Die Region fragt… Berlin und Stuttgart antworten
Wann und wie kommt der Bürokratieabbau?
Landkreis Konstanz. Im Rahmen unserer Kampagne für und mit Familienunternehmen, geben wir diesen die Gelegenheit über unsere Rubrik "Die Region fragt..." Fragen an unsere Abgeordneten des Bundes- und Landtags zu stellen, die von unserer Redaktion bewertet werden. Wir wollen damit für öffentlichen Dialog zwischen der regionalen Wirtschaft und der Politik sorgen.
Die Fragen, die Thomas Kornmayer vom Singener Modehaus Heikorn bewegen, waren:
1. Wann und mit welchen Mitteln beginnt aus Ihrer Sicht ein Bürokratieabbau, um Gewerbetreibende in Deutschland/in Baden-Württemberg zu entlasten?
2. Wann kommt diese Veränderung dann bei den Gewerbetreibenden vor Ort tatsächlich an?
Dr. Lina Seitzl, SPD, MdB:
»1. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen haben Probleme mit der Vielzahl an Vorschriften und bürokratischen Hürden. Es gibt also noch viel zu tun. Die Entbürokratisierung ist keine einfache Aufgabe, aber wir gehen sie jetzt nach und nach an.
Dabei wurden bereits kleinere Fortschritte erzielt. So werden zum Beispiel durch das Onlinezugangsgesetz seit diesem Jahr viele Verwaltungsleistungen, darunter auch die Gewerbeanmeldung, elektronisch angeboten. Das hat in Kombination mit dem Ausbau der BundID zu einer deutlichen Vereinfachung der Gewerbeanmeldung geführt.
Derzeit arbeitet die Regierungskoalition an einem weiteren Bürokratieentlastungsgesetz. Auf der Grundlage intensiver Beratungen mit Menschen aus der Praxis konnten die wichtigsten Stellschrauben identifiziert werden. Die aus meiner Sicht wichtigste Änderung ist die geplante Einführung eines Unternehmensbasisregisters. Damit soll das sogenannte Once-Only-Prinzip verankert werden, sodass schon einmal bei einer Behörde mitgeteilte Daten und Nachweise nicht erneut bei einer Behörde eingereicht werden müssen. Darüber hinaus ist geplant, eine Reihe von Nachweis-, Aufbewahrungs- und Meldepflichten aufzuheben beziehungsweise deutlich zu reduzieren.
Ziel ist es im ganzen Land die neue "Deutschland-Geschwindigkeit" zu ermöglichen, um gemeinsam auf die vielen aktuellen Herausforderungen reagieren zu können.
2. Die ersten Veränderungen, wie zum Beispiel die digitale Anmeldung eines Gewerbes, sind schon heute umgesetzt. Klar ist aber auch, dass wir noch einen bedeutenden Weg zu gehen haben, damit Prozesse unbürokratisch und digital umgesetzt werden können. Dazu braucht es neben dem Bund auch die Länder und die Kommunen. Man muss es so deutlich sagen: Wir sind in Deutschland bei diesen Fragen viel zu langsam, auch weil in der Vergangenheit diese Themen kaum angegangen wurden. Die gute Nachricht ist aber, dass an diesem Problem nun gearbeitet wird und so nach und nach Verbesserungen bei den Betrieben ankommen werden.«
Dr. Ann-Verushka Jurisch, FDP, MdB:
»1. Der Bürokratieabbau ist auf Bundesebene schon im vollen Gange. Das Bundesministerium der Justiz hat erst kürzlich ein Eckpunktepapier für ein Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt. In diesem Zusammenhang hat das Bundesjustizministerium über 400 konkrete Vorschläge gesammelt, bei deren Erarbeitung sowohl Interessenvertretungen als auch Unternehmen eingebunden waren. Die Rückmeldungen zeigen deutlich, dass ein undurchdringlicher Dschungel aus Vorschriften und Regelungen entstanden ist, der für niemanden mehr verständlich ist. Der Bürokratiekostenindex, der die Belastungen für Unternehmen sichtbar macht, wird auf den niedrigsten Stand seit seiner Erhebung sinken. Konkret sind das beispielsweise die Ermöglichung der Elektronischen Form statt dem Schriftformerfordernis an einer Vielzahl von Stellen (BGB, Elterngeld, Arbeitszeugnissen, Arbeitsverträge), die Abschaffung der Hotelmeldepflicht für deutsche Staatsangehörige und die Reduzierung der Aufbewahrungsfrist.
