Neues zur aktuellen Flüchtlingsdebatte
Kann die Asylreform die Kommunen aus der Krise führen?
Landkreis Konstanz. Die Debatte um die Flüchtlingsproblematik nimmt weiterhin kein Ende. Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, vor welchen Herausforderungen die Kommunen derzeit immer noch stehen. Welche Probleme gibt es aktuell in der Region und welche Rolle spielt dabei die heiß diskutierte Krisenreform zur Flüchtlingskontrolle an den EU-Außengrenzen?
Diese Frage war unter anderem bei einer Podiumsdiskussion im Radolfzeller Milchwerk zum Thema "Festung Europa" über die neue Asylgesetzgebung der EU ein zentrales Thema. Die Asylreform soll noch vor der Europawahl 2024 in Kraft treten und beispielsweise die irreguläre Migration, sprich einen Aufenthalt von Geflüchteten ohne Aufenthaltsrecht, begrenzen. Dies soll vor allem die Situation an den EU-Außengrenzen verbessern. Die darin enthaltene Krisenverordnung sieht etwa vor, dass bei einem besonders starken Anstieg der Zahlen Migranten länger in Aufnahmeeinrichtungen an den Außengrenzen festgehalten werden können.
"Wir stehen mittlerweile am Punkt der Überforderung und stellen uns die Frage, was in dieser Thematik machbar ist", so die FDP-Bundestagsabgeordnete Ann-Veruschka Jurisch. Sie verwies dabei auch auf die Überlastung der Kommunen, sowie die Gefährdung der Integration. Für sie sei es wichtig, in dieser Angelegenheit eine "respektvolle und humane Debatte" zu führen.
Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Jung, sei es das Schlimmste, wenn aufgrund der Flüchtlingsproblematik die gesellschaftliche Akzeptanz bröckelt. "Hierbei ist es unser aller Verantwortung, das Asylrecht zu erhalten und Schutz zu gewähren. Zudem haben die demokratischen Parteien der Mitte die Verantwortung, einen Rechts- oder Linksruck in Deutschland zu verhindern." Laut der SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Lina Seitzl fehle es derzeit stark an Infrastruktur und Personal. "In diesem Fall gilt es, Berufsabschlüsse anzuerkennen sowie die Bauanträge zu bewilligen." Hierbei halte sie eine Diskussion an der Realität entlang sowie mehr Pragmatismus für sehr wichtig.
"Müssen uns viel selbst helfen"
Die Singener Bürgermeisterin und Fachbereichsleiterin für Soziales, Ute Seifried, bezeichnete die aktuelle Flüchtlingsproblematik als "Kraftakt, auch für kleinere Kommunen", welche bei dieser Thematik derzeit mit dem Rücken zur Wand stünden. Unter anderem würden dabei Neid-Debatten zu unguten Diskussionen führen. Das Ziel sei es, den Menschen in den Städten und Kommunen eine Perspektive zu bieten und sie dabei gut zu begleiten. Damit gebe es die Möglichkeit, Migration gut steuern zu können.
"Es kommen Familien, welche eine hohe Anzahl an Kindern haben", berichtete Seifried. Allein in Singen hatte man im letzten Jahr auf einmal 300 Kinder mehr. Hierfür Kitas zu bauen oder zu erweitern, sowie das Fachpersonal dafür zu finden, bezeichnet Seifried als "immense Herausforderung". Um die Kinder fachgerecht unterbringen zu können, müsse ihrer Ansicht nach die Förderung für Kitas verbessert werden, um den Beruf für junge Leute attraktiv zu machen. "Wir müssen uns viel selbst helfen, damit die vielen Dinge, die wir bewältigen müssen, ineinandergreifen können."
"Die Stimmung kippt"
Auch im Gemeindetag ist das Thema dauerhaft auf der Tagesordnung. So auch bei der kürzlich stattgefundenen Vorstellung von Benjamin Mors, Bürgermeister von Steißlingen, als neuer Vorsitzender des Gemeindetag-Kreisverbands Konstanz. "Das Flüchtlingsthema beschäftigt uns täglich", sagte Mors. Die Kommunen kommen bei der Unterbringung an die Grenzen. Steißlingen müsste durchschnittlich 20 Personen im Jahr unterbringen. Derzeit werden Container mit 60 Plätzen für 1,6 Millionen Euro gebaut.
Mors' Vorgänger und Noch-Vorsitzender, Engens scheidender Bürgermeister Johannes Moser, wirft den Regierungen auf Landes- und Bundesebene vor, bei ihren Vorgaben nicht auf die Umsetzbarkeit und die Nachwirkungen zu achten. Früher seien diese Regierungen besser aufgestellt gewesen. Heute kämen hingegen Anforderungen an die Gemeinden, die nicht durchdacht seien. Es bringe nichts, 25 Milliarden Euro für die Geflüchtetenunterbringung bereitzustellen, wenn es die Kommunen 40 Milliarden kostet. So müssten Städte und Gemeinden Einnahmen für etwas generieren, was eigentlich nicht zu ihren Aufgaben gehöre. "Die Stimmung kippt", warnte Moser. Und das könne zu einer Gefahr für die demokratische Grundordnung werden. "Da mache ich mir große Sorgen."
