Wirtschaftsforum Singen:
Schauen wir uns noch in die Augen, um zu verstehen?

- Kann man selbst mal ausprobieren: 30 Sekunden in die Augen schauen und eine Person stellt sich etwas vor, was sie freut, die andere schaut nur der Person in die Augen, ohne etwas zu wollen. Die Wirkung ist auf dem Foto zu sehen: Es entsteht echte Resonanz. Links vorne der Singener Steuerberater Michael Frank, im Hintergrund rechts stehend Dr. Arndt Zeitz als Leiter des Workshops.
- Foto: Anatol Hennig
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Singen. Mit 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern tagsüber hatte das zwölfte Singener Wirtschaftsforum letzte Woche in der Singener Stadthalle etwas weniger Zuspruch als in den Jahren zuvor. Dabei muss man bemerken, dass die Qualität und Themenausrichtung der Veranstaltung mehr Führungskräfte aus Wirtschaft, Verwaltung und aus dem Sozialbereich verdient gehabt hätte. Oder anders herum: Man hat etwas verpasst, wenn man nicht dabei war.
„Wozu das alles“ war der Titel des Forums und es ging darum, wofür sich Arbeit wirklich lohnt. Vorab: Um Geld ging es nur am Rande. Wirtschaftsjournalist Michael Gleich, Moderator des Tages, unterschied zum Start zwischen Sinn und Zweck, was in Deutschland ja oft in einem Atemzug erwähnt wurde. Der Zweck einer Straße sei, dass sie gut befahrbar sei, der Sinn sei, dass sie Menschen verbinde. Um den Zweck ging es in der Stadthalle letzten Donnerstag wenig, um den Sinn umso mehr.
Die Workshopgeber des Tages waren Dr. Arndt Zeitz (Daimler Truck AG), Daniela Christen (New-Work-Impulsgeberin) und Maximilian Baumann (Bereichsleiter Human Ressources der Gestalterbank). Es ging tagsüber um Employer Branding, um New Work und um psychologische Sicherheit. Einfacher: Darum, wie sehen und hören wir uns im Arbeitsleben eigentlich?
Der Autor hat sich dafür entschieden, sich auf das Thema psychologische Sicherheit zu fokussieren, damit die Leserinnen und Leser des WOCHENBLATTs inhaltlich etwas aus dem Forum mitnehmen können. Dr. Arndt Zeitz, Head of People and Organizational Development bei der Daimler Truck AG, war Pate des Themas.
Warum ausgerechnet psychologische Sicherheit? Die Daimler Truck AG ist 2021 aus der Daimler AG per Spin Off hervorgegangen, hat weltweit über 100.000 Mitarbeiter*innen und das Unternehmen musste sich nach dem Spin Off neu aufstellen, Führungsverständnis und Werte wollten neu definiert werden. Und „zuhören ist als Führungstechnik offensichtlich, daran kommt man nicht vorbei“, so Zeitz. „Zuhören“, sagt er, „ist am unterschätztesten“. Gleichzeitig warnt er vor einer „Harmoniesoße“: Vermeidung von Konflikten führe zu Ineffizienzien. Es gehe darum, den idealen Konfliktbereich zwischen den Extremen künstlicher Harmonie und gemeinen persönlichen Attacken zu finden.
Und damit kommt die psychologische Sicherheit ins Spiel: Damit Konflikte, also beispielsweise, drüber wie das Ziel richtig definiert wird für ein Projekt, überhaupt entstehen können und dann gut gelöst werden können, brauchen Führungskräfte und Mitarbeiter Räume, die zu schaffen sind. Eine Atmosphäre, in der man sich als Mensch sicher genug fühlt, um auch über die „heißen Themen“ zu sprechen. Sicher fühlen sich Menschen, wenn sie sich als Mensch gehört und gesehen und akzeptiert fühlen.
In seinem Workshop gab Zeitz eine Kostprobe, was das wirklich bedeutet: Nach einem Youtubevideo von Amnesty International, in dem sich wildfremde Menschen aus unterschiedlichen Kulturen vier Minuten lang in die Augen schauen, konnten die Workshopteilnehmer selbst probieren: 30 Sekunden sollte eine Person an etwas denken, was Freude bereitet und die andere Person schaut ihr in die Augen. Ein Versuch, den man im Alltag gut ausprobieren kann: Nichts sagen, nichts anderes denken, sondern nur einmal einer Person, die an etwas schönes denkt, in die Augen schauen und spüren, mitfühlen, dabei sein. Die Übung wurde wiederholt mit Gedanken an etwas, was besorgt und mit etwas, auf was man sich in Zukunft freut. Arndt reflektierte: Es war eine so positive Stimmung im Raum, als das die Workshopteilnehmer geübt haben. „Damit kann man Arbeitskultur gestalten.“
Denn: Es ging nicht um das Zuhören und schauen, mit dem man schon wieder irgendwo hin will mit dem anderen Menschen. Sondern es ging um absichtsloses zuhören und sehen. Um verstehen wollen, auf der Sachebene und auf der emotionalen Ebene. Quasi als Kontrastmodell zu der Mail- und Messengerkommunikation der Neuzeit.
In Unternehmen ist das deshalb wichtig, weil die Abwesenheit von psychologischer Sicherheit für Unternehmen letztlich gefährlich: „Jemand sieht ein Problem“; sagt Arndt, und denkt: „So wichtig ist es nicht.“ Warum? Weil er sich zu verletzlich fühlt, um etwas zu sagen und damit in die Zukunft positiv einzugreifen. „Rüstung (gemeint ist die eigene mentale Ritterrüstung) verdeckt Schwachstellen.“
Bei der Daimler Truck AG sind regelmäßige Mitarbeitergespräche für Führungskräfte auf dieser Basis Pflicht. Das Motto: „Niedrigschwellig und verbindlich“. In der Fish-Bowl-Reflektionsrunde zum Schluss sagte eine Teilnehmerin als Ergebnis des Tages: "Wenn wir uns wohlgesonnen sind, kriegen wir das auch hin.“ Wobei "das" sichtlich für ganz vieles stand.
Autor:Anatol Hennig aus Singen |
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