Keiner ist vor den ausgeklügelten Tricks sicher
So spielen sich Schockanrufe wirklich ab

Viele Menschen lassen sich noch immer von Schockanrufen durch geschickt agierdende Betrüger überrumpeln. | Foto: Adobe Stock
  • Viele Menschen lassen sich noch immer von Schockanrufen durch geschickt agierdende Betrüger überrumpeln.
  • Foto: Adobe Stock
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Singen/ Kreis Konstanz. Die Maschen von Betrügern werden immer dreister und es ist beileibe nicht so, dass darauf nur Menschen hereinfallen, die von der digitalen Welt keine Ahnung haben oder die gar generell etwas naiv sind. Das Wochenblatt schildert einen echten Fall (alle Namen und Orte sind geändert, der Fall hat sich allerdings so abgespielt).

Das Telefon klingelt. Johanna geht ran. Ihre Tochter Nadine ist am anderen Ende der Leitung und sie klingt sehr aufgelöst. „Mama“, sagt sie mit fast tränenerstickter Stimme, „es ist etwas Schreckliches passiert“. Ich habe nicht aufgepasst …, ich bin schuld …. Ihre Mutter hört die völlig aufgelöste Stimme ihrer Tochter und hört vor allem das Wort Schuld. „Ich habe einen Unfall gebaut“, stammelt Nadine weiter. „Es ist jemand tot“. Im Hintergrund Polizei-Sirenen, Autoverkehr. Authentische Szene.

Oft werden Alpträume erzeugt

Johanna spürt den Druck in sich. Was, wenn ihre Tochter mit so einer Last weiterleben muss? Ein Alptraum, mit das Schlimmste, was sich eine Mutter, die ihr Kind liebt, vorstellen kann.

Am anderen Ende der Leitung spricht plötzlich eine Frau, die sich als Polizistin vorstellt: Ihre Tochter sei auf die Gegenfahrbahn gekommen und habe ein zweijähriges Kind überfahren, enthauptet sei es. Die junge Mutter sei aus der Ukraine. Deshalb gelte hier ukrainisches Strafrecht. Es gehe um fahrlässige Tötung. Johanna ist nicht mehr ganz bei sich, wie auch, nach einer solchen Nachricht. Und sie merkt nicht so richtig, wie sie selbst im Gespräch den einen oder anderen Hinweis gibt, der dann weiterverwendet wird im Gespräch, dessen einziges Ziel es ist, die Mutter unter Schock dazu zu bringen, Geld herauszurücken, viel Geld – oder Geld bereitzulegen, das dann abgeholt würde.

Betrüger arbeiten mit Angstgefühlen

Fluchtgefahr bestehe, sagt die vermeintliche Polizistin weiter. Also müsse sie, Johanna, eine Sicherheit für ihre Tochter hinterlegen. Johanna fragt vorsichtig, wie viel da üblich sei. 40.000 Euro sagt die „Polizistin“ am anderen Ende der Leitung. Wie viel sie denn daheim habe? Hier hat Johanna Glück, weil sie über Geldbeträge ungern spricht. Das hat sie gelernt und das Gelernte funktioniert auch jetzt. Also sagt sie, sie habe so gut wie kein Geld daheim. Sie wird nach Wertgegenständen gefragt, auch das habe sie nicht, nichts Nennenswertes. Die Stimme am anderen Ende sagt, sie müsse warten, bis ein Aktenzeichen da sei, bis sie die Kaution überweisen könne, bis dahin solle sie Stillschweigen bewahren. Sie wisse ja, die Presse, wenn die das erfahre … subtiler Druck, wer sich auskennt und wer gerade alle Sinne zusammen hat, dem ist klar, da kann etwas nicht stimmen. Doch wenn man Angst um die eigenen Kinder hat, dann hat man eben nicht mehr alle Sinne zusammen, für sie würde man doch alles tun. Mit dem Aktenzeichen und dem Warten wollen die Täter offensichtlich Zeit gewinnen, um ihre digitalen Spuren zu verwischen. Johanna will ihre Tochter nochmal sprechen, doch die sei in ärztlicher Obhut, sie habe ja einen Schock erlitten. Schnitt.

Dieser Schockanruf ist noch einmal gut gegangen für Johanna. Die Täter haben offensichtlich erkannt, dass hier wenig zu holen ist. Als Johanna den Fall der Polizei meldet, erfährt sie, dass nach ähnlichem Strickmuster kürzlich Eltern um einen hohen fünfstelligen Betrag erleichtert worden seien. Die Täter hätten in ihrem Falle vielleicht ihre Wohnung ausgeräumt. Glück gehabt – oder wie sie selbst sagt: Der schwäbische Geist habe ihr offensichtlich unbewusst geholfen.

"Ich saß emotional in einer Blutlache"

Johanna sagt später im Gespräch mit dem Wochenblatt: „Emotional saß ich in dem Gespräch in einer Blutlache.“ Und das, obwohl Johanna sich mit Psychologie und dem Rettungswesen ganz gut auskennt. Die Täter wissen exakt, wie sie die richtigen „Knöpfe drücken“, um den Verstand und das gesunde Misstrauen an den entscheidenden Stellen auszuschalten.

Ob sie wirklich die Stimme ihrer Tochter gehört habe? Sie habe sich so angehört, ja. Johanna hat oft Kontakt mit ihrer Tochter, sie verstehen sich gut. Wie die Täter diese Illusion hinbekommen haben, bleibt ein Rätsel, auch für Johanna. Natürlich war die erste Kontaktaufnahme mit ihrer echten Tochter für Johanna alles andere als einfach, war sie ja vor wenigen Minuten noch in einem inszenierten Alptraum mit ihrem Kind. Und sie war so froh, dass nichts passiert ist. Und doch bleibt eine Unsicherheit: „Kann mir das wieder passieren?“, fragt sie bange. Die Zahl der Schockanrufe in Deutschland nimmt zu. Die digitalen Möglichkeiten, die schwierige Rückverfolgung von Telefongesprächen und überforderte Behörden spielen den herz- und skrupellosen Tätern in die Hände.

Wir haben ein paar Tipps zusammengestellt, wie man sich vor Schockanrufen schützen kann:

• Immer misstrauisch sein, wenn anscheinend Polizei, Rettungskräfte, Rechtsanwälte dran sind. Genau nachfragen: Wo ist das passiert, was genau? Wann genau? Kritisch nachfragen.

• Wenn vermeintliche Angehörige anrufen und schockierendes berichten, gar Geld wollen: die Angehörigen unter der Ihnen bekannten Nummer zurückrufen.

• Sie dürfen immer mit einem Anwalt sprechen. Sprechen Sie mit Angehörigen auf einer zweiten Leitung oder rufen Sie auf einer zweiten Leitung gar die Polizei (110) an, mit dem Kommentar, dass Sie kurz etwas klären müssen.

• Informieren Sie nach einem Schockanruf auf jeden Fall die Polizei.

Autor:

Anatol Hennig aus Singen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.