf Kilo weißer Reis und fünf Kilo orangene Linsen. Das mixe ich in einem großen Topf und dann kriegt jeder eine Kelle von diesem Gemisch und muss das auseinander sortieren. Das ist dann erst mal frustrierend. Und das finden die auch nicht witzig. Ich habe das tatsächlich in einer Marina Abramović-Ausstellung gesehen in Zürich letzten Winter, das ist eine Performance von ihr.
Wochenblatt: Und was passiert dann?
Rusinek: Sie sitzen an einem runden Tisch mit Baustellenohrenschützern auf und dann wird sortiert. Man hat ein Blatt Papier und einen Stift, kann verschiedene Wege nutzen. Was sich dann nach einiger Zeit einstellt, ist eine Art von Flow, ist eine Art von erfüllter Fraglosigkeit, die sehr viel über Sinn zu sagen hat und über das Sinnliche an der Sinnfrage. Das Sinn und Sinnliche haben eine sprachliche Verwandtschaft, die ganz interessant ist, nicht umsonst sehr nah beieinander. Die Studenten, das sind oft Menschen, die werden bis zu ihrem Lebensende E-Mails schreiben, PowerPoints bauen und solche Sachen, Exceltabellen...
Und was die machen, ist, sie trennen Reis von Linsen Stück für Stück. Sie sehen, wie der eine Haufen größer wird, der andere größer wird und wie Ordnung entsteht. Das ist eine Qualität von sinnvoller Arbeit, die oft unterschätzt ist.
Vielleicht besteht der Sinn von Arbeit darin, dass sie uns einfach vom Tod ablenkt und von blöden Fragen, die uns quälen.
Wochenblatt: … also von den richtig existenziellen Fragen, wenn man so will, von den ganz großen Fragen…
Rusinek: Ja, ein Stück weit.
Wochenblatt: Und dann leben wir quasi. Und der Tod kommt ja sowieso irgendwann, der muss uns ja gar nicht jucken irgendwie.
Rusinek: Ob das Reis ist oder eine E-Mail oder ein Text, den Sie schreiben, das ist ein ganz kleiner Weltausschnitt. Wo sie das Gefühl haben, hier habe ich ein bisschen Kontrolle. Und das ist etwas sehr, sehr Therapeutisches.
Die Sinnfragen sind nicht zuletzt ein bisschen elitär, ehrlich gesagt. Ich diskutiere viel mit anderen darüber, ob diese ganze Sinnfrage nicht ein Luxusproblem ist. Denn eine Bäckerin oder ein Taxifahrer, der sozusagen konkrete physische Unterschiede macht in der Welt, jemanden transportiert oder Brot backt, für den stellt sich diese Frage nicht. Der hat was, was ihn körperlich macht, wie Heidegger sagen würde. Das ist da in der Welt. Und das geht so schnell nicht weg.
Der Möbelpacker weiß, was er getan hat
Ich habe einen Freund, der ist jetzt leider nicht mehr, aber eine Zeit lang war der zeitgleich Möbelpacker und Forschungs-Research Associate in Harvard für Makroökonomik.
Wochenblatt: …Gute Kombination….
Rusinek: … Und der meinte, wenn ich einen Hausstand in die fünfte Etage hochgeschleppt habe, dann habe ich darin alles erfahren, was es über Sinn zu wissen gibt. Was natürlich ein bisschen Diss war, im Sinne von: „da musst du nicht dazu promovieren, das mache ich, indem ich hier Möbel hochschleppe.“
Wochenblatt: Aber verständlich. Ich habe vor kurzem ein Interview gehabt mit zwei Mitarbeiterinnen eines Hospiz. Mit denen braucht man keine Sinnfrage diskutieren.
Maßstab 18 Meetings
Rusinek: Wie bei dem Möbelpacker. Da oben ist ein Klavier in der fünften Etage. Das ist da so schnell nicht weg. Nicht nur das, er spürt seinen Körper, er spürt die Erschöpfung, er ist rechtschaffend müde. Er kann am Abend sagen, das war ein gutes Tagwerk.
In der sogenannten Wissensarbeit, was ein blöder Begriff ist, weil jemand, der Taxi fährt oder Brötchen backt, auch mit Wissen agiert oder jemand, die Pflegerin ist, also in der Laptoparbeit, nennen wir das mal lieber so, ist der einzige Maßstab für Erfolg und Erschöpfung, 18 Meetings gehabt zu haben. Rechtschaffend müde ist man davor nicht, weil man kann nie richtig einen Schluss setzen. Der Tisch ist fertig, wenn er fertig ist. Wenn das Klavier in der fünften Etage ist, dann ist das so, das kann man nicht noch optimieren. Der Laptoparbeiter hat nie etwas vollendet.
