"Zukunft entsteht leise" mit Frank Harsch
"Die Spielregeln der Demokratie sind nicht verhandelbar"

Beim Thema des Ukraine-Konflikts sieht Engens Bürgermeister Frank Harsch den Westen nicht ganz ohne Schuld. | Foto: Anja Kurz/Archiv
2Bilder
  • Beim Thema des Ukraine-Konflikts sieht Engens Bürgermeister Frank Harsch den Westen nicht ganz ohne Schuld.
  • Foto: Anja Kurz/Archiv
  • hochgeladen von Philipp Findling

Das Thema Zusammenhalt spielt in unserer Gesellschaft gerade in der heutigen Zeit eine immer tragendere Rollen. Dies sowie der Ukraine-Konflikt oder auch eine nachhaltige Wirtschaft sieht der Engener Bürgermeister Frank Harsch im Interview mit dem WOCHENBLATT als Dinge, welche für eine bessere Zukunft in 2030 dringendst angegangen werden müssen.

WOCHENBLATT: Wie soll die Zukunft Ihrer Ansicht nach 2030 aussehen, wenn es gut sein soll?

Frank Harsch: Es wäre klasse, wenn wir die Energiewende hinbekommen würden. Nicht ideologisch, sondern tatsächlich, ohne dabei die Gesellschaft zu spalten und Wohlstand zu verlieren. Zudem ist es für mich auch wichtig, den demokratischen Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken und andere Meinungen zuzulassen, um gewisse Themen in einem demokratischen Diskurs auszuhandeln. Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland die Meinungsfreiheit eingegrenzt ist, man zwar alles sagen darf, aber dahingehend auch mit Konsequenzen rechnen muss. Grundsätzlich ist es gut, dass jeder alles haben darf und das, was dann am Ende ausgehandelt wird, akzeptiert werden muss. Es kann nicht sein, dass eine demokratische Entscheidung getroffen wird und trotzdem noch weiterdiskutiert wird, so funktioniert Demokratie nicht.

WOCHENBLATT: Wie kann es Ihrer Ansicht nach gelingen, dass andere Meinungen in Zukunft mehr akzeptiert werden?
Harsch: Indem wir uns bewusst werden, was Demokratie bedeutet. Das muss man sowohl in der Schule, als auch in der Gesellschaft und der Politik ausarbeiten. Es kann nicht immer nur in eine Richtung geben, es gibt immer mehrere Richtungen, die ausgehandelt werden müssen. Meinungen müssen respektiert und akzeptiert werden, bevor über sie abgestimmt werden kann.

WOCHENBLATT: Wie blicken Sie im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung sowie anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes und was kann in dieser Hinsicht getan werden, um die Demokratie nicht zu gefährden?
Harsch: Wir müssen auf die Demokratie aufpassen und sorgsam mit ihr umgehen. Auch dabei ist es wichtig, Meinungen anderer zuzulassen, auch wenn sie uns nicht passen. Wir müssen lernen, dass die Mehrheit entscheidet und nicht die Minderheit. Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, dass die Minderheit in den Mittelpunkt gestellt wird. Das kann auf Dauer so nicht funktionieren. In der Demokratie hat man unter anderem durch die Gerichte noch eine gewisse Entscheidungsmacht.

WOCHENBLATT: Was definieren Sie unter dem Begriff Minderheit?

Harsch: Sie stellt für mich das Gegenteil zur Mehrheit in allen Bereichen, auch politisch gesehen, dar. Mir geht es nicht darum, die Minderheiten zu benachteiligen, sondern, dass diese auch gehört wird und man dieser entgegenkommt, wo es nur geht.

WOCHENBLATT:
Welche weiteren Themen sollten Ihrer Ansicht nach angegangen werden, damit die Zukunft 2030 gut sein soll?
Harsch: Ich halte es für wichtig, dass man die Wirtschaft fördert. Nur eine starke Wirtschaft bringt uns die Garantie auf Wohlstand, mit dem wir wiederum soziale Projekte vorantreiben können. Wir brauchen sie auch, um uns weiterhin soziale Standards leisten zu können. Für die Zukunft halte ich es auch für wichtig, dass wir ein Betreuungsangebot haben, welches sich die Eltern auch wünschen. Dabei ist nicht nur die Ganztagesbetreuung, sondern alle Betreuungsformen miteingeschlossen, um den Eltern weitestgehend gerecht zu werden. In Sachen gesellschaftlicher Zusammenhalt müssen die Spielregeln der Demokratie klargestellt werden. Die Spielregeln der Demokratie sind für mich nicht verhandelbar. Ich habe das Gefühl, dass dies ein bisschen verloren gegangen ist.