2. Der vom Bundesjustizminister angestrebte Bürokratieabbau wird direkt in den Unternehmen spürbar sein. Das Entlastungsvolumen liegt bei ca. 2,3 Milliarden Euro und damit ca. 300 Millionen mehr als alle vorhergehenden Entlastungspakete. Insbesondere das Ersetzen des Schriftformerfordernisses durch die Elektronische Form wird den Alltag von vielen Unternehmen erleichtern. Für unsere touristische Region stellt auch die Hotelmeldepflicht eine nicht zu unterschätzende bürokratische Hürde da, der nun begegnet wird. Ich gehe davon aus, dass diese Veränderungen noch 2024 vor Ort ankommen werden. Gleichzeitig sind aber auch alle Länder und die Kommunen aufgefordert, in ihren Bereichen für Bürokratieabbau zu sorgen und hier mit dem Bund mitzuziehen.«
Andreas Jung, CDU, MdB:
»1. Die bürokratischen Belastungen für unsere Betriebe haben mittlerweile ein teils unerträgliches Ausmaß angenommen. Viele Gewerbetreibende klagen zurecht über immer mehr Vorschriften, Dokumentations- und Auskunftspflichten. Das kostet unnötig Zeit, Geld, Personal und Nerven. Als Union haben wir deshalb bereits im April dieses Jahres ein umfassendes Entlastungspaket mit 22 ganz konkreten und spürbaren Entlastungsvorschlägen vorgelegt, mit denen die überbordende Bürokratie abgebaut werden soll. Wir fordern unter anderem einen umfassenden "Belastungs-TÜV", die Abschaffung "überflüssiger" Dokumentationspflichten bei Minijobbern und die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen für Unterlagen im Steuer- und Handelsrechts im Einklang mit zeitnahen Betriebsprüfungen. Jetzt muss aktiv gegensteuert und dringend gehandelt werden.
2. Damit es schnell geht, braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen. Alle müssen überflüssigen Ballast abwerfen. Wir sind in einer kritischen Situation, erleben erstmals seit langem Rezession und viele Betriebe sind unter Druck. Deshalb muss alles, was überflüssig hemmt, weggeschafft werden. Über die Jahre hat sich eine Überregulierung aufgebaut, die so nicht bleiben kann. Das darf nicht in irgendwelche Kommissionen verlagert werden, es muss auf allen Ebenen mit hoher Priorität von der politischen Führung vorangetrieben werden.«
Dorothea Wehinger, Die Grünen, MdL:
»1. Die Fraktion Grüne im Landtag – allen voran Ministerpräsident Winfried Kretschmann - setzt sich für den Abbau von unnötiger Bürokratie und für eine Modernisierung der Verwaltung ein. Gemeinsam mit den Kommunalen Landesverbänden sowie Wirtschafts- und Finanzverbänden hat die Landesregierung dazu die Entlastungsallianz für Baden-Württemberg aufgesetzt (vorgestellt am 13. Juli 2023). Die Allianz soll Entlastungspotenziale identifizieren, hierfür Vorschläge erarbeiten und neue Handlungsspielräume schaffen.
Das neue Arbeitsformat wird im Staatsministerium gesteuert. Zudem berät und unterstützt der Normenkontrollrat die Landesregierung zu Bürokratievermeidung und Bürokratieabbau – sowohl im Hinblick auf Regelungsentwürfe als auch bestehenden Regelungen. Die Mitglieder des Normenkontrollrats kommen jetzt aus Wirtschaft UND Verwaltung - denn es ist wichtig, dass praktische Erfahrungen helfen, Regeln zu vereinfachen und unnötige Hürden abzubauen.
2. Der Bürokratieabbau ist zur "Chefsache" geworden und hat damit in der Landesregierung eine hohe Priorität – wann genau welche Veränderung an der Basis ankommt, kann natürlich so nicht beantwortet werden, dazu ist eine Verwaltung, die sich an Recht und Gesetz halten muss, viel zu komplex. Und letzten Endes sind viele Regelungen aus einem Sicherheitsbedürfnis der Bürger*innen heraus entstanden – und Gesetze lassen sich in einer Demokratie nicht einfach mal so abschaffen.«
Nese Erikli, Die Grünen, MdL:
»1. Ganz klar ist: Bürokratie kostet unsere Unternehmen Zeit und Geld. Aus dem Grund müssen wir Regulierungen auf ihren Sinn und Zweck überprüfen. Der Bürokratieabbau beginnt, wo unnötige Vorschriften abgeschafft oder reduziert werden. Dafür sind aber konstruktive Vorschläge wie beispielsweise Bürokratieabbau durch Digitalisierung notwendig. Als Landtagsfraktion haben wir der Landesregierung konkrete Vorschläge gemacht, Bürokratie in allen Bereichen abzubauen. Unser Ziel ist, Unternehmen, Ämter und insbesondere die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Die Digitalisierung spielt dabei eine zentrale Rolle.
2. Der Bürokratieabbau ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Damit der Abbau spürbar ist und vor Ort ankommt, muss er von allen Ebenen priorisiert und umgesetzt werden: Von der Kommune, dem Land, dem Bund und auch auf der europäischen Ebene. Ich nehme die Sorgen der Unternehmen über die zusätzliche Belastung durch komplizierte und überflüssige Regulierungen sehr ernst.