Wochenblatt: Was mache ich jetzt mit diesen E-Mails? Jetzt habe ich diesen Versuch da gemacht, mit Reis und Linsen trennen und sitze vor meinen hunderten E-Mails und denke dann noch irgendwie, das ist ja größtenteils nur Bullshit-Kommunikation. Hätte mir früher jemand mit der Schreibmaschine geschrieben, hätte er sich fünfmal überlegt, was er mir da schreibt und vielleicht festgestellt, dass ihm die Arbeit zu viel ist…
Rusinek: … der Produktivitätsgewinn durch Kommunikation ist dadurch zugrunde gerichtet worden, dass wir viel mehr kommunizieren, als wir es vorher brieflich taten.
Wochenblatt: Wie funktioniert nun die Transformation von dem Linsenreisselbstversuch in den Arbeitsalltag?
Rusinek: Es gibt da zwei Wege. Es gibt den mutigen und den nicht so mutigen Weg. Der nicht so mutige Weg ist, dass es ja nicht nur die Lohnarbeit gibt, sondern auch die Care-Arbeit, die gesellschaftliche Arbeit und die Selbstarbeit.
Nur Lohnarbeit raubt sich selbst den Boden
Also sich um Kinder kümmern, sich in Vereinen engagieren und sich selbst um seine Hobbys kümmern. Und das kann man tun, um Sinn zu erleben. Man darf diese drei anderen Dimensionen nicht vergessen, sondern man muss die zu einer Sinnquelle machen.
Eine Lohnarbeit, die sich nur als Lohnarbeit versteht, die raubt sich den Boden, auf dem sie steht, weil es dann keinen Nachwuchs mehr gibt, keine Care-Arbeit mehr gibt, keine politische Stabilität, weil der gesellschaftliche Zusammenhalt flöten geht aufgrund von geringerer Ehrenamtsquote und Menschen sich wahnsinnig erschöpfen. Das sind alles Phänomene, die wir derzeit haben.
Das heißt, diese anderen drei Arbeitswelten stark zu machen und dafür ein Bewusstsein zu schaffen, auch als Führungskraft, das sind Sinnquellen, das sollte man auf jeden Fall machen. Nicht, weil man ein Gutmensch ist, sondern das sollte man machen, weil das im wirklich ureigensten Arbeitgeberinteresse ist.
Führungsaufgabe: Mehr körperliche Erfahrung in der Arbeit
Wochenblatt: Was ist der zweite, schwierigere Weg?
Rusinek: Der andere Weg wäre, dass man in dem Feld Lohnarbeit mehr körperliche Erfahrung ermöglicht. Zum Beispiel Meetings in Spaziergänge verwandeln.
Wochenblatt: Das kann die Führungskraft selber tun, das kann die Organisation tun?
Rusinek: Genau. Es geht um teilweise ganz banale Dinge. Ich hatte eine Chefin, die war großartig in der Hinsicht. Man muss sich manchmal daran erinnern, dass es auch gute Führungskräfte gibt. Und die hatte in ihrer E-Mail immer in der Signatur stehen: „Ich schreibe diese E-Mail zu relativ wahnwitzigen Uhrzeiten, das heißt aber nicht, dass du sie zu diesen Uhrzeiten auch beantworten musst.“ Das ist ein klares Signal, ihr könnt den Laptop zuschließen, ihr habt ein Recht auf Unerreichbarkeit. Das ist eine ganz einfache Sache.
Wochenblatt: Das ist eigentlich eine Abgrenzung des eigenen Ichs von dem, was man so an Schwächen hat.
Rusinek: Die Umarmungserzählung versucht sozusagen Rolle und Person ineinander aufzulösen. Du bist immer Key Account Manager in diesem Startup. Und das ist nicht gesund so. Dafür zu sorgen, dass Mensch und Rolle zwei Aspekte bleiben, ist ein Weg. Das andere ist, das habe ich mit einer Firma mal gemacht, die ich beraten habe, da haben wir in die Outlook-Terminspalten als Optionen geschrieben: „Große Waldrunde, kleine Waldrunde.“ Ich hatte auch schon Bewerbungsgespräche beim Waldspaziergang gemacht, weil die Leute da noch weniger schauspielern können.
Wochenblatt: Man läuft in die gleiche Richtung…
Rusinek: … Man schaut sich bei solchen Spaziergängen auch nicht in die Augen. Das hilft manchen Leuten auch, gerade wenn man sich nicht gut kennt. Es ist ein bisschen wie bei dieser Reisübung, so, dass ich noch gar nicht ganz verstanden habe, was da alles drin steckt.
Keyaccounting als Gottersatz
Die Sinnerfahrung ist eine gesellschaftliche Ressource, die entscheidend ist für ein gutes Leben. Wir sind in einer posttranszendentalen Zeit, wo wir Gott getötet haben. Und deswegen versuchen wir, unseren Sinn als Key-Account-Manager zu finden. Deswegen ist ja dieses Phänomen auch relativ modern.
Wochenblatt: Das hat die Welt, auch wenn ich nicht allzu religiös bin, ganz schön armselig gemacht. Unromantisch in gewisser Weise.
Rusinek: Ja, aber ich finde, das ist dann doch das große Thema.
Wochenblatt: Aber wenn man die Dimension aufmacht, in der Gott tot ist sozusagen, weil wir ihn getötet haben...
