Liebe Leserinnen und Leser,
»ich lass mich doch nicht auf Corona testen, weil dann gibt es ja mehr Tests, damit auch mehr positiv Getestete und damit steigen die Inzidenzwerte. Und wenn die Inzidenzen steigen, wird alles länger geschlossen bleiben.« Kennen Sie solche Gedanken?
Wir auch, wir hören sie allzu oft.
Unsere direkte Reaktion darauf ist: Es macht trotzdem Sinn, sich testen zu lassen. Denn durch das Testen lassen werden mehr Infizierte gefunden, bevor sie andere anstecken können, und langfristig sinken die Inzidenzwerte, weil es also weniger Infizierte geben wird – und dann wird es langfristig auch wieder mehr Freiheiten geben können.
Und ab hier beginnt unsere Kritik: Die aktuelle CoronaStrategie ist eine, die die Menschen gefühlt doppelt bestraft: Einmal, weil sie vieles nicht tun dürfen und zum Zweiten wegen der Logik, dass mehr Tests eben zu mehr positiv Getesteten führen, kurzfristig folglich zu erhöhten Inzidenzwerten und damit kurzfristig auch zum Fortbestand der Einschränkungen oder sogar zu noch mehr Einschränkungen. Auch wenn die Testungen langfristig natürlich wirken. Will sagen: In dieser Strategie fehlt etwas Wesentliches, etwas ganz Wesentliches, es fehlt die Motivation.
Wer solche Strategien entwickelt, geht nicht eben schlau vor, weil er vergisst, dass er es mit Menschen zu tun hat. Und Menschen wie Du, Sie und wir neigen dazu, kurzfristig Vorteile zu wollen. Menschen neigen oft, vielleicht sogar meistens, dazu, nur dann etwas zu tun, wenn sie einen Vorteil davon haben und den auch verstehen, wenn sie ihn sehen, möglichst nah vor sich. Den Vorteil, den es jetzt gerade hat, sich testen zu lassen, verstehen viele nicht, da sind wir uns sicher. Deshalb versuchen wir jetzt zwei Dinge gleichzeitig: aufzuklären (das haben wir mit dem Fettgedruckten im zweiten Absatz getan) …
… und appellieren, wieder einmal an alle Regelmacher und Strategieentwickler:
Bitte denken Sie beim Regeln und Strategien entwickeln an die Menschen und wie wir nun einmal sind. Wir sind nicht so supervernünftig, dass wir für langfristige Ziele allzu lange durchhalten, schon gar nicht, wenn wir es mit einem Virus zu tun haben, den wir nicht sehen, mit einer Strategie, die uns nicht so erklärt wird, dass wir den Sinn verstehen und wir zudem langsam müde sind, viele Angst um ihre Jobs und um die Zukunft ihrer Kinder haben.
Das ist der Grund, warum das Tübinger Modell psychologisch ein guter Ansatz war: Hier gab es für die, die sich testen haben lassen, kurzfristig etwas zu genießen und damit eine sinnvolle Belohnung. Eine bessere Belohnung als irgendein Gutschein oder dergleichen, den man dann in werweißwieviel Monaten einlösen kann.
Zum Schluss ahnen wir etwas: Einige werden sich denken: Doch, ich bin so vernünftig, ist doch logisch. An Sie haben wir eine Frage: Glauben Sie tatsächlich, dass Sie in allen Dingen so vernünftig sind, oder nur in denen, mit denen Sie sich intensiv beschäftigt haben und die Sie wirklich verstehen? Das, was wir hier beschreiben, ist der Grund, warum Menschen eine Tafel Schokolade auf ex essen, rauchen, einen über den Durst trinken, obwohl sie eigentlich …, sich aufgrund von Äußerlichkeiten in den falschen Menschen vergucken, lieber den Spatz in der Hand haben wollen als die Taube auf dem Dach, schnell eine Spritztour mit dem Auto oder Moped machen oder schnell mal eine Regel durchdrücken, ohne die anderen davon zu überzeugen, dass sich die Einhaltung lohnt … Wir kennen niemand, uns eingeschlossen, der das komplett im Griff hat. Oft wissen wir ja nicht einmal, was die Folgen unseres Tuns oder Lassens sind, weil wir es nicht verstehen, gar nicht erst ins Denken kommen und uns einfach vom kurzfristigen Benefit leiten lassen. Ja, unsere Gehirne sind auf Bequemlichkeit gepolt, das wissen die Hirnforscher schon geraume Zeit, das ist eine menschliche Dimension. Vollkommenheit ist eher keine menschliche Dimension.
Und nein, deshalb sind wir noch lange keine kleinen Kinder. Deshalb möchten wir Strategien erklärt bekommen, nicht nur mit irgendwelchen infantilen Werbe-Slogans, sondern so, dass wir die Logik verstehen können. Und bitte, liebe Regelmacher, denkt doch einfach daran, dass Motivation die Gesamtheit aller Beweggründe ist, also der Grund warum wir uns bewegen, zum Beispiel zum Testen. Und diese Beweggründe brauchen wir halt. Klar, erkennbar und am besten jeweils bald erlebbar.
Wir glauben daran, dass dieses Wissen, wenn es denn eingesetzt wird, in der Corona-Krise und den ganzen von uns Menschen selbst gemachten Krisen, die noch folgen werden, ganz ordentlich helfen könnte.
Und jetzt haben wir Lust auf etwas Süßes.
Kommen Sie gut durch die Woche und lassen Sie sich testen, wenn Sie Kontakt mit anderen Menschen haben, es lohnt sich wirklich.
Carmen Frese-Kroll, Verlegerin
Anatol Hennig, Herausgeber
PS: Unser Chefredakteur Oliver Fiedler verweilt im wohl- verdienten Urlaub.
Autor:Redaktion aus Singen |
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