Zweiter afghanischer Abend in Engen
Träumen – von einem anderen Afghanistan

Diese afghanische Musikgruppe, bestehend aus Toufan Ramin, Rahman Arya und Elham Elyas aus Frankfurt, untermalte auf ihren traditionell afghanischen Instrumenten den Abend in der Engener Stadthalle. | Foto: ak
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  • Diese afghanische Musikgruppe, bestehend aus Toufan Ramin, Rahman Arya und Elham Elyas aus Frankfurt, untermalte auf ihren traditionell afghanischen Instrumenten den Abend in der Engener Stadthalle.
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Engen. Am Samstag fand in der Stadthalle der zweite afghanische Abend des Kulturvereins »Unser buntes Engen e. V.« statt. Neben Musik, Tanz und leckerem Essen gab es dabei auch Berichte aus dem Land, über den Notstand dort und wie geholfen wird.

Nach der Begrüßung durch Ajmal Farman, dem Vorstand des Vereins, und einer Einstimmung durch die Musikergruppe, die auf den traditionell afghanischen Instrumenten, dem Rubab, dem Harmonium und den Tablas, spielte, begrüßte auch Engens Bürgermeister Johannes Moser die Gäste. Mit seinen Worten stellte er klar heraus, welche Herausforderungen die hohe Anzahl an Geflüchteten für die Kommunen aktuell bedeute. Seinen Angaben zufolge leben aktuell etwa 440 Geflüchtete in Engen, darunter etwa die Hälfte UkrainerInnen und etwa 65 AfghanInnen, die sich hier »hoffentlich bald heimisch fühlen«. Dabei sei der Verein »Unser buntes Engen« eine große Unterstützung, egal ob durch das Organisieren von Weihnachtsgeschenken, das Abhalten von Sprachkursen oder Spielgruppen. Trotz des Schreckens in Afghanistan fand der Bürgermeister dabei auch hoffnungsvolle Worte: »Wir sind zusammengekommen, um von einem anderen Afghanistan zu träumen.«

Um diesen Traum in Erfüllung gehen zu lassen, gibt es zahlreiche Projekte, auch hier in der Region. Ajmal Farman selbst, Bernhard Grunewald, als erster Vorsitzender des Vereins »inSi e. V.« und Wolfgang Heintschel, Vorstand der Caritas Singen-Hegau, wollten für Afghanistan tätig werden. So kamen sie laut Heintschel, der die gemeinsame Arbeit an diesem Abend vorstellte, vor etwa einem Jahr schnell zu dem Schluss: »Die größte Katastrophe ist das Vergessen.« Mit dem Spendenaufruf »Der Hegau hilft Afghanistan« sammelten sie nach aktuellem Stand über 10.000 Euro, die an ein Projekt der Caritas international zur Senkung der Mutter-Kind-Sterblichkeit fließen soll.

Mehr zu dem Spendenaufruf "Der Hegau hilft Afghanistan":

»Die größte Katastrophe ist das Vergessen«

Auch Ajmal Farman selbst schilderte seine Erfahrungen in den 20 Jahren, die er nun bereits in Engen lebt. Er habe sowohl in der Hegaustadt, als auch in der seit 2014 wachsenden afghanischen Gemeinschaft im Landkreis Wurzeln gebildet. »Deswegen ist der heutige Abend für mich ganz besonders«, schließlich komme hier beides zusammen. Es sei ihm ein Anliegen, auch die in Afghanistan Zurückgelassenen zu unterstützen und er sieht hierbei eine große Chance in Projekten, die großflächige Hilfe bieten können, wie sie an diesem Abend vorgestellt wurden.

Mit den Kurzvorträgen von Terina Meidanval, die in den 80ern für ihr Studium nach Deutschland kam, und Zainab Hossaini wurde das aktuelle Geschehen und Leiden in Afghanistan nochmals greifbar. Die Lage in dem Land, das sich seit 40 Jahren im Krieg befindet, sei laut Meidanval seit 2021 und der Regierung der »religiösen Fundamentalisten« besonders brisant: 97 Prozent der Afghanen leben in Armut, jedes zweite Kind sei unterernährt, die Dürre im Sommer und der aktuell sehr kalte Winter verschlechtern die Ökonomie und die eingebrochene Versorgung des Landes noch zusätzlich, Frauen und Protestierende würden systematisch unterdrückt.

Zainab Hossaini kam erst vor weniger als einem Jahr nach Deutschland. Auch sie betonte die sich täglich verschlechternde Menschenrechtslage in Afghanistan, die durch den Fokus auf den Krieg in der Ukraine in Vergessenheit gerate. Junge Menschen, die sich in dem Land Gehör verschaffen wollten, bleiben unerhört, dabei wollen sie laut Hossaini nur eins: in Freiheit leben. Dafür setze sie sich hier weiter ein, auch Terina Meidanval betonte die Möglichkeit, von hier aus Druck auf die afghanische Regierung auszuüben.

Der nachfolgende Redner Markus Dewender, erster Vorsitzender des Vereins »Kinder brauchen uns e. V.«, ist erst vor sechs Wochen von seiner letzten Reise nach Afghanistan zurückgekehrt. Er bringt schwer kranke oder verletzte Kinder nach Deutschland, damit sie hier behandelt werden können. Dabei arbeitet er auch mit dem staatlichen Kinderkrankenhaus in Kabul zusammen, dem es selbst an so Grundlegendem wie Verbandsmaterial fehle. Inzwischen konnte er 750 Kindern über dieses Projekt eine Behandlung in Deutschland ermöglichen, die in Afghanistan wohl kaum eine Chance gehabt hätten – »es würde sich aber auch für nur ein Kind lohnen«, macht Markus Dewender klar. Neben dem Sammeln von Spenden seien auch solche Projekte wichtig: »Die Klinik in Deutschland würde das Geld für die Behandlung ja nicht nach Afghanistan schicken.«

Hier suche er stets nach Kontakten und Freiwilligen, egal ob Ärzte, Physiotherapeuten oder Gastfamilien, die in Deutschland mithelfen. Vor Ort habe er sich mit ehemaligen Patienten eine absolut verlässliche Basis geschaffen, auch Kontakt zu den Taliban habe er gehabt. Schließlich müssen die Kinder das Land nach wie vor offiziell verlassen, weswegen er sich dort vorgestellt habe: »Wir müssen einen Weg finden, so mit den Menschen dort zusammenzuarbeiten, dass es funktioniert.«

Nach einer für Markus Dewender überraschenden Spendenübergabe durch die Vorstandschaft von »Unser buntes Engen« über 3.500 Euro, wurde dann im Anschluss die Essensausgabe eröffnet. Dort gab es einige afghanische Spezialitäten, wie »Tschalau« (afghanischer Reis), »Kofta« (Hackbällchen) oder den Pudding »Firni«. Nach dem Essen wurde noch getanzt und gefeiert, nur kurz unterbrochen von einem Vortrag über die Musik und Kultur in Afghanistan.

Unterstützt wurde der Abend durch die Stadt Engen, die hierfür die Stadthalle zur Verfügung gestellt hat. Gesponsert wurde der Abend durch die Sparkasse Engen-Gottmadingen und die Stadtwerke Engen. Von Edeka Holzky kam Unterstützung in Form von Einkaufsgutscheinen für das Essen.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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