Rusinek: …Spirituelle Obdachlosigkeit….
Wochenblatt: Aber was machen wir denn damit? Der Key-Accounter kann ja nicht die Antwort sein. Das hat ja keine Tiefe. Das hat ja auch nichts, was mir Halt gibt. Wenn ich die Umsatzerfolge nicht mehr habe, dann bin ich auch tot…
Rusinek: Ich glaube, für viele hat Umsatzerfolg eine Art von spiritueller Leerstelle gefüllt.
Wochenblatt: Solange es funktioniert….
Rusinek: Wenn man sich einfach mal vorstellt, wie haben denn unsere Ururgroßeltern gearbeitet? Mein Ururgroßvater war Schmied in Ansbach. Im Freilichtmuseum Ansbach steht nämlich noch seine alte Schmiede. Ich habe sie noch nicht angeschaut, aber sie ist ja wieder aufgebaut. Und sein Sohn war natürlich auch Schmied. Das war ja ganz klar. Er hat sich nicht gefragt, „was ist my most meaningful workplace?“ Er hat gemacht, was sein Vater gemacht hat, weil er in der Schmiede stand. Er hat sich auch nicht gefragt, wie er ein besserer Schmied werden kann als alle anderen.
Er hat auf seiner selbstversorgerischen Logik gearbeitet. Das heißt, die Frage, ob ich in meinem Partner oder meiner Partnerin die Liebe fürs Leben finde und in meinem Job den sinnvollsten Job, den ich mir vorstellen kann, sind extrem moderne Phänomene. Früher hat man aus sozialen Gründen und lokalen Gründen die Person geheiratet, die gerade verfügbar war, und genauso hat man auch gearbeitet.
Deswegen sind das moderne Dinge, die in eine Zeit fallen, wo es weniger Sinnquellen gibt. Wir gehen nicht mehr so viel in die Kirche oder auch das Vereinswesen ist mittlerweile nicht besonders stark aufgestellt. Familien haben einen anderen Stellenwert.
Das heißt, die Arbeit wird zu einer letzten Sinnquelle und es ist gesellschaftlich sicher gut, andere Sinnquellen noch mal stark zu machen. Das kann alle möglichen Formen haben. Das kann dafür sorgen, dass man mehr Parkflächen hat in Städten.
Das kann dafür sorgen, dass die Gender Pay Gap gesenkt wird. Das lässt sich in viele Ecken rausklamüsern. Es gibt Ruth Yeoman, in Oxford, eine sehr wichtige Forscherin in meiner Debatte, die macht gar nichts mehr zu Meaningful Work, die macht nur noch was zu Meaningful Cities. Sie guckt sich an, wie man sinnvolle Städte gestalten kann.
Wochenblatt: Da geht es dann um die Atmosphäre, in der man lebt.
Rusinek: Räume, in denen man nicht konsumieren muss.
Wochenblatt: Wunderbar. Das gibt es fast gar nicht mehr.
Rusinek: Es gibt von Michael Sandel, einem Ethiker aus Harvard, ein schönes Bild, das ich das erste Mal gelesen habe, der redet über die Baseballstadien seiner Kindheit. Da war die Differenz zwischen dem billigsten und dem teuersten Ticket minimal 2 bis 3 Dollar. Der Fabrikbesitzer saß neben dem Arbeiter. Dann saßen die zusammen in diesem Stadion in der gleichen Reihe und haben sich das gleiche Spiel angeguckt. Heute ist die Differenz zwischen dem billigsten und dem teuersten Ticket Zehntausende von Dollar. Die sitzen auch nicht mehr nebeneinander. Es gibt eine VIP-Lounge, die wie ein UFO oben drauf ist. Die haben nicht mal den gleichen Parkplatz. Andere Räume dieser Gemeinsamkeiten, dieses Zusammenkommens, gibt es ja auch nicht mehr.
Wo kommen wir eigentlich noch zusammen?
Das heißt, wo kommt man eigentlich zusammen und trifft aufeinander und erlebt Resonanz. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die wichtig ist. Es reicht nicht, Geld auf die Leute draufzuwerfen. Wir haben mit Daimler und anderen Firmen diese Purpose-Projekte gemacht. Wobei ich bei Dieter Zetsche tatsächlich überrascht war. Der hat mit mir über die nikomachische Ethik gesprochen. Aber sonst gibt es das eher nicht so. Manager sind meist nicht so philosophisch interessiert. Die sind interessiert an „Winning the War for Talents, Change-Management wirklich umsetzen, dass die Mitarbeiter mitmachen, Frustration verringern etc.“ Und dafür ist diese Sinnfrage einfach ein sehr, sehr wichtiges Vehikel. Und deshalb finde ich es sehr interessant, darüber nachzudenken, was ist eigentlich eine Meaningful Society.
Wochenblatt: Inspirierende Ideen für eine Seite im Wochenblatt, danke Ihnen.
Rusinek: War ein ganz tolles Gespräch.
Autor:Anatol Hennig aus Singen |
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