Hilzingens Bürgermeister Holger Mayer sieht ein Problem in vielen parallel auftretenden Krisen und Herausforderungen. "Das belastet uns, unsere Mitarbeiter und die Bevölkerung." Auch er spricht von einem spürbaren Kippen der Stimmung. Der Gemeindetag kritisiert aber nicht nur, was aus seiner Sicht schiefläuft, sondern schlägt auch konkrete Lösungsansätze vor. So etwa in einer Ende September veröffentlichten Erklärung, in der die Umsetzung von Sofortmaßnahmen gefordert werden. Darunter befinden sich Kontrollen an den deutschen Grenzen, die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer und die Beschleunigung von Asylverfahren. Menschen mit Aufenthaltsrecht soll dieses bei schweren Straftaten aberkannt werden und Sozialleistung enger mit Mitwirkungspflichten verbunden werden, wenn es um die Integration in den Arbeitsmarkt geht.
Die Umsetzung solcher Sofortmaßnahmen würden den Kommunen weiterhelfen, zeigte sich Benjamin Mors überzeugt. Dem stimmte auch sein Hohenfelser Bürgermeisterkollege Florian Zindeler zu. Die Kommunen bräuchten Perspektiven: "Das gibt auch Sicherheit."
Ein "einheitlicher Flüchtlingsbegriff"
Manfred Hensler, Mitglied des Sprecherrats der Ehrenamtlichen Helferkreise und -Vereine im Landkreis Konstanz, hat in der aktuellen Debatte ebenfalls einige Bedenken, so vermisse er vor allem einen einheitlichen Flüchtlingsbegriff: "Es kann nicht sein, dass wir immer noch zwischen Arbeits-, Hunger- oder auch illegalen Flüchtlingen unterscheiden müssen." Dies sei "nicht im Sinne der UNO", allein den Begriff illegal bezeichnet er als "hässlich". Zudem sei es für ihn wichtig, zunächst über die Fluchtursachen in den Herkunftsländern nachzudenken, so gebe es "seriöse Ursachen, die man nicht differenzieren sollte". Als solche bezeichnet er beispielsweise den Gewinn von Bodenschätzen, wo in Afrika vor allem die reiche und mit der Regierung eng verbundene Oberschicht profitiere und die restliche Bevölkerung zur Flucht gezwungen sei. "Auch wenn viele Geflüchtete für unsere Gesellschaft kulturell oder auch wissenschaftlich ein Gewinn sind, so laufen wir durch die Reform Gefahr, die eigentlichen Werte aufzugeben und das Fundament Europas zu beschädigen", verdeutlicht Hensler. Eine Schädigung, welche auch die Kommunen unmittelbar zu spüren bekämen.
Auch die Tatsache, dass es mittlerweile weniger Ehrenamtliche bei steigender Flüchtlingsanzahl gebe, mache ihm Sorgen: "Da muss man sich schon fragen, warum das so ist." Für den Sprecherrat sei es wichtig, die Europäischen Märkte durch Zollbestimmungen zu schützen. "Wir haben die Forderung, dass Dinge an den Außengrenzen gerecht und mit genügend Infrastruktur abgewickelt werden." Hierzu benötige es Gelder in Milliardenhöhe, um an den Grenzen zum Beispiel genug Anwälte zu haben. Dies müsse die rechtsstaatlichen Grundsätze abbilden und der Menschenwürde gerecht werden. "Darüber hinaus sollte Druck auf nicht aufnahmebereite Staaten ausgeübt und diesen vermittelt werden, die Grundwerte zu respektieren und Basiswerte einzufordern", stellte Hensler klar. Vor allem in Polen und Ungarn sei dies gerade nicht der Fall. "Diesen sollte in solchen Situationen die EU-Mitgliedschaft entzogen werden." Drittstaaten wie Georgien und Moldau, welche zwar eine geringe Aufnahmequote in Relation zur Bevölkerungszahl haben, jedoch als sicher betrachtet werden können, sollte man jedoch als potenzielle EU-Mitglieder in Betracht ziehen.
Problem wird nicht gelöst
"Wir müssen den Fokus auf die Menschen richten, die es tatsächlich betrifft", so Sebastian Röder, Rechtsanwalt und Mitglied des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. Mit solchen Beschlüssen würde man sich auch selbst schaden und Dinge über Bord werfen. Die Geflüchteten würden seiner Aussage nach dazu aufgefordert zu begründen, warum sie nicht in dem Land bleiben wollen, über das sie flüchten möchten."Seit 2016 werden die Menschen auf Inseln eingesperrt. Die Reform wird dabei nicht zur Problemlösung, sondern zu einem Anstieg ähnlicher Szenarien führen." Ein Entschluss, welcher an der Belastung der Kommunen nichts ändern würde.
von Philipp Findling und Tobias Lange
Autor:Redaktion aus Singen |
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