Konkrete Umsetzung von Bürokratieabbau durch Digitalisierung bedeutet zum Beispiel die Digitalisierung der Baugenehmigung. Antrags- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, ist uns ein wichtiges Anliegen.«
Hans-Peter Storz, SPD, MdL:
»1. Wir wollen alle, dass mit Steuergeldern verantwortlich umgegangen und die Verwendung staatlicher Zuschüsse auf ihren sinnvollen Gebrauch überprüft wird. Gesetzliche Regelungen sollen Schwächere entlasten oder die Umwelt schützen und machen daher Vorgaben. Manch eine Forderung nach Bürokratie-Abbau will nicht etwa die Verwaltung vereinfachen, sondern unliebsame Schutzregelungen abschaffen.
Doch nicht nur Gewerbetreibende, sondern auch Vereine oder soziale Einrichtungen leiden unter den Auswüchsen einer zunehmend verrechtlichten Gesellschaft.
Was tun?
1. Eines der Hauptprobleme ist eine immer hektischere Gesetzgebung. Niemand kann Gesetze vernünftig anwenden, wenn zwischen Beschluss und Inkrafttreten nur wenige Tage liegen. Er würde helfen, vor dem Beschluss zu prüfen, wie aufwändig die Umsetzung ist. Das ist eine wichtige Aufgabe des Normenkontrollrats, der eine neue Leitung erhalten hat.
2. In Deutschland gelten sehr hohe und teure Sicherheitsstandards, zum Beispiel im Baurecht oder beim Brandschutz. Für Unternehmen ist es mühsam, wenn sie Arbeitnehmer mit ausländischen Berufsabschlüssen einstellen wollen. Es geht zu lange, bis die Formalitäten geklärt sind. Das lässt sich ändern.
3. Wer neue Förderprogramme auflegt, sollte überprüfbare Ziele definieren. So können Zuschussempfänger einfacher nachweisen, ob sie unsere Steuern bestimmungsgemäß verwenden.
Und 4. Viel Bürokratie entsteht dadurch, dass die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu sehr vermischt werden. Mir ist wichtig, die Kommunen zu stärken. Denn die Rathäuser sind den Bürgerinnen und Bürgern und örtlichen Gewerbe am nächsten. Mehr Handlungsmöglichkeiten für Städte und Gemeinden sind das beste Anti-Bürokratie-Programm.
2. Bürokratie fällt nicht von Himmel, sondern entwickelt sich langsam. Niemand kann also bürokratische Auswüchse durch ein Machtwort abschaffen, auch Herr Kretschmann nicht... Wenn aber Bund und Land meinen vierten Vorschlag aufgreifen, werden schon bald erste Verbesserungen spürbar.«
Bernhard Eisenhut, AfD, MdL:
Bernhard Eisenhut hat beide Fragen in einem zusammenhängenden Text beantwortet:
»Zu einer Entlastung durch Bürokratieabbau wird es erst kommen können, wenn Politiker in Regierungsverantwortung sind, die bereit sind, gegen den Regulierungswahn der EU vorzugehen, denn hier liegen die Ursachen vieler Verordnungen, Vorschriften und Dokumentationspflichten. Die meisten Politiker, sei es auf Landes- oder Bundesebene, setzen die Vorgaben aus Brüssel blind um, ohne zu fragen, ob diese für unser Land überhaupt hilfreich oder sogar schädlich sind. Vorschriften sollten auch nur dort zur Anwendung kommen, wo sie wirklich notwendig sind. Das setzt einen deutlichen Rückbau der Regelungskompetenzen der EU voraus. Auf Ebene des Bundes, der Länder, der Landkreise oder noch besser der Kommunen können oftmals sicher brauchbarere und vor allem flexiblere Lösungen gefunden werden, als im realitätsfernen Brüssel. Und auch dort, wo es möglich gewesen wäre, die Unternehmen zu entlasten, hat sich die Landesregierung aus CDU und Grünen konsequent den Vorschlägen des Normenkontrollrates oder der AfD-Fraktion zum Bürokratieabbau verweigert. Gewerbetreibende wollen ihrer Tätigkeit nachgehen und von ihrer Arbeit profitieren. Mit Dokumentationen, die zudem oftmals überhaupt nicht kontrolliert werden, ist kein Geld verdient, hiervon haben weder Unternehmer, Arbeitnehmer noch der Staat etwas. Der Staat sollte sich ohnehin zuerst um eine funktionierende Infrastruktur, angefangen bei ausreichend Parkplätzen in den Innenstädten bis hin zu bezahlbarer Energie, kümmern, bevor er versucht den Unternehmen Verstöße gegen irgendwelche Vorschriften anzuhängen. Wir setzen uns dafür ein, dass alle Vorschriften auf den Prüfstand kommen und den Gewerbetreibenden und den Bürgern wieder mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zugestanden wird. Um das umsetzen zu können, braucht es aber auch die entsprechenden Wahlergebnisse.«
Autor:Redaktion aus Singen |
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