Gesprächsabend im Kunstmuseum
Migration als Tradition
Singen. „Hintergründe verstehen, Raum geben, zusammenkommen!“ So fasst Martin Zimmermann vom Verein inSi e.V. die Ziele des Events zusammen. Der Verein lud unter dem Titel "Wir in Singen" am Donnerstagabend, 11. Juli, in Kooperation mit dem Kunstmuseum Singen zu einem gemeinsamen Gespräch über die Geschichte und Entwicklung der Migration in Singen ein.
Die Stadt hat einen hohen Anteil an Menschen mit ausländischen Wurzeln. Mit 52 Prozent sind es sogar etwas mehr als die Hälfteder Einwohner. Die Geschichte der Migration in Singen geht allerdings weiter in die Vergangenheit zurück als mancher vermutet. Zeit also, zusammen eine Reise in frühere Jahrzehnte zu unternehmen und auch einen Blick in die Gegenwart zu werfen, fand der Verein inSi e.V., der sich aus der Helferkreis HAsyliS gründete, um neu ankommende Menschen in der Region zu unterstützen.
Schon im 19. Jahrhundert Gastarbeiter in Singen
Historiker Simon Götz von der Universität Konstanz gab den Anwesenden zunächst einen Überblick über die Geschichte der Migration in Singen. Bereits im Jahr 1899 waren zehn Prozent der Einwohner ausländische Staatsangehörige. Es waren größtenteils Menschen aus der Schweiz und Tirol, die beim Eisenbahnbau, als Pflasterer oder Maurer tätig wären. Frauen, insbesondere Italienerinnen, arbeiteten vor allem als Schneiderinnen. Mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg kehrten allerdings die meisten Gastarbeiter zurück in ihre Heimat. Erst im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der neu gegründeten Bundesrepublik wurde Singen nach dem 2. Weltkrieg erneut Ziel von Arbeitsmigration. 1955 kam die erste große Welle ausItalien, 1960 folgten Gastarbeiter aus Griechenland, 1961 aus der Türkei und 1968 schließlich aus Portugal und Jugoslawien.
Wassermelone? Was ist das?
Unter Moderation von Martin Zimmermann und Melina Tachtalis, ebenfalls voninSi e.V., erzählten Fatima Gomes, Vito Giudicepietro, Simon Tachtalis und Stavros Tachtalis von ihren Erfahrungen. Alle vier gehören der sogenannten „zweiten Generation“ von Arbeitsmigranten an. Dass Gastarbeiter ihre Familien mit nach Singen nahmen, war zunächst allerdings nicht möglich. Oft lebten mehrere Männer zusammen in einer Wohnung. Und erst mit den Jahren durften zuerst die Ehepartner und anschließend die Kinder nachkommen. „Anfangs sahen Kinder ihre Eltern nur im Sommer“, erinnert sich Fatima Gomes. Auch wollte man zunächst aufgrund des Heimwehs und der Sprachbarrieren noch unter sich bleiben. Erst durch den Familiennachzug löste sich die Separierung der Gastarbeiter nach nationaler Zugehörigkeit nach und nach auf. Dabei wurde auch klar, dass die Gastarbeiter nicht – wie zunächst geplant – nach ein paar Jahren wieder in ihre Herkunftsorte zurückkehren würden, sondern Singen ihre neue Heimat war.
Neues gab es aber nicht nur für die Gastarbeiter. Simon Tachtalis erzählte, wie groß die Augen wurden, wenn man früher am Kantinentisch eine Wassermelone aß. „So etwas kannten die Deutschen noch nicht“, meinte Tachtalis. Schließlich entstanden die ersten Vereine, wie das Centro Português 1970, man veranstaltete die ersten gemeinsamen Feste und machte es sich langsam heimisch in Singen. Kirchen, Sportvereine und Tanzgruppen übernahmen eine wichtige Rolle bei der Integration. Aber auch das Kino war ein bedeutender Treffpunkt. „Wenn früher in der Rielasinger Straße ein italienischer Film gezeigt wurde“, erinnert sich Vito Giudicepietro, „dann war die Schlange vor dem Kino gewaltig und man musste den Film mehrmals laufen lassen.“ Giudicepietro war übrigens der erste Singener Gemeinderat mit italienischer Herkunft. Er meinte, auch mit Blick auf die heutige Situation, dass „Integration durch Einmischung und Einbringung entsteht“. Es bleibt zu hoffen, dass in 60 oder 70 Jahren erneut solche Erfolgsgeschichten über die gegenwärtige Situation erzählt werden können.
Autor:Patrik Silberling aus Singen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.