Interview: Mirja Zahirovic vom KiFaZ St. Nikolaus
Miteinander voneinander lernen

Mirja Zahirovic, die Leiterin des Kinder- und Familienzentrums St. Nikolaus in Singen, zusammen mit Elias Ntemerzidis und Luca Bleuse (links) und Giampiero Spadafora (rechts). | Foto: swb-Bild: Anja Kurz
  • Mirja Zahirovic, die Leiterin des Kinder- und Familienzentrums St. Nikolaus in Singen, zusammen mit Elias Ntemerzidis und Luca Bleuse (links) und Giampiero Spadafora (rechts).
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Singen. Der Alltag in einer KiTa und der tägliche Kontakt zu Kindern, kann einerseits sehr erfüllend sein – oder aber ziemlich anstrengend. Wo und wie sich Mirja Zahirovic, die Leiterin des Kinder- und Familienzentrums St. Nikolaus in Singen, zwischen diesen beiden Aspekten ihrer Arbeit selbst wiederfindet und was die Menschen hier voneinander lernen können, erzählte sie im Gespräch mit dem Wochenblatt:

Wochenblatt: Das Thema unserer diesjährigen Weihnachtsbeilage ist ja Dankbarkeit. Was bedeutet dieses Wort für Sie?
Mirja Zahirovic: »Das sind für mich eigentlich die ganz kleinen Dinge, die man unglaublich schwer in Worte fassen kann. Ich hatte neulich so einen Moment, wo ich am Abend total glücklich war, dass alle Lieben um mich herum gut zu Hause angekommen sind. Das ist für mich Dankbarkeit.«

Wochenblatt: Was würden Sie sagen, welche Rolle Dankbarkeit für Sie in Ihrem Tag spielt, egal ob privat oder bei der Arbeit?
Mirja Zahirovic: »Ich finde, sie ist nicht immer einfach da, man muss das auch bewusst üben. Vor allem in Zeiten, in denen es einem nicht gut geht, da kann man das besonders gut trainieren. So eine Phase hatte ich vor ein paar Jahren, dann habe ich mit einem Trainer Achtsamkeitsübungen gemacht und bewusst Dankbarkeit gelernt. Seitdem hat das Thema einen großen Stellenwert in meinem Leben, würde ich sagen. Aber man muss das üben, wie man auch Krafttraining macht. Sonst ist es wieder weg und auch dann, wenn es einem wieder richtig gut geht, macht Dankbarkeit das Leben lohnenswerter.«

Wochenblatt: Also hat sie keinen festen Stellenwert, etwa fünf Minuten am Abend oder am Morgen, sondern eher in bestimmten Momenten?
Mirja Zahirovic: »Beides, das ist, was ich meine mit dem Trainieren. Es gibt Phasen in meinem Leben, wo ich wirklich sage: Okay, jetzt machst du einfach mal fünf Minuten Pause und führst dir bewusst vor Augen, wofür du dankbar bist. Und manchmal ist es aber auch einfach etwas, das dann ganz spontan wieder in mir aufploppt.«

Wochenblatt: Und was ist jetzt gerade für eine Phase?
Mirja Zahirovic: »Im Moment sollte ich das bewusst machen. Das ist doch immer so in der Vorweihnachtszeit und ich hatte kürzlich zum ersten Mal Corona. Da ging es mir gar nicht gut, was dann auch auf meine Psyche gedrückt hat. Das sind dann die Zeiten, wo man sagen müsste: Jetzt solltest du wieder ein bisschen Achtsamkeitstraining machen. Denn darin hat Dankbarkeit einen großen Anteil.«

Wochenblatt: Welche Rolle hat Dankbarkeit bei der Arbeit mit Kindern?
Mirja Zahirovic: »Die hat in diesem Haus eine unfassbar große Rolle. Wir haben ein sehr bunt gemischtes Klientel, aber mehrheitlich Kinder, die von Armut bedroht sind. Da ist es besonders schön zu sehen, wie unfassbar dankbar diese Kinder und auch deren Eltern über Kleinigkeiten sind. Wenn man da hinschaut, ist das etwas, das einen wirklich glücklich macht.«

