WOCHENBLATT-Interview mit Narrenrichter Jürgen Koterzyna
Es geht nicht um ein Promi-Recycling
Stockach. Die Zipfel an den Narrenkappen werden poliert, die Häser entstaubt, die Reden geschrieben. Stockachs Narren rüsten sich für eine der längsten Fasnachten aller Zeiten. Ein Gespräch zum Ablauf der Saison 2019 mit Narrenrichter Jürgen Koterzyna.
WOCHENBLATT: 59 Tage – eine ewig lange Fasnacht. Gibt es keine Ermüdungserscheinungen bei den Stockacher Narren?
Jürgen Koterzyna: Aber nein, das Narrengericht und seine Gliederungen freuen sich auf die närrischen Tage. Denn so haben wir ausreichend Zeit für unsere zahlreichen Veranstaltungen und unsere »Bunten Abende«, die von Donnerstag, 7., bis Samstag, 9. Februar, unter dem Motto ,Zeitreisen – zurück in die Zukunft‘ im Bürgerhaus ,Adler Post’ gezeigt werden. Alle Gliederungen machen mit, es gibt wieder wechselnde Moderationen, und die Kleidung entspricht unterschiedlichen Epochen von der Steinzeit bis zur fantasievollen Zukunft.
WOCHENBLATT: Beim letzten »Bunten Abend« hagelte es Strafzettel wegen Parkens auf den Gehsteigen.
Jürgen Koterzyna: Und das zu Recht. Auf unserer Homepage unter www.narrengericht.de bitten wir dieses Jahr alle Besucher unserer Veranstaltungen, das Parkhaus im Hägerweg rege zu nutzen. Dort gibt es günstige Abend- und Nachttarife. Die Mitglieder des Narrengerichts und der Gliederungen werden selbstverständlich ordnungsgemäß parken – und sollte es doch zu Unregelmäßigkeiten kommen, werden wir unsere Strafzettel auch wieder bezahlen.
WOCHENBLATT: Zur Dreikönigssitzung am Sonntag, 6. Januar, tritt EU-Kommissar Günter Oettinger als Gastredner auf – er war aber auch Beklagter 2007 vor dem Narrengericht. Wird diese Doppelnutzung der Beklagten jetzt zur Tradition?
Jürgen Koterzyna: Wir haben unsere Dreikönigssitzung vor Jahren zu einem närrisch-politischen Spätschoppen gewandelt – und dazu brauchen wir hochkarätige Redner. Seit drei Jahre versuche ich schon, Günter Oettinger zu verpflichten, und nun hat es endlich geklappt. Als Beklagter war er noch baden-württembergischer Ministerpräsident, jetzt ist er EU-Kommissar – er kommt also dieses Mal in einer anderen Funktion nach Stockach. Bei Willi Stächele haben wir das auch schon so gemacht. Denn er war ja der Beklagte 2009 und später der erste Festredner auf der ,neuen‘ Dreikönigssitzung. Hier geht es nicht um eine Doppelnutzung oder Recycling, sondern um die Qualität der Referenten. Und die war bei beiden gegeben. Wir hatten ja auch schon Ex-Unirektor Professor Rüdiger aus Konstanz oder Regierungsrat Stocker aus der Schweiz zu Gast. Neben Günter Oettinger wird übrigens der Zirkusseelsorger Adrian Bolzern aus Aarau als närrischer Redner zur Dreikönigssitzung kommen.
WOCHENBLATT: Im Rahmen der Dreikönigssitzung wird auch der langjährige Kläger des Narrengerichts Thomas Warndorf verabschiedet. Er scheidet auch als Gerichtsnarr aus dem Gremium aus?
Jürgen Koterzyna: Ja, das stimmt. Aber er bleibt uns als Alt-Gerichtsnarr erhalten, und er wird weiterhin das Amt des Archivars des Narrengerichts begleiten. Und das nicht nur, weil er ja seine historischen Recherchen bezüglich der Rolle des närrischen Brauchtums und des Narrengerichts während der NS-Zeit weiter betreibt.
