Haltungen der Redaktion nach der Migrationsdebatte

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Singen. Bereits über eine Woche ist seit der Abstimmung über zwei Entschließungsanträge und über das Zustrombegrenzungsgesetz der CDU ins Land gezogen. Die Wogen dieser Vorschläge sind weiterhin nicht ganz geglättet. Was denkt die WOCHENBLATT-Redaktion nach der turbulenten Sitzungswoche Ende Januar?

Nicht glaubwürdig - Tobias Lange

Selten habe ich eine Sitzung des Deutschen Bundestags so interessiert verfolgt, wie die vom 29. und 31. Januar. Wird die Unionsfraktion ihre Drohung wahrmachen und Anträge zur Migrationspolitik einbringen – wohl wissend, dass sie wohl nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalten? So kam es dann auch und die AfD feierte. Manche sahen gar die Geburtsstunde einer schwarz-blauen Regierung gekommen.

Doch bleiben wir auf dem Teppich: Nach der anstehenden Wahl wird die AfD vermutlich als stärkste Oppositionspartei in den Bundestag einziehen. Mitregieren wird sie nicht. Wesentlich wahrscheinlicher ist es, dass sich Friedrich Merz von ihr in einer Minderheitsregierung aushalten lässt. Das schließt er zwar heute kategorisch aus, aber das hatte er nach dem Ende der Ampel auch über Anträge gesagt, die Stimmen der AfD bräuchten, um eine Mehrheit zu erhalten.

Das ist die größte Auswirkung aus dem Verhalten der Union: Sie hat an Glaubwürdigkeit verloren. Und das für etwas, was am Ende keinerlei Auswirkungen gehabt hätte. Der Entschließungsantrag vom Mittwoch war eine Forderung, die keinerlei Bindung hat. Am Freitag wurde dann zwar über ein Gesetz abgestimmt, doch das wäre mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit im Bundesrat gescheitert – selbst wenn es im Bundestag eine Mehrheit bekommen hätte. Ganz zu schweigen davon, dass der Inhalt rechtlich zumindest fragwürdig war.

So bleibt das Gefühl, dass sich Friedrich Merz für den Wahlkampf mit der AfD ins Bett gelegt hat. Dass ihm das am Ende wirklich hilft, Stimmen von rechts zu gewinnen, wage ich zu bezweifeln. Denn Menschen wählen in der Regel das Original. Das scheint er auch selbst erkannt zu haben, hat er sich doch bereits das nächste Ziel ausgewählt, um Wähler abzuwerben: die FDP.

Stiller Ausgleich - Anja Kurz

Wie verhalte ich mich in Diskussionen? Diese Frage stellt sich mir immer wieder. Das trifft auf große Themen zu: die Abstimmungen zur Migration. Aber auch auf kleinere, private Dinge. Auch wenn ich Zuspitzungen nicht mag, habe ich doch das Gefühl, dass jede Diskussion eskaliert. Die Gründe wurden ausreichend diskutiert. Meine Frage bleibt: Wie soll ich mich verhalten?

Tendenziell würde ich meine Haltung in vielen Dingen als ausgeglichen bezeichnen. Wie es einer meiner Lieblingsmusiker Alligatoah in dem Song „Meinungsfrei“ (wiederholt) sagt: Ich kann beide Seiten verstehen. Es ist für mich selbst oft anstrengend, mir nur schwer, wenn überhaupt, eine eindeutige Meinung bilden zu können. Aber genau diese Fähigkeit, sich auf die Perspektive des jeweils anderen einzulassen, fehlt mir in vielen Diskussionen. Ausgeglichen bedeutet oft auch ausgleichend.

Dadurch ist es meiner Auffassung nach auch zu der gemeinsamen Abstimmung zwischen CDU, AfD und anderen Parteien gekommen. Die Migrationsdebatte wird beherrscht von „Grenzen dicht“ oder „kommt alle zu uns“. Die CDU hat sich mit ihren Vorschlägen in meinen Augen deutlich auf erstere Position zubewegt. Aber identifiziert sich die Union nicht als Partei der Mitte? Sollte dann nicht von ihnen ein Konzept kommen, das abseits verhärteter Fronten liegt?

Was heute noch davon bleibt, ist die Diskussion über richtig oder falsch. Wie soll ich mich dabei verhalten? Einerseits könnte ich mich einbringen. Positiv: Diskussionen profitieren von mehreren Perspektiven. Negativ: In einer überhitzten Debatte, gerade online, wird das entweder nicht gehört oder wird falsch verstanden. Außerdem kippe ich dann (gefühlt) nur mehr Spiritus in die aufflammende Debatte. Meistens lande ich deswegen beim „Andererseits“: Ich bleibe still.

Vertrauensverlust - Philipp Findling

Ich hätte nicht gedacht, dass eine Bundestagswahl mit so wenig Zeit für Wahlkampf im Vorfeld durch eine einzige Debatte, nein, sogar durch zwei Abstimmungen im Bundestag für so viel Zündstoff sorgen würde. Dabei ist mir vor allem das Verhalten der CDU, einer Partei, die sich vor der ersten Abstimmung klar von der AfD distanzierte, sehr suspekt.

Noch verrückter jedoch wurde es, als ich wenige Tage später von Christian Lindner bei dessen Auftritt in Konstanz gehört habe, dass der eigentliche Skandal die Nein-Stimmen von Grünen und SPD waren und man somit keinen Schulterschluss der demokratischen Mitte demonstrieren konnte.

Welche demokratische Mitte, frage ich dann, wenn eine potenziell künftige Regierungspartei billigend Stimmen einer rechtsextremistischen Partei in Kauf nahm und die FDP dabei auch noch mitging. Mir stellt sich nach diesem Zirkus mittlerweile die Frage, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz wunderbar im TV-Duell am Sonntag auf den Punkt brachte, ob ich einer solchen Partei überhaupt noch glauben kann. Gerade bei einem Thema, das mit der Arbeitsmigration einen doch so wichtigen Motor für die Wirtschaft unseres Landes beinhaltet, sollte man sich für eine Seite entscheiden und nicht nach dem Motto "Heute so, morgen so" agieren.

Wenn man dies nicht tut, verliert man beim wählenden Volk das Vertrauen, wenn nicht sogar die Stimme an der Wahlurne. Es muss den Geflüchteten das Gefühl entgegengebracht werden, auch wirklich hier willkommen zu sein. Ansonsten werden diese sich, frei nach Geier Sturzflug, auch denken: "Bereisen wir Deutschland, solange es noch geht."

Autor:

Redaktion aus Singen

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