Einsatz für ein natürliches Gleichgewicht
Wie Nützlinge im Gemüseanbau Schädlinge im Zaum halten können

- Randstreifen bieten Insekten auch über das zeitlich begrenzte Pollen- und Nektarangebot der Gemüseblüten hinaus Nahrung sowie Unterschlupf und Überwinterungsmöglichkeiten. Hierfür eignen sich deshalb Blühmischungen, die sich in der Artenzusammensetzung und damit der jeweiligen Blütezeit unterscheiden. So lassen sich Nützlinge wie Marienkäfer, Laufkäfer, Spinnen, Schweb- und Florfliegen fördern.
- Foto: Bodensee-Stiftung
- hochgeladen von Anja Kurz
Singen-Bohlingen. Ohne Insekten wäre ein Marktstand auch im Winter weit weniger bunt: Es gäbe keinen Brokkoli, keinen Kohl und keinen Kürbis. Doch das Vorkommen von Insekten ist in Deutschland stark rückläufig, sowohl die Anzahl der Arten wie auch die der Individuen ist dramatisch gesunken. Mit dem Projekt „Insektenfördernde Regionen“ (IFR), das von der Europäischen Union gefördert wird, erprobt die Bodensee-Stiftung mit Partnern in sieben Regionen, wie über Einzelmaßnahmen hinaus der Lebensraum für Insekten in der Fläche verbessert werden kann. Einer der acht Demonstrationsbetriebe in der Region Bodensee ist der Betrieb Moosfeld Gemüse in Singen-Bohlingen.
Der Betrieb hat langjährige Erfahrung in der Förderung von Insekten. Schon seit über 30 Jahren werden hier mehr als 70 verschiedene Gemüsesorten nach Demeter-Kriterien angebaut. Das heißt unter anderem: vollständiger Verzicht auf mineralische Düngemittel und synthetische Pestizide. „Wir setzen im Anbau auf ein natürliches Gleichgewicht“, erläutert Thomas Keßler, der den Betrieb viele Jahre geleitet und vor zwei Jahren an Jakob Mannherz übergeben hat. Lebensraum für Insekten zu erhalten beziehungsweise zu schaffen, dient nicht nur der Bestäubung, sondern auch der Eindämmung von Schädlingen durch natürliche Gegenspieler.
Insekten unterstützen bei der Schädlingsregulierung
Die überwiegend konventionell wirtschaftenden Demonstrationsbetriebe im IFR-Projekt betreiben Acker-, Gemüse-, Obst- und Weinbau. Sie werden von Mitarbeiterinnen der Bodensee-Stiftung individuell beraten und bei der Umsetzung von Maßnahmen begleitet. So bieten sich im Obst- und Weinbau zum Beispiel Blühstreifen in Fahrgassen an, im Ackerbau Nützlingsstreifen oder Untersaaten im Mais. „Der Gemüseanbau steht vor etwas anderen Herausforderungen“, betont Annekathrin Vogel, Projektmanagerin bei der Bodensee-Stiftung. „Nützlingsstreifen passten für uns nicht so gut“, erläutert Thomas Keßler nach einigen Versuchen. Sie boten nicht nur nützlichen Insekten, sondern auch Wühlmäusen und Schnecken Lebensraum.
„Da summt’s und brummt’s“
Im Bio-Anbau tolerieren Landwirte zwar Ertragsabstriche im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft, „aber wir müssen auch noch leben können“, betont Keßler. Also setzt er auf andere Maßnahmen. Blühende Randstreifen beispielsweise. „Wenn ich spazierengehe, dann peile ich meine Blühstreifen an – da summt‘s und brummt‘s“, schwärmt der Landwirt von der Insekten- und auch Augenweide vom Frühjahr bis in den Herbst. Viel Leben nimmt er auch in einer an ein Feld angrenzenden Benjeshecke wahr, die nicht nur vielen Vögeln und Insekten als Unterschlupf dient. Und auch in den Gewächshäusern heißen die Gemüsebauern Insekten willkommen: So bieten Holzverschläge als natürliche Habitate Rückzugsorte und Nistmöglichkeiten.