Wochenblatt: Haben Sie da vielleicht ein konkretes Beispiel?
Mirja Zahirovic: »Ich bin jetzt seit elf Jahren hier Einrichtungsleiterin und eins ist mir von Tag eins aufgefallen: Egal, was man den Kindern bietet, ob neues Spielmaterial oder ein pädagogisches Angebot, diese Dinge sind für sie oft eine völlig neue Erfahrung. Sei es nur, dass man mit ihnen etwas backt, sie sind dann so motiviert, neugierig und freuen sich. Das Interesse ist viel länger da, als im Vergleich zu meiner vorigen Einrichtung.
Ein anderes Beispiel: Wenn der Nikolaus kommt, finden das alle Kinder toll, denke ich. Aber hier sitzen sie wirklich eine Viertelstunde da, bewundern diesen Mann und freuen sich, dass er irgendwas mitgebracht hat. Er hat einen unwahrscheinlich hohen Stellenwert. Wohingegen das in der alten Einrichtung, wo der Nikolaus vielleicht noch zu jeder Familie nach Hause kommt, eigentlich nach zwei Minuten uninteressant war.
Was Familien angeht, sind klassische Beispiele unsere Tauschtisch-Tage. Die machen wir alle drei Monate und alle, das Team, Familien, Freunde und Nachbarn, können Sachen bringen, die sie nicht mehr benötigen. Jeder, der kommen möchte, kann sich dann etwas nehmen. Das hat nicht diesen Armuts-Charakter, sondern ist einfach für alle da. Man erlebt ganz oft so viele dankbare Menschen, die sich an Dingen erfreuen, die andere sonst vielleicht entsorgt hätten. Eines der schönsten Erlebnisse ist schon ein paar Jahre her. Ein Junge, ein Drittklässler von der Schillerschule nebenan, hat gehört, dass hier Turnschuhe stehen. Er hat sogar seine Schwester überredet, ein anderes Paar Schuhe abzugeben und wollte die tauschen. Dabei hätte er das gar nicht machen müssen, er hätte sie auch einfach so bekommen. So viele Leute gehen ins Geschäft und kaufen sich irgendwelche Marken-Turnschuhe, aber für ihn war es das Allergrößte, sie hier tauschen zu können, und das hat uns alle wahnsinnig berührt.«

Wochenblatt: Schaffen es diese schönen Momente auch die Herausforderungen aufzuwiegen?
Mirja Zahirovic: »Klar ist es eine Herausforderung, die hat man ja in jedem Beruf und das gehört ja auch ein bisschen dazu. Aber ich würde ganz klar sagen, dass für mein Team und mich die Dankbarkeit und die schönen Momente überwiegen.«

Wochenblatt: Ist es dann auch so, dass die Dankbarkeit in den Herausforderungen noch ihren Platz findet?
Mirja Zahirovic: »So nebenher läuft das nicht, aber wir haben sechs pädagogische Tage im Jahr, an denen aus meiner Sicht das Thema Dankbarkeit immer eine Rolle spielt. Bestimmt nicht so benannt, aber da geht es um ganz viele pädagogische Haltungsfragen: Wie trete ich den Kindern gegenüber? Wie begegne ich den Familien wertneutral, kultursensibel und offen? Logischerweise, und bestimmt nicht nur in unserer KiTa, treffen da unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinander. Es ist unwahrscheinlich wichtig, da immer wieder zu reflektieren. Vieles, was andere Familien in ihrer Erziehung anders machen, ist keine Böswilligkeit, sondern eine andere Wertevorstellung. Und wer weiß denn schlussendlich, was richtig und was falsch ist? Dann suchen wir auch immer nach Erfolgserlebnissen, was wir in den letzten Monaten geschafft haben. Im Alltag findet man nicht die Zeit da hinzuschauen, für sowas sind solche Tage sehr schön und das motiviert dann auch.«

Wochenblatt: Das hört sich so an, als würden einerseits die Betreuer mitlernen – von den Kindern und wie sie mit ihnen umgehen können – aber auch die Familien.
Mirja Zahirovic: »Das ist ja auch die Philosophie unseres Hauses als Familienzentrum, dass wir das Kind als Teil einer Familie sehen. Wir schauen wirklich, dass wir für die gesamte Familie hier eine Beheimatung schaffen und sie einen Ort haben, der sie in sämtlichen Lebenslagen unterstützt. Eltern sind auch nur Männer und Frauen.
Es kommen auch immer wieder Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu uns. Wir haben einen Jungen, der mit einigen Herausforderungen in seinem häuslichen Umfeld zu uns in die KiTa gekommen ist. Der hat sich sehr schwergetan, denn mit zwei ErzieherInnen und 26 Kleinen kann nicht einer immer nach den Kindern mit besonderen Bedürfnissen gucken. Jetzt haben wir zu 99 Prozent eine Integrationskraft gefunden, also jemanden, der nur für diesen Jungen da ist. Die beiden haben sich gestern das erste Mal kennengelernt und das lief echt super. Er war so dankbar, weil er gespürt hat, dass da jetzt wirklich eine Frau war, die nach ihm geschaut hat. Er hat die ganze Zeit gesagt: Heute war schön! Und das sind dann Sachen, die einen einfach glücklich machen. Dass die Kinder wahrnehmen, dass eine Veränderung stattfindet.«

Wochenblatt: Das sind wirklich viele tolle Beispiele. Herzlichen Dank für das schöne Gespräch, Frau Zahirovic.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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