Wohnen in der Zukunft
Wie regionale Rathauschefs und Experten das Modell Einfamilienhaus bewerten

Wie sieht die Zukunft des Wohnens aus? Einfamilien oder Mehrfamilienhäuser? Oder doch eine Mischung? swb-Bild: Amrit Raj
5Bilder
  • Wie sieht die Zukunft des Wohnens aus? Einfamilien oder Mehrfamilienhäuser? Oder doch eine Mischung? swb-Bild: Amrit Raj
  • hochgeladen von Tobias Lange

Landkreis Konstanz. Der Traum vom Eigenheim: Vor nicht allzu langer Zeit wurde er von vielen Menschen geteilt. Der Gedanke war, ein Leben lang in den eigenen vier Wänden zu verbringen, die Kinder dort aufwachsen zu lassen und ihnen dann das Haus zu hinterlassen.

Doch spätestens seit der Corona-Pandemie, dem Ukrainekrieg und deren Auswirkungen wie fehlendes Baumaterial und steigende Preise sowie dem generellen Mangel an Wohnraum steht die Frage im Raum, ob das Modell Einfamilienhaus noch zeitgemäß ist. Ob in Zukunft vermehrt auf eine dichtere Bebauung mit mehrgeschossigen Mehrfamilienhäusern gesetzt werden sollte.

Und ob dies im Notfall auch trotz kritischer Nachbarn durchgesetzt werden muss. Ein Beispiel dafür ist das Baugebiet Kapellenäcker in Stockach. Hier hatten Anlieger, die zu massive Bauten befürchteten, Einwände geltend gemacht. In den öffentlich einsehbaren Stellungnahmen hieß es beispielsweise: „Wir verkennen nicht den Bedarf an Wohnraum, aber die vorliegende Planung erscheint uns übermäßig und rücksichtslos.“ Und: „Eine solche Planung hat erdrückende Wirkung und nimmt keinerlei Rücksicht auf die bestehende Bebauung mit ein- und zweigeschossigen Gebäuden.“

Die Verwaltung kam ihnen teilweise entgegen und setzte eine Höchstlänge von 25 statt 50 Metern fest, blieb aber bei der zuvor erlaubten Gebäudehöhe von 12,5 Metern.

Das WOCHENBLATT hat bei weiteren Rathäusern in der Region nachgefragt, wie die Situation dort eingeschätzt wird und in welche Richtung der Weg bezüglich zukünftiger Baugebiete geht.

Junge Menschen sind seltener sesshaft

Nach Einschätzung von Hilzingens Bürgermeister Holger Mayer wird die Nachfrage für Einfamilienhäuser in Zukunft zurückgehen. Er begründet das mit einem öfter wechselnden Lebensmittelpunkt der jüngeren Generation. Die Menschen leben demnach nicht mehr ihr Leben lang in einer Gemeinde, sondern ziehen aus beruflichen oder privaten Gründen öfters um.

Nach Einschätzung von Holger Mayer, Bürgermeister von Hilzingen, wird die Nachfrage nach Einfamilienhäusern geringer. swb-Bild: Archiv/Ute Mucha
  • Nach Einschätzung von Holger Mayer, Bürgermeister von Hilzingen, wird die Nachfrage nach Einfamilienhäusern geringer. swb-Bild: Archiv/Ute Mucha
  • hochgeladen von Tobias Lange

Hinzu kommen momentan Faktoren wie die gestiegenen Baukosten, weswegen die Nachfrage nach Einfamilienhäusern drastisch zurückgehe. „Es ist gerade sehr ruhig“, sagt der Bürgermeister. „Die Menschen trauen sich derzeit nicht, Einfamilienhäuser zu bauen.“ Bezüglich der Nachverdichtung hat der Hilzinger Rathauschef davon unabhängig eine klare Linie: Innerorts werde mit Mehrfamilienhäuser verdichtet.

Gänzlich am Ende sieht Holger Mayer das Modell Einfamilienhaus dennoch nicht. Auch in Zukunft werde es eine Nachfrage geben. Gerade im ländlichen Raum. Daher setze Hilzingen bei Baugebieten auf Mischformen. Beispielsweise in Weiterdingen, wo ein Grundstück für Reihenhäuser vorgesehen sei. Bei den geplanten Baugebieten in Riedheim und Duchtlingen soll es ebenfalls eine Mischung aus Einfamilien-, Mehrfamilien- und Reihenhäusern geben. „Das eine tun, das andere nicht lassen“, sei der Grundsatz.

Dass dies von Anfang an so kommuniziert wird, vermeide später Konflikte. Bei größeren Mehrfamilienhäusern gebe es immer eine gewisse Problematik mit den Menschen, die drumherum bauen, meint Mayer. In den Baugebieten in Hilzingen sei das aber kein Problem gewesen. Eilig habe man es aufgrund der niedrigen Nachfrage mit den neuen Baugebieten aber nicht. Die Erschließung ist eher mittelfristig in den Jahren 2025 bis 2027 geplant.

