BUND fordert neue Berechnung
Klinik-Standorte Radolfzell und Singen sollen bleiben

Klinikareal Singen am Hohentwiel. | Foto: Archiv
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Radolfzell/ Singen. Die Ortsverbände Singen und Radolfzell des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprechen sich aus ökologischen, finanziellen und praktischen Gründen für Sanierung und Ausbau der bisherigen Krankenhäuser in Singen und Radolfzell aus, wie sie am Freitag in einer Medienmitteilung vermittelten.

Die BUND-Oertsvereine  betonen darin, dass ökologische und ökologisch-finanzielle Kriterien in die Standort-Entscheidung einfließen müssen. Die Verantwortlichen des Umweltverbands bewerten die vorgeschlagenen Neubaustandorte in Singen und Radolfzell-Böhringen derzeit nicht. Dies unter anderem deshalb, weil bislang keinerlei Gutachten beziehungsweise keinerlei fachliche Aussagen zu den ökologischen und klimatischen Wirkungen eines Krankenhausbaus dort vorliegen würden.

Viele Kreisräte, Gemeinderäte, Oberbürgermeister und Bürgermeister sowie andere politisch Verantwortliche bevorzugen derzeit einen Neubau des Krankenhauses an einem neuen Standort. Diese Bevorzugung fußt auf einem Struckturgutachten, das im März vorgestellt wurde. Der BUND betont, dass dieses Gutachten aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg stammt. Die Verhältnisse hätten sich seither dramatisch verändert und die aktuellen finanziellen Entwicklungen hierzulande zwängen zu einer Neubewertung, betont der BUND, und fordert einen akribischen Kostenvergleich zwischen einer Sanierung  beziehungsweise dem Erhalt der bisherigen Standorte einerseits, und einem großzügigem Neubau andererseits unter Berücksichtigung von Fördermöglichkeiten.

Bei diesem Vergleich müssten alle Kosten für neue Infrastruktur und Begleiteinrichtungen sowie den bei Großprojekten in unserer Zeit üblichen Kostensteigerungen bei Neubauten berücksichtigt werden. Eine momentan kaum zu benennende Größe, die aber ins Kalkül gezogen werden müsse, sei die jetzige und eventuell zukünftige mögliche Preisentwicklung im Rahmen der allgemeinen Verknappung von Baumaterialien.

Die BUND-Forderungen im Detail: Die Gesamtbetrachtung aller Kosten müsse die von nachziehender Infrastruktur wie neue Parkhäuser,  einem Bahnhaltepunkt, Bushaltestellen, die Zufahrtsstraßen, die Klimawirkung des Baus, die Klimawirkung im Betrieb, die Auswirkungen des zusätzlichen Verkehrs, ökologische Ausgleichsmaßnahmen, den Verlust an Artenvielfalt  und ökologische Schäden sowie finanzielle Kosten durch den Flächenverbrauch beinhalten, also die gesamtgesellschaftlichen Kosten. Auch die möglichen Kosten für die Umnutzung der ursprünglich genutzten Bestandsgebäude seien zu berücksichtigen.

»Ein zweites Gutachten sollte die Zahlen des vorliegenden Gutachtens mit dem Hintergrund der Klimawirkung, der Baukostensteigerungen und des potenziellen Bedarfs überprüfen«, so der BUND in seiner Mitteilung. Der BUND fordert, die Alternativenprüfung sorgfältig zu wiederholen - unter den neuen Gesichtspunkten, die sich in den letzten zwei Jahren summierten.

Ökologische Kriterien: In einer Zeit des für alle greifbaren Klimawandels und zugleich eines großen Insekten- und Artensterbens müssen bei der Standortsuche für ein so flächenfressendes Projekt und bei der Prüfung möglicher Varianten ökologische Kriterien auf jeden Fall einbezogen werden, betont der BUND. Bei welchem Standort ist der Flächenfraß, die Neuversiegelung von Böden, am geringsten? Welche und wie viele Biotope mit welchem Wert werden zerstört? Welcher Standort ermöglicht die nach ökologischen Kriterien beste Verkehrsanbindung – ggf. auch mit Bau neuer Zug- und Bushaltestellen? Bei welchem Standort ist die Anreise von Patienten, Besuchern und Angestellten mit öffentlichen Verkehrsmitteln am ehesten möglich? Das sind nur einige der Fragen.