WOCHENBLATT: Sie sprechen absolut genderneutral von der, die oder das Beklagtem. Zur Identität werden Sie sich also im Vorfeld der Dreikönigssitzung nichts äußern. Aber verraten Sie, ab wann es Karten für die Narrengerichtsverhandlung am »Schnotzigen Dunschdig«, 28. Februar, gibt?
Jürgen Koterzyna: Der Kartenvorverkauf für die Narrengerichtsverhandlung startet am Samstag, 19. Januar, um 10 Uhr entweder online unter www.narrengericht.de oder im Kulturzentrum »Altes Forstamt« in der Salmannsweilerstraße 1. Tickets für die »Bunten Abende« gibt es ab Samstag, 12. Januar, auch ab 10 Uhr.
WOCHENBLATT: Wozu in die Ferne schweifen? Wird das Narrengericht in diesem Jahr Narrentreffen in der Raumschaft Stockach besuchen?
Jürgen Koterzyna: Ja. Es freut uns, dass wir in Seelfingen am Sonntag, 24. Februar, beim Jubiläumsumzug mit dabei sein dürfen. Den Nachtumzug am Freitag, 22. Februar und die Narrenparty werden wir im Häs als Gäste besuchen. Außerdem werden wir, außerhalb der Raumschaft, mit etwa 250 Hästrägern das Narrentreffen der VSAN in Offenburg besuchen, wo unsere Zimmerer den Narrenbaum setzen werden.
WOCHENBLATT: Gibt es Änderungen im Verlauf der Fasnet?
Jürgen Koterzyna: Ja, es wird etwas in Punkto Gleichberechtigung der Männer getan. Denn sie dürfen in diesem Jahr noch früher den Damenkaffee der Alt-Stockacherinnen am Montag, 25. Februar, erstmals ab 18.30 Uhr und nicht erst ab 19 Uhr besuchen. Das geschieht auf besonderen Wunsch des Narrenrichters, und die Damen sind so freundlich, uns nochmals einen Teil des Programms zu zeigen. Und es gibt Neuerungen beim »Schmotzigen Dunschdig«. Der SWR hat uns erstmals eine Sendezeit von 90 Minuten für die Gerichtsverhandlung eingeräumt. Bisher wurden nur 60 Minuten gesendet.
WOCHENBLATT: ,Woher nehmen sich die Stockacher das Recht, eine Gerichtsverhandlung abzuhalten?‘ – ,Sie nehmen es sich nicht. Sie haben es.‘ Den legendären Dialog zwischen Gerd Motzkus und Werner Mezger über das Recht der Stockacher, eine Gerichtsverhandlung abzuhalten, wird es nach der Pensionierung des Ersteren nicht mehr geben.
Jürgen Koterzyna: Das ist richtig. Den gesamten Dialog wird es bei der TV-Berichterstattung nicht mehr geben. Das Gespräch wird Gerichtsnarr Rainer Vollmer mit einer Moderatorin des Senders führen. Wir werden das Publikum nach dem Ende der Gerichtsverhandlung übrigens bitten, noch 20 bis 25 Minuten auf ihren Plätzen sitzen zu bleiben, damit der SWR aus einem vollen Saal übertragen kann. In dieser Zeit werden die Gäste selbstverständlich mit Bewirtung und Musik unterhalten.
WOCHENBLATT: Das restliche Programm der Stockacher Fasnet wird aber im gewohnten Ablauf geboten?
Jürgen Koterzyna: Ja, das hat sich ja bewährt. Beim Schnurrsamstag am 2. März wird der kostenlose Shuttlebus übrigens zum letzten Mal von Gerhard Heim gefahren. Und wir werden erstmals auch Hindelwangen als feste Zusteigestation anfahren.
WOCHENBLATT: Das Prinzip Hoffnung gilt auch in der Fasnet. Darum, auch aus Tradition die Frage: Bekommen Frauen der Stockacher Fasnet nun endlich Orden?
Jürgen Koterzyna: Das ist natürlich möglich. Zwar nicht vom Narrengericht direkt, denn das verbieten die strengen Statuten. Aber von der Narrenvereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) werden unsere engagierten Damen selbstverständlich ausgezeichnet, wenn wir sie denn vorschlagen.
Interview Simone Weiß
redaktion@wochenblatt.net
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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