Naturschutztage im Zeichen des Streuobstes
2023 soll das Jahr des Flächenschutzes werden

BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch bei der Eröffnung der Naturschutztage im Radolfzeller Milchwerk. | Foto: Fiedler
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  • BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch bei der Eröffnung der Naturschutztage im Radolfzeller Milchwerk.
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Radolfzell. Nach einem Jahr ganz ohne, und einem Jahr in digitalen Gefilden haben die Naturschutztage in Radolfzell wieder in Präsenz viele Interessierte angezogen. Wie in früheren Zeiten habe es rund 1.000 Anmeldungen für den viertägigen Kongress gegeben, viele der Angebote zu Workshops und Exkursionen waren auch bald ausgebucht, konnten sich Sylvia Pilarsky-Grosch vom BUND als diesjähriger Hauptveranstalter und Johannes Enssle vom NABU bei der Eröffnungs-Pressekonferenz freuen. Die Themen der inzwischen schon 46. Naturschutztage, die seit 30 Jahren in Radolfzeller Milchwerk als Zentrum durchgeführt werden, machten einmal mehr deutlich, wie dringlich Maßnahmen zur Dämpfung der Auswirkungen des Klimawandels sind.

Streuobstwiesen als ein Katalysator

Den Flächenverbrauch unserer Gesellschaft und damit verbunden die nachhaltige Sicherung von Streuobstwiesen sind dieses Jahr Thematisch in den Mittelpunkt gestellt bei diesen Naturschutztagen. Denn trotz des erfolgreichen Volksbegehrens zum Thema Biodiversität und Artenschutz und einer dadurch eigentlich klaren Gesetzeslage, seien gerade Streuobstwiesen nicht wirklich vor Bebauung geschützt, klagte Johannes Enssle in der Medienkonferenz zum Start der Naturschutztage an. Die letzten zwei Generationen hätten in Baden-Württemberg so viele frühere Naturflächen verbraucht wie die 80 Generationen zuvor, klagte er an. Noch immer gingen in Baden-Württemberg rund 6,2 Hektar Land für Straßen und Baugebiete jeden Tag verloren. Baden-Württemberg habe in den letzten Jahren zwar 24 Prozent an Bevölkerung dazu gewonnen,  die dafür benötigen Flächen hätten sich verdoppelt und inzwischen sei man im Land bei 14,8 Prozent überbauten Flächen für Wohnen, Gewerbe und Verkehr angekommen.

Trotz verändere Gesetzeslage seien die Behörden immer noch viel zu großzügig Streuobstflächen für Baugebiete roden zu lassen, wie die beiden mit einem Faktenpapier untermauerten. Bei Umfragen in den Landkreisen waren sie alleine auf 54 Ausnahmen alleine im ersten Jahr des neuen Gesetzes gekommen. Der Fall "Bretten", als die Rodung einer alten Streuobstwiese noch im Vollzug gestoppt wurde, schlug große Wellen, aber auch in Allensbach-Kaltbrunn gebe es einen solchen Fall, sagte Johannes Enssle, wo man eben Argumentiere, dass die Gemeinde das schon lange plane und ja auch die Grundstücke schon erworben habe. Gerade die Änderung des Baugesetzbuchs über den Paragraph 13b für kleinere Baugebiete zur Abrundung von Ortsettern habe für Schlupflöcher gesorgt, da man dort auf eine Umweltprüfung verzichte, klagte Sylvia Pilarsky-Grosch an, mit der klaren Forderung, das man nun das Jahr 2023 zum Jahr des Flächenschutzes erklären solle, denn auch Streuobstwiesen werden als klare Klimafaktoren gesehen. Wenn sie immer weniger würden, sei das nicht nur eine Katastrophe für die Biodiversität sondern damit falle dann auch eine Bremse im Klimawandel aus.

Dass ich auch Radolfzell als "Umwelthauptstadt" und Veranstaltungsort der Naturschutztage nicht mit Rum bekleckern kann, musste sich da auch OB Simon Gröger in seiner Begrüßung eingestehen: seit 2015 seien im Flächennutzungsplan ganze 100 Hektar Flächen für Bebauungen definiert worden, sagte er den Gästen.

Den Widerspruch der Politik brachte zur Eröffnung dann Sylvia Pilarsky-Grosch in Sachen Ukraine-Krieg auf den Punkt: Einerseits habe man schnell gesagt, dass man zur Sicherung der Ernährung der Bevölkerung Nahrungsmittelproduktion auf eigentlich geschützten Flächen ermöglichen wolle, wenn man Straßen, Wohngebiete oder Gewerbegebiete bauen wolle und dafür der Natur Flächen wegnehme, dann spiele die Ernährung der Bevölkerung auf einmal keine Rolle.
Und auch zum Thema Klimawandel zeigte sich die BUND-Landesvorsitzende keineswegs optimistisch: Der Zug fahre, jetzt könnte man nur noch den Aufprall etwas abmindern.

"Warum kommen wir nicht vorwärts?"

In noch dunkleren Farben malte Buchautor Nick Reimer die Klimazukunft: Die Aussagen der Wetterforscher seien klar: Mit dem, was jetzt schon an Emissionen und CO₂ durch die Menschen in die Atmosphäre eingebracht wurde, sei die Klimaentwicklung, auch wann man augenblicklich aus "Null" stelle, bereits bis 2046 vorgegeben: und da werden die Temperaturen schnell nach oben gehen. Berlin werde bald ein Klima wie Toulouse haben, führte er als Beispiel an, doch damit werde die Stadt nicht mehr zurechtkommen, dass Städtebau nie in die Zukunft gerichtet gewesen sei. Viele hätten ihn gefragt, woher er gewusst hätte, dass es Katastrophen wie im Aartal geben würde, doch auch das sei eine einfache Rechnung: mit jedem Grad mehr könne die Luft eben sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen. Mit solchen Regenkatastrophen komme die Natur nicht mehr klar, denn das Wasser könne sie so gar nicht mehr aufnehmen. Reimer sieht die Buchenwälder im großen Stil sterben. Kühe fühlten sich bei 24 Grad wohl, alles darüber sei Stress für sie, weshalb die Landwirtschaft vor riesigen Umbrüchen stehe in der Frage, was in Zukunft überhaupt noch wachse.

Deutschland sei in 1990 sogar eines der ersten Länder gewesen, dass ich eine Reduzierung der Treibhausgase bis 2005 um 20 Prozent gesetzt hätte. Geschafft hätte man gerade mal acht Prozent. In der nächsten Runde habe man sich 40 Prozent bis 2020 gesetzt und das auch nur wegen der Corona-Lockdowns geschafft. Die Rückwärtsrollen mit Kohlestrom wegen des Ukrainekriegs und der wieder erwachte Energiehunger hätten diese Marke längst wieder pulverisiert. "Warum kommen wir da nicht vorwärts", war die provokante Frage für ihm zum Abschluss seines Vortrags: Man wisse längst, dass einer der 17 Kipppunkte zum Weltklima, nach dem anderen schon überschritten werden, zum Beispiel beim Gröndlandeis, in den Permafrostgebieten oder der dem Amazonasgebiet als CO₂-Speicher. Aber man tue nichts dagegen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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