Ein Fragezeichen steht dabei, ob sie mit Fernwärmeleitungen ausgestattet werden. Neubauten seien heutzutage energetisch sehr effizient und in Hilzingen bestehe zudem eine Pflicht für Photovoltaikanlagen. "Man muss schauen, ob die realistische Chance da ist, dass Leute Interesse haben", sagte Holger Mayer. Wichtiger sei es, an den Bestand heranzukommen, wie derzeit im Zuge der Sanierung der Hauptstraße.

Vorhandene Häuser an andere weitergeben

Aus der Höri-Gemeinde Öhningen berichtet der langjährige Bürgermeister Andreas Schmid, dass zuletzt vor drei bis vier Jahren Wohnraum für junge Familien ausgewiesen wurde. Obwohl es hier Spielraum für eine anderweitige Gestaltung gegeben hätte, sei das Ergebnis „eher klassisch“ mit einzelnen Häusern gewesen, meist noch mit einer Einliegerwohnung.

Für Andreas Schmid, Bürgermeister von Öhningen, werden Einfamilienhäuser in Zukunft nicht mehr neu gebaut, sondern bestehende an andere übergeben. swb-Bild: Archiv/Dominique Hahn
  • Für Andreas Schmid, Bürgermeister von Öhningen, werden Einfamilienhäuser in Zukunft nicht mehr neu gebaut, sondern bestehende an andere übergeben. swb-Bild: Archiv/Dominique Hahn
  • hochgeladen von Tobias Lange

Das nächste Projekt, das im Gemeinderat diskutiert wurde, sollte deshalb explizit „in die Höhe“ gehen, wie Schmid weiter berichtet. Daraus entstanden ist das private Wohnbauprojekt „Wohnen im Dorf“ im Öhninger Ortsteil Wangen mit vier Reihenhäusern. „So bringen wir 20 Wohneinheiten unter, wo sonst acht bis zehn Platz gefunden hätten“, ist hier das Fazit des Bürgermeisters.

In Öhningen selbst wurde ebenfalls über ein weiteres Projekt beraten, ein Mehrgenerationenwohnen auf 5.000 Quadratmetern im Ortskern. Das Mehrgenerationenkonzept funktioniere jedoch nur mit einer Genossenschaft, die sich in Öhningen nicht gefunden hatte. Stattdessen sei man auch hier auf ein reines Wohnbauprojekt umgeschwenkt.

Insgesamt sieht Andreas Schmid für dir Höri-Gemeinde wenig Entwicklungspotenzial, eingeschränkt schon durch die umgebenden Naturschutzgebiete. Das verdichtete Bauen mit unterirdischen Parkplätzen und Platz für Grünflächen bezeichnet er deshalb als „grobe Stoßrichtung“. Denn auch weiterhin gehe der Drang vieler junger Familien aufs Land, mehr Einzelbauten könne man sich allerdings in Zukunft nicht mehr leisten.

Es müsse vielmehr ein Wechsel stattfinden. Denn der Bürgermeister stelle immer wieder fest, dass attraktive und barrierefreie Wohnangebote gerne angenommen werden. Allerdings bestehe hier in Öhningen Nachholbedarf: „Wenn ältere Bürger die Möglichkeit haben, sich im Ort zu verkleinern, können die frei werdenden Häuser an jüngere übergeben werden.“

Bestand aufstocken und erweitern

Nachdem die Bauaktivitäten in Singen in den letzten Jahren sehr hoch gewesen seien - in den letzten fünf Jahren entstanden insgesamt 1.561 Wohneinheiten in Singen - sei laut des Leiters des dortigen Fachbereichs Bauen, Thomas Mügge „ein deutlicher Rückgang seit Herbst 2022 bei neuen Bauanträgen spürbar“. Gleichwohl befinden sich mehrere Großprojekte wie am Schlossareal, im Scheffelareal sowie die Überlinger Höfe oder das Bauprojekt am Ziegeleiweiher vor der Startphase. Andere Großprojekte wie die Engenerstraße in Beuren, die Feuerwehrstraße oder die Erweiterung des C&A Gebäudes befinden sich gerade in der Bauphase, sodass in absehbarer Zeit neue Wohnungen in Singen entstehen werden.

Laut Thomas Mügge, Fachbereichsleiter Bauen der Stadt Singen, wird es in Ortsteilen weiter Gebiete für Einzelhäuser geben, im Stadtgebiet gehe es darum im Bestand aufzustocken. | Foto: Anja Kurz
  • Laut Thomas Mügge, Fachbereichsleiter Bauen der Stadt Singen, wird es in Ortsteilen weiter Gebiete für Einzelhäuser geben, im Stadtgebiet gehe es darum im Bestand aufzustocken.
  • Foto: Anja Kurz
  • hochgeladen von Tobias Lange

Es sei das Anliegen von Mügge und Oberbürgermeister Häusler gleichermaßen „Wohnen für alle“ zu ermöglichen. Einzelhäuser finden also weiterhin ihren Platz, doch eher in den Ortsteilen. So befinde sich aktuell in Beuren ein Wohngebiet in der Vorbereitung, das zum Großteil aus Einfamilienhäusern, aber im Mix auch aus Doppel-, Reihen- und Mehrfamilienhäusern bestehen werde. In Schlatt unter Krähen wiederum sei es der Wunsch des Ortschaftsrates gewesen, im dortigen Baugebiet eher Einzel- und Doppelhäuser anzusiedeln.

