Neue LehrerInnen für das Schuljahr verpfichtet
Wenigstens die Talsohle scheint erreicht zu sein
Engen. Mit einem feierlichen Akt wurden am Freitagmorgen in der Engener Stadthalle rund 100 neue Lehrkräfte vor dem Start in das neue Schuljahr verpflichtet - also für den Montag. Gerhard Schlosser vom Schulamt nahm den Neulingen die Verpflichtungsformel ab, die immerhin ein ganzes Leben lang gilt, mit der Frage zur Treue zur Verfassung, wie er bei seiner Rede deutlich machte. Durchgeschnauft wird in er Region, weil es im Endspurt doch noch geklappt hat, im Landkreis alle Stellen zu besetzen, zumindest rechnerisch für den ersten Schultag. Durch Krankheit. Ruhestand oder Schwangerschaft kann sich das Bild wieder blitzschnell ändern.
Quereinsteiger retten das Schuljahr
Das Besondere an diesem Akt am Freitag war, dass fast die Hälfte der anwesenden künftigen Lehrer erst mal nur einen Zeitvertrag von einem Jahr haben und als Quereinsteiger nun eine neue Karriere starten. Sie werden neben ihrer Arbeit in der Schule für ihren Job weiter für ihre neue Lebensaufgabe qualifiziert, wie die Leiterin des Schulamts, Bettina Armbruster, erläuterte. Dies sei natürlich auch für die Schulen und das Kollegium eine Herausforderung, weil das zu den schon bestehenden Herausforderungen inklusive der Geflüchteten aus der Ukraine, den anderen Krisenherden wie auch den Veränderungen in der Gesellschaft hinzukomme.
Was vor zehn Jahren noch "undenkbar" schien, betreffe inzwischen rund ein Drittel der Lehrkräfte im Bezirk des Schulamts, das die Landkreise Konstanz und Tuttlingen abdeckt. Aber man habe nach ihrer Einschätzung die Talsohle erreicht. Es werde also voraussichtlich nicht noch schlimmer. Und damit ist für die Schulamtsleiterin einiges an Optimismus verbunden. Immerhin wage das Land hier endlich die Umsetzung von Modellen, die in Kanada oder Japan schon lange Praxis seien.
Denn auch wenn das Land nun eine Erhöhung der Studienplätze gesetzt habe, werde es natürlich Jahre gehen, bis diese neuen Lehrer an den Schulen ankommen, zunächst erst mal im Referendariat. Noch hat die Politik allerdings auch Mühe mit den Quereinsteigern. Bis vor kurzem wurden sie als "Nichterfüller" in der Statistik geführt, also Personen die die Voraussetzungen für diesen Beruf gar nicht haben. Nun heißen sie seit neuestem "PoL" - "Personen ohne Lehrbefähigung" - die in Kampagnen als "Lehrvertretungen" engagiert werden sollen. Aber die hatten offensichtlich gewirkt, wie die vor dem Schulstart vom Regierungspräsidium veröffentlichten Zahlen verdeutlichten.
Laut den Listen des Regierungspräsidiums gibt es für den Landkreis Konstanz insgesamt 295 neue Lehrkräfte und es gebe damit nach jetzigem Stand nur zwei unbesetzte Stellen, und diese im Bereich Sonderpädagogik. Für den Grundschulbereich konnten danach 60 neue Lehrkräfte gewonnen werden, davon allerdings 40 mit befristetem Vertrag als Quereinsteiger und reaktivierte Pensionäre.
In der Sekundarstufe 1 kommen 59 Lehrkräfte dazu, davon auch 46 mit befristetem Vertrag. Im Bereich der Sonderpädagogik gibt es 21 neue Lehrpersonen, nur eine davon mit befristetem Vertrag. Für den Gymnasialbereich haben am Montag 19 neue LehrerInnen begonnen, sieben davon mit befristetem Vertrag als "Nichterfüller". Bei der Gymnasialstufe der Gemeinschaftsschulen gibt es eine neue Lehrkraft. Die Berufsschulen bekommen 44 neue Lehrkräfte, darunter auch fünf Pensionäre mit einer "Ehrenrunde", um Lücken zu füllen.
