Gerhard Zahners neues Theaterstück beinhaltet Sprengstoff
SS-Vergangenheit holt Konstanzer Gründungsprofessor ein

Gerhard Zahner ist ein Grenzgänger. Der Singener Autor betreibt in Konstanz seine Anwaltskanzlei. Seine Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit in unserer Region führt ihn zu Fragen, die sonst keiner stellt. Er listet professionell Recht und Unrecht auf, schafft mit seinen Bühnentexten eine eigene sprachliche Ebene der Kunst. Die „Flüsterstadt“ Radolfzell zog die Menschen in ihren Bann. 1941 war ein besonderer Mann in der Unterführerschule gewesen, der spätere Konstanzer Romanistik-Professor Robert Jauß, einer der Männer der ersten Stunde. Seine fiktive Antrittsrede aus dem Jahr 1967 verdichtet Zahner zur „Die Liste der Unerwünschten“, deren Text jetzt vorliegt. Sein Traum wäre eine Aufführung im heutigen Audimax. Aber viel Sprengstoff beinhaltet das Stück vorab. Es geht um die Geschichte des einstigen SS-Mannes, der eine Junkernschule bei Prag leitete. Es geht um Bildung als Waffe generell. Das spannt den Bogen in die Neuzeit. Jauß steht wie andere Professoren seiner Zeit für die „Konstanzer Schule“ der „Rezeptions-Ästhetik“. Da setzt Zahner als Literat an und setzt allen Ideologien seine Form der Konstanzer Hermeneutik entgegen.

Da ist zum einen die Person Jauß, eine Lebensgeschichte mit einem Lebenswerk, dessen Rezeptions-Ästhetik letztlich darin mündet, sich für nichts verantworten zu müssen: „Es wird am Ende nicht bewiesen sein, ob . . .“ Furchtbar ist das System, das dahinter steht, es mündet in ein Auswahlverfahren wie einst zwischen Skylla und Charybdis: KZ oder Tod an der Ostfront! Im Alter von 24 Jahren ist Jauß SS-Hauptsturmführer, also Hauptmann, führte eine Brigade und ist 1a-Offizier von General Krukenberg, der die Charlemagne, diese legendäre Freiwilligenarmee der Franzosen führte, die ganz zu Kriegsschluss versuchte, Berlin zu verteidigen. Zahner hat intensiv recherchiert: „In seinen Angaben vor den Untersuchungsbehörden nach Kriegsende erklärt Jauß später, dass er in Kienschlag, einer Junkerschule in der Nähe von Prag, Chef der 10. Inspektion war. Dort wurden französische und wallonische Freiwillige auch ideologisch als SS-Offiziere aufgerüstet, um sie im Krieg einsetzen zu können. Inspektionschef konnte in Kienschlag nur werden, wer in der SS-Ideologie absolut zuverlässig war und diese auch vermitteln konnte.“ Also in mehrfachem Sinn: Bildung als Waffe. Hinzugefügt: Universität als Waffe.

Und dann die „Liste der Unerwünschten“: Namen, die Todesurteilen gleichkommen, zersprengen immer wieder die vermeintliche Antrittsrede, Jauß wirft Manuskriptseiten „zu den Seelen toter Vögel“ in die Luft. Er redet nicht über seine Fragen an die Zeit damals, weil seine Zuhörer keine Antworten darauf haben! Das gehört zu den grandiosen Formulierungen, die das Lesen des Manuskripts zu einem permanenten Denkanstoß machen. So der Satz: „Die Grenadiere der Waffen-SS besaßen lange vor der Wehrmacht Tarnanzüge, eine Überlegenheit im Denken, das Tarnen!“ Die Freiwilligen aus dem besetzten Frankreich („Auf den Müllhalden aufgesammelt“) landeten in SS-Uniformen im KZ Stutthof, wenn sie für „unbrauchbar“ erklärt wurden: Defätisten, Schwule, Feiglinge, Müde, Perverse, Diebe. Personalanforderungen aus dem KZ werden verlesen, Dokumente einer selbst perversen Welt. Zahner lässt Jauß sagen: „Ein Blatt im Wind trägt keine Schuld, am Herbst der Zeit, und am Winter der Geschichte, wenn das Denken bald alles zuschneit. Blätter wie diese schicken Menschen ins KZ. Nicht ich, die Liste der Unerwünschten trägt nicht meine Unterschrift. Tja, man wird es nie beweisen, dass ich die Umstände in Stutthof kannte.“

Die Person – die Stadt: „Konstanz ist eine schöne Stadt, eingerichtet zum Vergessen, eigentlich eine schweizerische. Könnte eine schweizerische sein, keine Bomben nichts.“ Die Person hat andere gesehen, so in Estland. Erinnerungen kommen hoch, stecken plötzlich im Briefkasten. Und dann der Sprung in die Gegenwart: „ Diese Universität musste sich nie wenden!“ Und: „Ich vertreibe Sie vom Ort der Unschuld!“ Das tut in der Tat Autor Gerd Zahner und legt nach: „Diese Universität hat keine Vergangenheit. Oder sie schläft.“ Und: „Ich lehrte zu deuten und lehre Sie heute, sie wissen nichts. Wir können also deuten, ohne etwas zu wissen. Das ist die Konstanzer Schule. Wenn wir von dem nichts wissen, der es deuten lehrt, dann wissen wir genug.“

Jauß sagt: „Ich war ein Held der Charlemagne.“ Er hörte sagen, zweifelt aber am Wahrheitsgehalt: Französische Heimkehrer werden in den Zügen vergast. Da kommt eine andere Erinnerung beim Lesen hoch: „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth. Zahner zitiert die Verurteilung von Jauß durch die Spruchkammer Recklinghausen: „ 3 SP JS 140/47 – 3 SP JS 456/47 Geldstrafe 2000 RM, verbüßt durch erlittene Haft seit dem 17.12.45.“ Er habe an Maßnahmen mitgewirkt, die der „Endlösung“ dienlich gewesen seien.

Und nun? Ist das das Holz, aus dem Professoren an einer Reformuniversität geschnitzt werden? Hans Robert Jauß war nicht der einzige mit Nazi-Vergangenheit. Und Gründungrektor Gerhard Hess war 1952 sein Doktorvater gewesen. 1995 flog die SS-Vergangenheit von Jauß auf. 1997 verstarb er. Hat Zahner eine neue „Flüsterstadt“ aufgetan?

PS: Erste Gespräche von Zahner laufen drauf hinaus, dass sich die Uni ihrer eigenen Identität, der Vergangenheit, der Gründungszeit stellen wird. Ob es zur Aufführung der fiktiven Antrittsvorlesung kommen wird, ist allerdings völlig offen. Den Gegenwind der heutigen Jauß-Anhänger bekam Zahner nach einem Seemoz-Interview in Konstanz zu spüren. Das ist hier im Wochenblatt online jetzt die erste Besprechung des in der Textfassung vorliegendes Stücks. Das geht dem Leser dann besonders unter die Haut, wenn er selbst in Konstanz Student bei Jauß gewesen ist. Interdisziplinär mit ging es damals zusammen mit den Politologen um Jean Jacques Rousseau. Die bohrende Frage im Hinterkopf bleibt: Wie hätten die jungen Franzosen damals auf der Junkerschule bei Prag die Staatstheorien rund um Rousseau interpretiert und bewertet? Und was ging damals während meines Seminars bei Jauß in dessen Kopf vor? Merkte er, dass die Vergangenheit ihn längst eingeholt hatte?

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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