Für die Planung von sämtlichen Bauprojekten spielen zudem Klimaanpassungen eine große Rolle, Beispiele sind die Fotovoltaikpflicht auf Dächern von Neubauten oder das bewusste Fördern von Begrünung auf den Grundstücken. Außerdem ist Holz als Baustoff wieder vermehrt zu finden, zum Beispiel im Mix mit Beton und auch bei Mehrfamilienhäusern.

Da es im Stadtgebiet kaum mehr freie Grundstücke gebe, rechnet Thomas Mügge hier mit mehr Geschosswohnungsbau. Eines der wenigen Bauprojekte, das sich nicht aus dem direkten Bestand kommt, ist ein Mehrfamilienhaus auf einem früheren Parkplatz für 31 Partien in der Freiheitsstraße, Ecke Höristraße. Die anderen Vorhaben zielen eher darauf, den Bestand zu halten, beziehungsweise oft sogar aufzustocken oder zu erweitern.

Dies wurde laut dem Fachbereichsleiter kürzlich durch den Bund erleichtert: Es kann um bis zu zwei Geschosse aufgestockt werden, ohne den dadurch vergrößerten Mindestabstand zu benachbarten Gebäuden oder eine Aufzugspflicht umsetzen zu müssen. Auf Landesebene sei dies aktuell noch nicht eingeführt, zudem ist sich Thomas Mügge unsicher, ob dies überhaupt in Anspruch genommen würde. Falls doch, rechnet er „im Einzelfall mit Problemen.“

Aktuell befinde man sich auch im Gespräch mit einem Discounter. Dieser wolle seine Räume erweitern, müsse allerdings, so die Vorgabe der Stadt, dabei auch Wohnraum schaffen. Eine weitere Herausforderung bleibt auch der fehlende Parkraum: „Da gibt es kein Allheilmittel.“ Für größere Wohneinheiten biete sich eine Tiefgarage an, fehlt der Platz für die Ein- und Ausfahrt, komme noch ein Autoaufzug infrage. Bei Erweiterungen bleibe oftmals nur der Verzicht einiger Bewohnenden auf einen Stellplatz.

Bauexperte plädiert für weniger Einfamilienhäuser

Auch in Radolzell ist das Thema Wohnen aktuell. So aktuell, dass eigens ein "Dialogforum Wohnen" ins Leben gerufen wurde. "Wohnen ist ein Grundbedürfnis und gehört auf die politische Agenda der relevanten Themen", sagte dazu Oberbürgermeister Simon Gröger.

Für Simon Gröger, Oberbürgermeister der Stadt Radolfzell, steht das Thema Wohnungsbau ganz oben auf der Agenda der wichtigen politischen Themen. swb-Bild Archiv/Oliver Fiedler
  • Für Simon Gröger, Oberbürgermeister der Stadt Radolfzell, steht das Thema Wohnungsbau ganz oben auf der Agenda der wichtigen politischen Themen. swb-Bild Archiv/Oliver Fiedler
  • hochgeladen von Tobias Lange

Dort kam auch das Einfamilienhaus zur Sprache. Sebastian Ritter, Dezernent für Bauen des Städtetags Baden-Württemberg, machte hier mithilfe von klaren Zahlen deutlich, warum sich die Wohnungssituation so verschärft hat: Die Bewohnerzahl einer durchschnittlichen Wohnung habe sich in den vergangenen siebzig Jahren durchschnittlich von 4,5 auf 2,1 Personen reduziert. Gleichzeitig seien Wohnungen größer geworden.

Die Idee von Baugebieten nur mit Einfamilienhäusern lehnte der Dezernent ab. Dies sei nicht mehr zeitgemäß, angesichts der knapper werdenden Baufläche. Das betonte er auch in einem Kurzvideo über die aktuellen Herausforderungen, die Kommunen beim Wohnbau derzeit haben, und das auf dem Youtube-Kanal des Städtetags zu finden ist: "Es geht heute nicht mehr darum, auf der grünen Wiese Einfamilienhäuser zu entwickeln, sondern es geht darum, wie kann man Flächen ressourcensparend einsetzen."

Dass ein Umdenken stattgefunden hat, zeigt sich auch am Baugebiet Hubschäcker in Böhringen. Im März stellte die Verwaltung neue Pläne vor, die eine Erhöhung der Wohneinheiten von 78 auf 119 und eine Reduzierung von Einfamilienhäusern auf zehn festlegen.

von Anja Kurz und Tobias Lange

Autor:

Redaktion aus Singen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

2 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.