WOCHENBLATT: Welche Maßnahmen müssten konkret mit Hinblick auf die Kommunal- und Europawahlen Ihrer Ansicht nach angegangen werden, damit die Zukunft 2030 gut wird? Wer könnten dabei die Verlierer sein?

Harsch: Die Energiewende wird ohne wirtschaftlichen Erfolg nicht funktionieren. Nachhaltigkeit ist für mich auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich sehr wichtig, das wird oft vergessen. Viele konzentrieren sich nur auf den Naturschutz und die Energiewende, doch das ist zu kurz gedacht. Es muss nicht nur ein Part, sondern die gesamte Sache angestrebt werden, nur dann funktioniert das auch und es findet dann auch keine Spaltung statt. Es muss Auffangmechanismen geben für die Menschen, welche in dieser Hinsicht als Verlierer dann gelten. Die gibt es Gott sei Dank in Deutschland. Ich weiß nicht, ob man in Deutschland von typischen Verlierern reden kann. Im Verhältnis zu anderen Staaten auf der Welt wie Indien leben wir hier unter Traumbedingungen, das sollte uns bewusstwerden. Dieses Bewusstsein ist uns verloren gegangen. Man muss allen Leuten in unserer Gesellschaft klarmachen auf welchem Level wir heutzutage leben. Zu den Verlierern könnten diejenigen werden, die sich irgendwann nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen, das hat schon zugenommen in letzter Zeit. Diese Gefahr sehe ich durchaus. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, eine Meinung haben zu können, ohne dadurch mit beruflichen oder gesellschaftlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Ich muss alles sagen können.

WOCHENBLATT: Welche Akteure müssen diese Maßnahmen ergreifen, damit die Zukunft 2030 gut sein soll?
Harsch: Das ist für mich ganz klar die Bundespolitik. Selbst die Landes- und Kommunalpolitik ist in diesem Fall für mich nachrangig. Sie treffen die Entscheidungen und sagen ganz klar, wo es lang geht. Wenn dort versagt wird ist es für die Kommunen nicht auszugleichen. Wir hier in Engen müssen unsere Probleme auch selbst lösen. Wenn aber die Vorgaben von oben so derartig schlecht sind, können wir es nicht ausgleichen. Wir sind dafür da, uns auf kommunaler Ebene den dortigen Bedingungen anzupassen. Es ist absolut wichtig, was die Regierung macht oder nicht macht. Gerade deswegen liegt schon einiges im Argen, dass ein Ausgleich derzeit schwer möglich ist. Auch die ganze Bürokratie können wir aktuell auf kommunaler Ebene nicht packen.
Wie will ich eine Energiewende angehen, wenn keine klare Strategie vorhanden ist?

WOCHENBLATT: Welche Tipps würden Sie den drei Bundestagsabgeordneten des Landkreises, Lina Seitzl, Andreas Jung und Ann-Veruschka Jurisch an die Hand geben, damit die Zukunft in 2030 eine gute sein soll?
Harsch: Bei der Energiewende ist alles immer noch viel zu komplex, noch nicht konkret genug bzw. strategisch noch nicht ganz ausgereift sowie wirtschaftlich und technisch teilweise gar nicht umsetzbar. Sie müssen Lösungen finden, die auch funktionieren und das mit viel weniger Bürokratie. Bezüglich der Seniorenbetreuung muss dringendst mit den Leuten vor Ort gesprochen werden, die im Altenheim sind und es sich nicht mehr leisten können und wie diese mit dieser Situation umgehen. Auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg muss eine Lösung gefunden werden. Es kann nicht das Ziel sein, hier in Europa einen jahrzehntelangen Krieg zu haben. Bei der Flüchtlingssituation habe ich das Gefühl, dass sie es in Berlin gerade aussetzen wollen. Das funktioniert jetzt schon nicht mehr. Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, prophezeie ich, dass es noch schlimmer wird in Deutschland.

