Geschichte aufgezeigt
Nach KZ-Häftlingen benannte Straßen erhalten Info-Tafeln
Radolfzell. Die Stadt Radolfzell hat sich die Aufarbeitung der eigenen Geschichte auf die Fahnen geschrieben. Das betrifft insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus. In drei nach KZ-Häftlingen benannte Straßen werden die Straßenschilder nun mit Informationstafeln ergänzt, die über die namensgebenden Personen aufklären.
Konkret geht es dabei um die Leonhard-Oesterle-Straße, den Fritz-Klose-Weg und die Jacob-Dörr-Straße. Über Leonhard Oesterle ist vergleichsweise viel bekannt, wie Hildegard Bibby, ehemalige Leiterin des Zeller Stadtarchivs, erklärte. Er ist als Bildhauer bekannt und "der bekannteste der drei Männer". Er wurde 1915 in Bietigheim-Bissingen in eine Arbeiterfamilie geboren und 1935 für seine Kontakte zur KPD wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" verhaftet.
1940 kam er ins Konzentrationslager Dachau und 1941 für den Bau der dortigen SS-Schießanlage zum KZ-Außenkommando Radolfzell. Im November 1943 gelang ihm die Flucht über den Untersee in die Schweiz, wo er den Rest des Krieges verblieb. 1956 wanderte er nach Kanada aus und unterrichtete Bildhauerei in Toronto, wo er im November 2009 starb. Nach Radolfzell kam er zuletzt im Jahr 1991. Bei diesem Besuch trug er sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Eine seiner Skulpturen - der "Frauenkopf" - ist im Garten der Villa Bosch zu besichtigen.
Über Fritz Klose und Jacob Dörr ist vergleichsweise wenig bekannt. Auch weil ihr Leben während der Gefangenschaft in Radolfzell gewaltsam endete, wie Stadtarchivleiter Alexander Röhm erläuterte. Demnach wurde Dörr 1916 in Frankfurt am Main geboren. Bekannt ist, dass er 1933 von einem Jugendgericht verurteilt worden ist. 1941 wurde er ins KZ Dachau und im Mai nach Radolfzell verbracht. Dort wurde er am 11. November desselben Jahres ermordet.
Laut Röhm hatte ein SS-Mann dem Häftling die Mütze abgenommen, über die Wachpostenkette geworfen und ihm befohlen, sie zurückzuholen. Dabei wurde er "auf der Flucht" erschossen. Fritz Klose wurde 1904 in Rehlaus in Schlesien geboren. Von ihm ist bekannt, dass er Maurer und politisch aktiv war. 1940 kam er zunächst ins KZ Sachsenhausen und 1941 nach Dachau und danach nach Radolfzell. 1943 wurde er dort ermordet.
Weitere Tafeln werden folgen
Dass die Straßenschilder mit biografischen Informationen der drei Namensgeber ergänzt werden, geht auf die Anregung des Arbeitskreises Erinnerungskultur zurück. "Es ist die Aufforderung an die Radolfzeller, wahrzunehmen, dass hier Geschichte erlebbar bleibt", sagte Norbert Lumbe, der dem Arbeitskreis angehört. Er glaube, dass in den vergangenen 30 Jahren das Bewusstsein dafür entstanden ist, Verantwortung zu tragen. Dem stimmte Elisabeth Burkart, ebenfalls vom Arbeitskreis Erinnerungskultur, zu. Mit jedem Jahrzehnt, dass die Menschen von den Ereignissen trennt, steige die Akzeptanz, das Geschehene aufzuarbeiten.
Die nun umgesetzten Info-Tafeln werden nicht die letzten sein, die aufgehängt werden sollen. "Wir sind in der Prüfung, was erklärungsbedürftig ist", erklärte Alexander Röhm. Hildegard Bibby gibt ein konkretes Beispiel: die Walter-Schellenberg-Straße. Denn die Straße ist nach dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Schiesser benannt und nicht nach einem gleichnamigen Nationalsozialisten. "Da müsste dringend eine Erklärung hin", so Hildegard Bibby.
Autor:Tobias Lange aus Singen |
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