Unterschlupf und Überwinterungsmöglichkeiten
Viele Gemüsesorten bieten ein Nahrungsangebot für die Insekten, darunter zum Beispiel auch die Höri-Bülle, die regionale rote Zwiebel, die der Betrieb ebenfalls anbaut. Die ergänzenden Maßnahmen haben den Sinn, den Tieren auch über das zeitlich begrenzte Pollen- und Nektarangebot der Gemüseblüten hinaus Nahrung sowie Unterschlupf und Überwinterungsmöglichkeiten zu bieten. Für die Randstreifen eignen sich deshalb Blühmischungen, die sich in der Artenzusammensetzung und damit der jeweiligen Blütezeit unterscheiden. So lassen sich Nützlinge wie Marienkäfer, Laufkäfer, Spinnen, Schweb- und Florfliegen fördern.
Daneben wird an maßgeschneiderten Blühmischungen für einzelne Gemüsearten geforscht. Gute Erfahrungen hat der Betrieb Moosfeld in der vergangenen Saison mit der „Hannover Mischung“ im Kohlanbau gemacht. Sie besteht aus neun einjährigen Pflanzenarten (Steinkraut, Buchweizen, Dill, Kornblume, Perserklee, Koriander, Phacelia, Lein, Ringelblume), die mit hoher Blütendichte von April bis November attraktiv auf Nützlinge wirken, so dass Schädlinge wie Mottenschildläuse (zum Beispiel Weiße Fliege), Röhrenblattläuse oder Weißlinge (zum Beispiel Kleiner Kohlweißling) nicht überhandnehmen. „Wir mussten kein einziges Mal spritzen“, freut sich Jakob Mannherz.
Gegenspieler gegen die Grüne Reiswanze
Noch mehr freut er sich über einen weiteren Erfolg: Auf dem Betrieb konnten Jakob Mannherz und Thomas Keßler in der jüngsten Saison parasitierte Larven der grünen Reiswanze entdecken. Das heißt: Der Schädling, der vielen Gemüseerzeugern zugesetzt hat, war zwar auch auf dem Hof vorhanden, wurde allerdings von natürlichen Gegenspielern eingedämmt.
Von der Reiswanze angestochenes Obst und Gemüse ist meist nicht mehr vermarktungsfähig. Große Schäden verursacht die Wanze vor allem an Nachtschattengewächsen wie Tomaten, Auberginen und Paprika. Ein starker Befall kann zu Totalverlust führen. Abhilfe kann eine Schlupfwespenart schaffen: Sie legt ihre Eier in den Eiern der Grünen Reiswanze ab. Die Larven der Schlupfwespen fressen dann die Larven der Reiswanze. Und nicht nur diese: Schwebfliegenlarven vertilgen auch Blattläuse.
Betrieb gibt Wissen weiter
Der Betrieb Moosfeld ist seit 1988 Demeter zertifiziert. Immer wieder aufs Neue testen die Gemüsebauern alternative Methoden, die im konventionellen Anbau (noch) unüblich sind. „Wir haben schon immer viel ausprobiert und wurden oft belächelt“, erinnert sich Thomas Keßler. Zum Beispiel sorgten „wilde“ Randstrukturen bei manchem Kollegen und in der Bürgerschaft für Kopfschütteln. „Unsere Feldränder sehen nicht so geschleckt aus“, sagt Thomas Keßler. Inzwischen aber finde ein Umdenken statt, bei Spaziergängern verändere sich das ästhetische Empfinden hin zur Freude an der Vielfalt, und Kollegen sähen die positiven Effekte. „Wir geben unsere Erfahrungen gerne weiter, wollen aber niemanden missionieren. Jeder Landwirt muss ums Überleben kämpfen und sucht seinen Weg“, sagt Keßler. Er würdigt die Bemühungen konventionell arbeitender Landwirte, die viel dafür tun, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. „Ich denke, Vorbilder haben mehr Zugwirkung als politischer Druck“, so Keßler.
Das IFR-Projekt setzt auf beides: Die Erfahrungen der Demonstrationsbetriebe als Vorbilder werden gesammelt und aufbereitet, so dass sie künftig auch Landwirtinnen und Landwirten europaweit zur Verfügung stehen. Die Daten dienen aber auch als Grundlage für Empfehlungen an die Politik für Rahmenbedingungen und Förderinstrumente, die die Landwirtschaft bei der Förderung von Insekten und biologischer Vielfalt unterstützen.
Quelle: Bodensee-Stiftung
Autor:Presseinfo aus Singen |
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