Ökologisch-finanzielle Kriterien: Aus der Notwendigkeit der ökologischen Vorsorge und des gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichs ergeben sich für die Naturschützer eine Reihe zusätzlicher, bisher nicht beachteter Kosten, die beim Vergleich der Standorte berücksichtigt werden müssen: zum Beispiel, dass bei Waldverlust nach dem Landeswaldgesetz ein Ausgleich von mindestens 1:1 vorgeschrieben ist, also mindestens eine neue Baumpflanzung für jeden gefällten Baum. Ausgleiche nach dem Naturschutzrecht, also für zerstörte Brut- und Nahrungsplätze sowie für Schutzgüter wie Boden, Grundwasser kämen hinzu. Werde ein Standort gewählt, der überwiegend landwirtschaftlich genutzt wird, so ist nach Auffassung des BUND ein Flächen- oder Geldausgleich für diejenigen bäuerlichen Betriebe erforderlich, die heute dort wirtschaften – zusätzlich zum Ausgleich für das Schutzgut Boden. Grundwasser- und Hochwasserschutz, die Erreichbarkeit des Krankenhauses mit öffentliche Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder zu Fuß, sind weitere Themenfelder, die in die Kalkulation einfließen müssten.
Flächengröße bei Neubau
Je nach Betrachtungsweise sind bis zu drei Standorte für das Großkrankenhaus im Kreis Konstanz im Gespräch, einer in Radolfzell-Böhringen, einer in Singen-Nord und der Standort des bisherigen Krankenhauses in Singen, mit einer möglichen Teilnutzung der Radolfzeller Klinik.
Der BUND hat ermittelt, dass die in Anspruch genommene Fläche des Großkrankenhauses Villingen-Schwenningen 700 mal 700 Meter oder 49 Hektar umfasst - mit allen Nebengebäuden, Parkhäusern, neu gebauten Zufahrtsstraßen und Bus-Infrastruktur.

Da der Kreis Konstanz mehr Einwohner hat als der Schwarzwald-Baar-Kreis und da es die Tendenz gibt, im Lauf der Jahre eher größer als kleiner zu bauen, geht der BUND von einem Flächenverbrauch für das geplante Großkrankenhaus von bis zu 100 Hektar aus, eine Fläche so groß wie der Mindelsee oder so groß wie 143 Fußballfelder.

Gesetzlicher Rahmen und Vorsorge: Auch am Tag der Berichterstattung über die Planungen zum neue Großkrankenhaus betonten Wissenschaftler, dass es beim Klimawandel und beim gleichzeitigen großen Insekten- und Artensterben um nicht weniger als das Überleben von uns Menschen geht. »In dieser Lage brauchen wir buchstäblich jeden Baum, und wir können es uns einfach nicht mehr erlauben, hektarweise Natur zu versiegeln«, so der BUND.

Die Vertreter des BUND haben den Eindruck, dass die Verantwortlichen Wald, Äcker und Biotope genauso leichtfertig preisgeben wie schon immer in den vergangen Jahrzehnten. Es geht nach Auffassung des BUND eben nicht allein darum, ob unsere Gesundheitsvorsorge kostengünstiger organisiert werden kann, sondern auch, ob unsere Kinder und Enkel auf dieser Erde noch werden leben können. Der BUND fordert alle Verantwortlichen – wie Klinikplaner, Oberbürgermeister und Bürgermeister sowie Kreis- und Gemeinderäte und die Behörden - deshalb dazu auf, die vom BUND genannten Fragen verantwortungsvoll und im Sinne unserer Kinder und Enkel zu beantworten.

Die Entscheidungsträger müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie sich für ihre Entscheidung und deren Folgen bei allen Bürgern und Bürgerinnen werden rechtfertigen müssen. Sie sollten in ihrer Entscheidung den Artikel 20a unseres Grundgesetzes berück-sichtigen: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…).“

Quelle: Thomas Giesinger/ Radolfzell

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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