WOCHENBLATT: Der Ukraine-Konflikt mit Russland hat ja über den aktuellen Angriffskrieg hinaus eine lange Vorgeschichte. Welche Maßnahmen muss die Regierung ergreifen, um in dieser Sache mal ordentlich mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin an einen Tisch zu sitzen und über diesen Konflikt zu sprechen?
Harsch: Putin ist mit Sicherheit ein Kriegsverbrecher. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Westen in dieser Sache ebenfalls seinen Anteil hatte. Ich bin mir nicht sicher, dass wenn dieser Anteil nicht gewesen wäre, es überhaupt zum Krieg gekommen wäre. Da wir als Westen nicht ganz unschuldig sind, haben wir die Pflicht, jetzt etwas zu machen, unseren geleisteten Negativbeitrag auszumerzen. Der Krieg muss beendet werden, das kann nicht ewig so weitergehen. Es gibt seit zwei Jahren überhaupt keine Fortschritte, nur Tote und viel verbranntes Geld. Das hat bis jetzt überhaupt nichts gebracht. Man hätte viel früher eine Diplomatie machen müssen. Bei Außenministern wie Hans-Dietrich Genscher wäre das anders gelaufen. Man muss jetzt auch beginnen, Verhandlungen zu führen, mit Putin zu sprechen. Das könnte dahingehend auch bedeuten, dass die Ostukraine erst einmal als neutrales Gebiet deklariert werden muss und die Waffen schweigen. Zudem sollte man in einer Volksbefragung ausfindig machen, wo sich die Menschen in dieser Gegend zugehörig fühlen.

WOCHENBLATT: Abgesehen von der Bundes- und Kommunalpolitik: Welche Akteure müssen im aktuellen Israel-Palästina-Konflikt einwirken, damit es in dieser Hinsicht keine Verlierer gibt?
Harsch: Antisemitismus ist in jeglicher Form zu verurteile. Es ist für mich gerade aufgrund unserer Historie unfassbar, dass es so etwas in Deutschland überhaupt gibt. Ich sehe aber auch, dass Antisemitismus in Deutschland größtenteils auch vom Islamismus geprägt ist, es somit ein Stückweit mit muslimischem Antisemitismus zusammenhängt. Das muss ganz klar unterbunden werden. Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz. Auch hier ist in erster Linie wieder die Regierung gefragt, diese Probleme zu lösen und nicht nur Lippenbekenntnisse abzugeben. Eine Claudia Roth darf bei dem geschehenen Vortrag auf der Berlinale nicht klatschen, das sind diejenigen, die vornedran stehen. Was sollen denn die Bürger sagen, wenn die eigenen Politiker so etwas machen? Das verunsichert sie doch nur noch mehr. So etwas muss klar unterbunden und bestraft werden und darf nie wieder sein.

WOCHENBLATT: Im September droht in Thüringen die AfD dort stärkste Kraft zu werden. Was müsste konkret unternommen werden, damit solche Randparteien nicht an die Macht kommen?
Harsch: Zunächst einmal finde ich es erschreckend, dass Linke und AfD bei einer doch hohen Wahlbeteiligung gemeinsam mehr als 50 Prozent in Thüringen haben. Die Randparteien kommen nur deshalb hoch, weil die Regierungen die Probleme nicht im Sinne der Menschen lösen. So weit darf es niemals kommen, das ist eine mittlere Katastrophe. Das hängt auch mit dem Fehlen einer klaren Strategie seitens der Bundesregierung zusammen, wie man mit den Problemen der Zeit umgehen soll oder diese sogar ausgesessen werden. Wenn die Menschen nicht mehr das Gefühl haben, dass die Probleme gelöst werden, dann entsteht so etwas wie das Emporkommen der Randparteien. Man wird die Probleme am Ende des Tages nicht zu 100 Prozent lösen können, jedoch sollen die Menschen ernsthaft das Gefühl haben, dass die Politik diese Konflikte auch wirklich lösen will. Das haben sie derzeit nicht. Die Leute haben unzählige Bedenken, welchen man begegnen muss. Man muss die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen, darauf eingehen und diesen zu begegnen. Das passiert aktuell nicht. Ich habe meine Zweifel daran, dass dies auf die Schnelle behoben werden kann. Ich habe eher das Gefühl, dass es so weitergehen wird. Das Schiff in kürzester Zeit herumzureißen wird unmöglich sein, dafür ist zu viel in letzter Zeit zerschlagen worden. Es muss das Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Regierung zurückgewonnen werden, damit gesehen wird, dass etwas getan wird. Wenn wir es soweit bringen würden, wäre das schon die halbe Miete, um dann im Laufe der Jahre zu versuchen, die Probleme zu lösen.

Beim Thema des Ukraine-Konflikts sieht Engens Bürgermeister Frank Harsch den Westen nicht ganz ohne Schuld. | Foto: Anja Kurz/Archiv
Foto: Frank Harsch
Autor:

Philipp Findling aus Singen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

4 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.