Aus einer Notlösung wird Leuchtturm
Pestalozzi-Kinderdorf feiert 75. Geburtstag

Die beiden Gründerväter Dr. Erich Fischer und Dr. Adalbert von Keyserlingk in den ersten Jahren des Kinderdorfs, das für Waisen geschaffen wurde, die der Weltkrieg übrig gelassen hatte. | Foto: Pestalozzi Kinderdorf
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  • Die beiden Gründerväter Dr. Erich Fischer und Dr. Adalbert von Keyserlingk in den ersten Jahren des Kinderdorfs, das für Waisen geschaffen wurde, die der Weltkrieg übrig gelassen hatte.
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Wahlwies. Das Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf in Wahlwies feiert in diesem Jahr als erstes und ältestes Kinderdorf in Deutschland seinen 75. Geburtstag - der wegen des letzten Lockdowns verschobende Festakt dazu findet im September statt.
Die Menschen, die das Kinderdorf aufgebaut haben, hatten ein gemeinsames Ideal: sie wollten Kindern und Jugendlichen in Not helfen. Allen voran die Gründerväter Dr. Erich Fischer, Musikwissenschaftler aus der Schweiz, und der schlesische Arzt und Landwirt Dr. Adalbert von Keyserlingk. Sie hatten die mutige Idee, für Kinder und Jugendliche, die durch den Krieg alles verloren hatten, einen sicheren Ort zu schaffen. Sie fanden diesen Ort in Wahlwies am Bodensee. In Baracken gründeten sie die Pestalozzi-Siedlung und nahmen am 5. März 1947 die ersten Kinder und Jugendlichen auf – die heute 86-jährige Lotte Kohfink geb. Romahn und ihre vier Geschwister. „Es gab anfangs nur eine bewohnbare Baracke, in der ich gemeinsam mit 11 weiteren Kindern und unseren Kinderdorfeltern lebte. Hier im Kinderdorf, das war für uns Familie“, erinnert sich Lotte Kohfink. 
Heute leben jeweils bis zu sieben Kinder gemeinsam mit einem pädagogisch qualifizierten Paar in einem Familienhaus.  Die Kinderdorfeltern sind „soziale Eltern auf Zeit“ und begleiten die Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. „Was unser Kinderdorf besonders macht, ist die Tatsache, dass die Kinder und Jugendlichen in familienanalogen Verhältnissen leben“, betont Bernd Löhle, der seit 2011 das Kinderdorf als Geschäftsführer leitet. Aktuell leben im Kinderdorf 150 Kinder in 26 Familien.

Immer neue Herausforderungen

Die Herausforderungen, die es zu lösen gilt, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. War das Kinderdorf ursprünglich ein Zuhause für Kriegswaisen, leben heute Kinder und Jugendliche im Kinderdorf, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können - aus welchen Gründen auch immer. „Bereits seit einiger Zeit gibt es einen stetig steigenden Bedarf an Betreuungsplätzen zu beobachten. Allein im vergangenen Jahr gab es 220 Anfragen von Jugendämtern“, so Bernd Löhle. „Ursächlich ist ein gesellschaftlicher Wandel, bei dem Eltern zunehmend an ihre Grenzen stoßen und ambulante oder teilstationäre Hilfsangebote die Probleme nicht mehr abfedern können“, ergänzt Löhle. Umso wichtiger ist es dem Geschäftsführer, dass den Kindern und Jugendlichen mit einem eigenen Therapiezentrum die bestmöglichen Voraussetzungen geboten werden, um Entwicklung nachzuholen und traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Zudem gibt es im Kinderdorf neben einem eigenen Kindergarten und Waldkindergarten die Dr.-Erich-Fischer-Schule. In der Grund-, Haupt und Förderschule können die Kinder durch individuelle Betreuung im Schulalltag wieder Fuß fassen und Freude am Lernen entwickeln.

Erlenhof als Schule der Natur

Bereits kurz nach der Gründung wurden im Kinderdorf die ersten Betriebe eröffnet. Die Landwirtschaft „Erlenhof“ sowie die Gärtnerei gehören seit den 1980er-Jahren zu den mittlerweile neun Ausbildungsbetrieben des Kinderdorfs. Sie bieten den aktuell 62 Auszubildenden mehr denn je die Möglichkeit, einen handwerklichen oder landwirtschaftlichen Beruf zu erlernen und damit die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe und ein eigenständiges Leben. Auch für die Versorgung des Kinderdorfs sind sie nicht mehr wegzudenken. So wäscht zum Beispiel die Hauswirtschaft rund 20 Tonnen Wäsche im Jahr, es werden 25.000 Liter Saft gepresst und 65 Tonnen Getreide pro Jahr zu 107.000 Broten und 236.000 Brötchen verarbeitet.
Der Gründungsimpuls, Kindern ein verlässliches Zuhause zu schaffen, hat sich durch die vergangenen 75 Jahre getragen. Für die Zukunft des Kinderdorfs hat Bernd Löhle klare Vorstellungen. „Ich wünsche mir für das Kinderdorf eine Basis aus Wohlwollen und Miteinander, damit es sich auf dieser Grundlage stets weiterentwickeln kann und offen bleibt für künftige Bedarfe“, so Löhle. Auch wenn sich die Bedarfe der Kinder und ihrer Familien im Laufe der Zeit gewandelt haben, so bleibt die Notwendigkeit, ihnen einen sicheren Ort zu bieten, das oberste Gebot des Kinder- und Jugenddorfs.

»pestalozzi bringt bio«

Das Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies ist eine Jugendhilfeeinrichtung mit „Kopf, Herz und Hand“. Therapien wie Musik- oder Kunsttherapie sprechen die Erlebniswelt traumatisierter Kinder besonders gut an und helfen dabei, Bindungsbrüche und Erlebnisse wie Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt zu bearbeiten. Ein Heilpädagogischer Kindergarten und die Erich-Fischer-Schule für Erziehungshilfe fördern die Kinder gezielt. In der Berufsvorbereitung und der Ausbildung in neun handwerklichen und landwirtschaftlichen Betrieben werden die jungen Menschen auf dem Weg in ein eigenständiges Leben begleitet. Die Demeter-Betriebe bieten ihre Produkte auf den Wochenmärkten in Radolfzell, Konstanz und Tuttlingen an. Auch in Supermärkten kann man die Bio-Produkte mit sozialem Hintergrund im Gemüseregal entdecken. Mit „Pestalozzi bringt bio“ steht ein Online-Shop und Lieferservice für Bio-Lebensmittel zur Verfügung. Nähere Informationen unter www.pestalozzi-kinderdorf.de

Die beiden Gründerväter Dr. Erich Fischer und Dr. Adalbert von Keyserlingk in den ersten Jahren des Kinderdorfs, das für Waisen geschaffen wurde, die der Weltkrieg übrig gelassen hatte. | Foto: Pestalozzi Kinderdorf
Leben auf dem Land, lernen vom Land. Der »Erlenhof« hier mit Gärtnermeister und Ausbilder Christian Richter ist ein anerkannter Bio-Ausbildungsbetrieb. | Foto: Pestalozzi-Kinderdorf
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Presseinfo aus Singen

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