System ist "marode"
Man kann sich ausmalen, was hier an Unterricht ausfallen würde, gäbe es die vielen Quereinsteiger nicht, die sich schon auch für diesen Beruf berufen fühlen. Sonst hätten sie sich nicht für diesen Wechsel beworben. Aber diese Lücken zu füllen macht dem System Schule schon ganz schön Arbeit, wie die Vorsitzende des Personalrats des Schulamts, Eva-Marija Schuldt, nach der Vereidigung sagte.
Denn das Kollegium muss die neuen KollegInnen "mitnehmen" auf ihrem Weg zur richtigen Lehrperson. "Und da treffen die ganzen Neuerungen auf ein "marodes System", das noch die ganzen Nachwirkungen der Corona-Lockdowns und Kontaktverbote zu verdauen habe, mit entsprechenden Folgen der Erschöpfung in den Kollegien der Schulen. Schuldt kennt die Lage noch aus der alten Warte: Als sie damals anfing, gab es für "zu viele" Anwärter keine Jobs und Einstellungsjobs. Die Politik war immer zu spät dran.
Immerhin können alle neue Lehrkräfte auch auf psychologische Unterstützung durch spezialisierte Vertreter des Schulamts setzen: "Jetzt wird bald eine ganz große Welle in ihre Schulbucht schwappen", deutete Friederike Felske vom schulpsychologischen Dienst angesichts der ganzen gesellschaftlichen Verwerfungen die Herausforderungen bei der Vereidigungsfeier an.
Kultusministerium strebt Veränderungen an
Warum werden überhaupt Lehrstellen befristet besetzt? Für die Einstellung von Lehrern ist das Land Baden-Württemberg. Vom dortigen Kultusministerium heißt es auf Anfrage des WOCHENBLATTs: „Grundsätzlich wollen wir die vorhandenen und zur Beschulung erforderlichen Lehrstellen unbefristet besetzen.“ Laut Pressereferentin Simone Höhn kommen befristete Verträge dann zum Einsatz, wenn die Stelle aufgrund des Fachkräftemangels nicht mit einer ausgebildeten Lehrkraft besetzt werden kann oder der Bedarf nur vorübergehend ist. „Letzteres ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Lehrkraft krankheitsbedingt für einen längeren Zeitraum ausfällt, oder eine Lehrerin schwanger wird.“ Oder aber, wenn „Spitzen bei der Beschulung Geflüchteter, wie wir sie aktuell haben“ abgefedert werden müssen.
Es wird auch daran gearbeitet, den Anteil von befristeten Lehrkräften zu reduzieren: Um langfristig wieder ausreichend Bewerberinnen und Bewerber zu haben, seien im vergangenen Jahr die Studienkapazitäten an den Hochschulen in allen Lehramtsstudiengängen erhöht worden, so Pressesprecherin Simone Höhn weiter. Das sorge schrittweise für mehr Absolventen. Um früher qualifizierte Personen zu gewinnen, soll der Direkteinstieg mit „berufsbegleitender pädagogischer Qualifizierung“ etabliert werden. „Damit sollte absehbar der Anteil der Belegung von Stellen mit befristeten Lehrkräften reduziert werden können.“
Kritisiert wurde in der Vergangenheit, dass befristete Verträge nur bis zu den Sommerferien laufen. Zumindest in Baden-Württemberg wurde dies kürzlich geändert. Im April beschloss der Ministerrat, dass befristete Arbeitsverträge für Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr grundsätzlich vor den Ferien enden. Voraussetzung ist, dass die Beschäftigung spätestens zum 31. Dezember beginnt und bis zu den Sommerferien dauern soll. „Dies ist ein wichtiger Beitrag, um den Lehrerberuf im Land noch attraktiver zu machen“, hieß es damals seitens des Kultusministeriums. „Die Änderung gibt den betroffenen Lehrkräften Sicherheit und Verlässlichkeit.“ Viel Zeit zwischen Beschluss und Inkrafttreten verging nicht: „Die Regelung galt bereits für die diesjährigen Sommerferien“, stellte Simone Höhn klar.
von Oliver Fiedler und Tobias Lange
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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