Workshop "Was Familien jetzt brauchen"
„Familien zu unterstützen heißt den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken“
Singen. Kein Zweifel – viele Familien sind derzeit richtig unter Druck und eingeklemmt „zwischen Sparsamkeit und Existenzangst“, so MdL Dorothea Wehinger (Bündnis 90/Die Grünen). Als Landtagsabgeordnete des Wahlkreises lud sie deshalb erfahrene Handlungsträger zu diesem „wichtigen und dringenden“ Thema „Was Familien jetzt brauchen“ ein – und alle wichtigen Fachleute kamen am Donnerstagvormittag zu einem familienpolitischen Fachgespräch in den Treffpunkt Horizont nach Singen.
Im Mittelpunkt des Workshops stand die Frage, welche Möglichkeiten und Lösungsansätze es neben den staatlichen und wirtschaftlichen Unterstützungsangeboten für Familien gibt, um den Krisen zu begegnen, die uns momentan belasten. Das Ziel aller Bemühungen sollte deshalb sein, die Fähigkeit der Familien zu stärken, mit schwierigen Situationen umzugehen, eigene Kräfte zu entdecken und zu mobilisieren – der Fachbegriff hierzu lautet „Erhöhung der Resilienz“. Zusätzlich braucht es aber auch Orientierung, wo und wie Hilfe möglich ist.
Karl Mohr, Thüga-Regionalleiter des Lokalversorgers für Strom, Erdgas und Wärme, trug vor, wie gerade Familien den steigenden Energiepreisen begegnen können: Die Jahresabrechnungen kommen im nächsten September, gut sechs Wochen zuvor kommt der Abschlag – gerade diese Zeitspanne sollte zur wichtigen Beratung genutzt werden, wie der Energieverbrauch möglicherweise gesenkt werden kann. „Viele Kunden haben bereits freiwillig ihre monatlichen Abschläge erhöht“, so Mohr. Er erinnerte beispielsweise an jeweils 100 Euro Zuschuss von Thüga und Caritas beim Austausch eines alten energiefressenden Kühlschranks gegen ein neues energieärmeres Produkt. Weitere Tipps hält eine Thüga-Broschüre parat, welche dort abgeholt werden kann – eine gute Idee wäre, so der Workshop, diese in Kitas anzubieten.
In schwierigen Fällen, wenn Zahlungsrückstände zu Mahnungen oder gar zu vorab angekündigten Stromabschaltungen führen könnten, rät Mohr dringend zum rechtzeitigen Gespräch an, notfalls zu einer Zahlungsvereinbarung über sechs Monate. Er stellte „YouTube“-Videos zu diesen Themen auf der Thüga-Website in Aussicht.
Auch Jasmin Fned, Teamleiterin und stellvertretende Bereichsleiterin im Jobcenter Konstanz, stellt im Berufsalltag fest, dass die Energiekrise mittlerweile nicht nur die Schwächsten trifft, sondern auch den Mittelstand erreicht hat, der jedoch keinen Leistungsanspruch hat. Sie brachte ein präzises Übersichtspapier zur Unterstützung Bedürftiger hinsichtlich Heizungs- und Stromkosten zur Verteilung mit, auf dem sämtliche Ansprechpartner im Leistungs- und Unterstützungsbereich aufgelistet sind. Gibt es Probleme mit der Stromrechnung, kann das Jobcenter in keinster Weise unterstützen, denn Strom zählt nicht zum Regelbedarf und muss selbst bezahlt werden. „Die Strompreiserhöhung trifft die ärmsten der Armen“, so Fned, die sich in Problemfällen feste Ansprechpartner bei der Thüga wünscht. Im Falle von Heizkosten-Schulden bleibt für Leistungsempfänger höchstens die rechtzeitige Beantragung eines Jobcenter-Darlehens, welches zurückgezahlt werden muss.
Ralf Ritter, Abteilungsleiter Eigener Bestand der Baugenossenschaft Hegau eG, wies auf den steigenden Anteil der Nebenkosten an der Gesamtmiete hin. Einsparmöglichkeiten sieht er im Bereich Heizung, Wasser und Warmwasser. Fielen früher 80 Prozent der Nebenkosten auf die Heizung, 20 Prozent auf Wasser, so steigt gerade der Wasser-Kostenanteil, insbesondere von Warmwasser, auf heutzutage 50 Prozent, tendenziell auf bis zu 70 Prozent. Bei hohen Nachzahlungen sind auch bei der Hegau eG Ratenzahlungen über sechs bis acht Monate möglich. „Wir agieren mit Augenmaß“, so Ritter, der in 20 Jahren noch keinen Kündigungsfall wegen Nebenkosten erlebt hat. Dorothea Wehinger rät hierzu generell, „Geld auf die Seite zu legen“. Rita Greis ist Arbeitsagentur-Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Sollten Vater und/oder Mutter in diesen Zeiten etwa arbeitslos werden, „bekommen sie zunächst ihr individuelles Arbeitslosengeld“, so Greis – aber wie gelingt die Rückkehr in den Arbeitsmarkt? „Es gibt genug Fördergelder, um zu qualifizieren“, so die Konstanzer Expertin. Das Weiterbildungschancengesetz eröffne angesichts des Mangels an Fachkräften durchaus gute Möglichkeiten, teils inklusive individuellem Coaching. Allerdings waren sich alle Workshop-Teilnehmenden einig: Frauen haben es immer noch und immer wieder besonders schwer, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen und wichtige eigene Renten-Anwartschaften aufzubauen, obgleich die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht auf berufstätige Frauen und Mütter, deren Tatkraft und Talente mehr als angewiesen sei.
Der Wunsch nach der Vereinbarkeit von Job und Familienleben führt in vielen Fällen aber direkt zur Frage nach der oftmals unzulänglichen Betreuung der Kinder in Kitas und Schulen – aber auch zur erwünschten Unterstützung durch den jeweiligen Partner und nicht zuletzt zur erhofften Fürsorge des Arbeitgebers: Betriebskindergärten könnten eine gute regionale Tradition fortsetzen, etwa beim geplanten Krankenhausneubau im Landkreis.
Susanne Zimmermann von der Caritas-Schuldnerberatung, welche sich in der Worblinger Straße 14 befindet, sprach die psychomentale Belastung an, die mit privaten Notsituationen und überbordenden Schulden verknüpft ist. Hier kann im Einzelfall die Einrichtung eines Pfändungsschutz-Kontos helfen, um wenigstens die Grundsicherung sicherzustellen, oder gar die Erklärung der privaten Insolvenz, um absehbar einen Neuanfang wagen zu können. Der Wille und die Motivation zur Arbeit zeigt sich im Einzelfall ebenso stark wie manchmal der Verlust an Selbstvertrauen und psychischer Belastbarkeit. Wichtig sind Multiplikatoren wie Arbeitgeber, Jobcenter und professionelle Unterstützer, um einen persönlichen Weg aus der Schuldenfalle zu finden.
Was für den Einzelnen gilt, ist auch für Familien in diesen Zeiten besonders wichtig: „Es geht nicht nur ums Geld, es geht darum, Familien emotional und sozial stark zu machen“, so Dorothea Wehinger abschließend. Alle Teilnehmenden wünschen sich eine Fortsetzung des Formats.
Autor:Bernhard Grunewald aus Singen |
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