Neues Gewächshaus in Wahlwies eingeweiht
Investition in Existenzsicherung und für soziales Engagement
Wahlwies. Groß waren die Auseinandersetzungen im Vorfeld des Baus eines neuen Gewächshauses im landwirtschaftlichen Bereich des Pestalozzi-Kinderdorfs Wahlwies, groß war dann auch der »Bahnhof« zur offiziellen Einweihung und symbolischen ersten Ernte der Tomaten, die hier nach den Regeln des Demeter-Bioanbaus für den Einzelhandelsriesen Edeka Südwest wie für den »Gemüsering Stuttgart« angebaut werden. Sogar Landwirtschaftsminister Peter Hauk war dafür nach Wahlwies gekommen, um die ersten roten Rispen mit abzuschneiden.
Und Minister Peter Hauk machte seine Freude deutlich, dass er gerne gekommen sei, zumal die Einweihung solcher Gewächshäuser inzwischen eher seltener geworden sei. Im Rheintal wäre so was inzwischen schier unmöglich, meinte Hauk angesichts von Restriktionen und Widerständen gegen die Anbauform. Angesichts des Klimawandels und auch des Konsumverhaltens der Verbraucher, die sich schon lange nicht mehr nach saisonalen Angeboten richten und ihre Tomaten oder Gurken im Winter dann halt von Anbietern aus anderen Ländern kauften, sei das jedoch ein wichtiger Schritt zur Existenzsicherung, der hier bei der Pestalozzi-Gärtnerei noch durch den sozialen Aspekt aufgewertet werde. Von einer autonomen Versorgung, die gerade jetzt zu Zeiten des Ukraine-Kriegs wieder neu diskutiert werde, sei man indes noch weit entfernt: nur rund 25 Prozent des Gemüses für den Markt würden vor Ort produziert im Ländle.
Mindestlohn muss zur Ladenkasse kommen
Minister Peter Hauk bezeichnete es als löblich, dass es hier Vereinbarungen zum Mindestpreis und Abnahmemengen gäbe, als wirtschaftliche Grundlage – und für eine soziale Erweiterung. »Hier geht es um vollwertige Beschäftigung, die nicht durch Maschinen ersetzt werden kann«, beschrieb der die Arbeit der Gärtner hier im Gewächshaus und auf den Feldern. Peter Hauk machte sich auch für den Mindestlohn stark: Den müsse man aber auch irgendwann an der Ladenkasse bezahlen, um die Wertigkeit der Lebensmittel und die Arbeit dafür darzustellen.
»Kopf, Herz und Hand«
Bernd Löhle als Vorsitzender der Stiftung »Pestalozzi macht bio« unterstrich in seiner Rede, dass diese Investition eine Maßnahme sei, für die das Herz der Stiftung schlage, auch wenn der Weg hierhin nicht leicht gewesen sei. Die Existenzsicherung für Gemüsebauern werde immer schwieriger, wenn sie eben kein »Dach über dem Kopf haben«. Weil man hier auch für den ersten Arbeitsmarkt mit ausbilde, sei das auch eine Investition in die nächste Generation, unterstrich Löhle die Nachhaltigkeit des Projekts mit seinen rund 1,6 Hektar Fläche. Um so glücklicher sei er, mit Edeka Südwest hier einen Partner gefunden zu haben, für den das auch zur Herzenssache geworden war und der durch faire Preise hier eine langfristige Perspektive schaffe. Der »Gemüsering Stuttgart« trat für das Projekt sogar als einer der Darlehensgeber auf. »Das gibt uns auch die Möglichkeit, dass Geld übrig bleibt, welches wir für die Zukunft investieren können«, so Löhle. »Kopf, Herz und Hand«, so fasste Löhle das »Pestalozzi macht bio« zusammen, das nun weiter wachsen kann.
»Stehen 100 Prozent dahinter«
Zur ersten Ernte waren auch Klaus Fickert, Geschäftsführer der Edeka Südwest, und Einkaufsleiter Peter Ehleiter nach Wahlwies gekommen. Schon seit 2008 pflege man Beziehungen zur Pestalozzi-Gärtnerei und als das Projekt des neuen Gewächshauses 2018 geboren wurde, sei klar gewesen, dass man hier was machen müsse, betonte Klaus Fickert. Klar habe es krtische Fragen in der Mitgliederversammlung der Stiftung gegeben und die Widerstände der Bürgerinitiative. Das habe man gemeinsam gemeistert und mache erneut deutlich, dass sich die Pestalozzi-Gärtner zu 100 Prozent auf die Handelskette verlassen können. Jetzt zum Start habe man eine Aktion mit einem Spendenaufruf über die Prospekte gestartet, insgesamt 150 Spendenboxen stünden an den Pfandautomaten in den Supermärkten, in denen letztes Jahr 320.000 Euro zusammenkamen. Und auch die Milch aus dem »Erlenhof« sei inzwischen Teil der »Unsere Heimat«-Strategie im Biobereich.
»Wertschätzungsketten«
Flagge zeigte zur Einweihung auch der Demeter Gesamtverband. Dessen Vorstand Johannes Kamps-Bender hatte das Schild mitgebracht, das sich die beiden Pestalozzi-Chefgärtner Christian und Birger Richter mit dem Hinweis auf »Demeter« nun ans Gewächshaus schrauben können. Er meinte, dass es nicht nur um Wertschöpfungs-, sondern auch Wertschätzungsketten gehen solle und da sei auch wirklich noch Luft nach oben, spielte er auch auf den Mindestlohn an. Es sei notwendig, die Konsumenten über den wahren Preis ihrer Lebensmittel mehr zu informieren. Luft nach oben sei auch noch reichlich, wenn man bis 2030 30 Prozent der Landwirtschaft auf »bio« umstellen wolle – das wären rund 700 bäuerliche Betriebe im Jahr. Die bei der Führung durch die Anlage gestellte Frage, ob diese Produktion nicht vielleicht doch schon »Industrie« sei, wurde von Johannes Kamps-Bender verneint. Der Betrieb arbeite viel in Kreislaufwirtschaft mit der Wiederverwertung der Pflanzen. Auch kommen die Hackschnitzel für die Heizung aus der Umgebung. Im Sommer werden hier Tomaten, neuerdings auch Fleischtomaten, wie Gurken angebaut, im Winter gibt es eine »Pause« mit Radieschen und Feldsalat.
»Lieferketten« sind freilich auch ein Thema: Die Setzlinge der Tomatenpflanzen sind eigentlich »Bioland« und kommen von der Reichenau. Sonst hätte man im Ausland zukaufen müssen.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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