Europapolitik trifft Landwirtschaft
Es bleibt die Hoffnung auf eine weniger ideologische Agrarpolitik

Im Gespräch von EU-Parlamentsmitglied Andreas Schwab (Mitte) zeigte sich, dass er in den meisten Punkten mit den beiden Landwirten Andreas Deyer (links) und Stefan Leichenauer (rechts) auf einer Linie ist. | Foto: Tobias Lange
  • Im Gespräch von EU-Parlamentsmitglied Andreas Schwab (Mitte) zeigte sich, dass er in den meisten Punkten mit den beiden Landwirten Andreas Deyer (links) und Stefan Leichenauer (rechts) auf einer Linie ist.
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Singen. Die Landwirte haben ein gespaltenes Verhältnis zur EU: Einerseits sichern die Beihilfen der EU den Betrieben das Überleben. Andererseits erschweren die vielen Vorschriften ihnen dabei auch das Leben. Um die beiden Seiten zu einem Gespräch zusammenzubringen, hat das WOCHENBLATT kürzlich Andreas Deyer, Kreisverbandsvorsitzender Stockach im Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV), Stefan Leichenauer, Kreisverbandsvorsitzender Konstanz im BLHV, sowie Andreas Schwab, Mitglied des EU-Parlaments aus dem Regierungsbezirk Freiburg, in die Redaktion eingeladen.

Wer Beihilfen bekommt, sollte auch bereit sein, Vorgaben einzuhalten, stellte Stefan Leichenauer gleich zu Beginn klar. Ohne diese Förderungen könnten geschätzt 60 Prozent der Landwirte im Hegau ihre Flächen nicht rentabel bewirtschaften. Die Hälfte des Einkommens seines Betriebs stamme aus diesen Geldern, etwa weil viele der Flächen aus FFH-Gebieten (Fauna-Flora-Habitatrichtlinie, dient dem Artenschutz) bestehen. Gerade für kleine Betriebe seien die Förderungen daher extrem wichtig. Seine Kritik an der EU-Politik betrifft daher hauptsächlich die Umsetzung.

Kein Ertrag, kein Geld, keine Landwirte

Einer der GLÖZ-Standards (Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen) etwa forderte die Stilllegung von vier Prozent der Ackerfläche. Erst vor wenigen Wochen wurde das abgeschwächt, sodass auch Zwischenfrüchte angebaut werden können. Leichenauer übt Kritik: "Ich hätte keinen Mehrwert gehabt, außer dass ich nachher mehr Pflanzenschutz gebraucht hätte." Eine Zwischenfrucht könne beispielsweise CO₂ binden und Insekten anlocken, sei dadurch besser als Maßnahme für das Klima.

Andreas Deyer begründete die Gegenwehr der Landwirte zur Stilllegung aus wirtschaftlicher Sicht: "Ich habe als Landwirt Festkosten, egal ob ich etwas darauf anbaue oder nicht." Das seien Kosten von rund 1.000 Euro pro Hektar, die "hätte man zuerst ersetzen müssen. Letztendlich müssen wir davon leben".

Auch die SUR, die Sustainable Use of plant protection products Regulation, sorgte bei den Landwirten für Unmut. Sie forderte eine Reduktion im Pflanzenschutzmitteleinsatz, in einigen Gebieten sogar ein komplettes Verbot, wie Stefan Leichenauer betonte. In Baden-Württemberg wurde bereits das Ziel festgelegt, bis 2030 auf 35 Prozent der Pflanzenschutzmittel zu verzichten. "Das war ein guter Kompromiss", findet Andreas Schwab. Ähnlich hätte das auf der EU-Ebene aussehen sollen. Nun wurde das Gesetz jedoch vom EU-Parlament abgelehnt. Weil die Grünen ein Komplettverbot von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 gefordert hätten, stimmten sie dagegen.

EU ist zu "dirigistisch"

"Das macht doch keinen Sinn", ärgerte sich der Abgeordnete. "Das führt dazu, dass in den osteuropäischen Ländern weiterhin viel mehr Pflanzenschutzmittel verwendet wird als bei uns, aber wir mit ihnen im Wettbewerb stehen." Daran sei zu erkennen, was in der EU schieflaufe: "Es ist übertriebener Ehrgeiz, damit macht man mehr kaputt."

Auch kritisierte er die Art und Weise, wie mit den Landwirten umgegangen werde. Gäbe es Anreize für mehr ökologische Vielfalt, wären die Landwirte seiner Ansicht nach nicht dagegen. "Es macht für sie keinen Sinn, die Natur kaputtzumachen, um mehr zu produzieren", führte er aus. "Die Idee, dass wir als Politiker dem Landwirt mal sagen müssen, wie es läuft, ist etwas schräg."

Das hohe Maß an Bürokratie auf den Höfen gefährde nicht zuletzt auch den Nachwuchs, verdeutlichte Leichenauer. Ihm fehle die "gute fachliche Praxis und der gesunde Menschenverstand" in der Agrarpolitik. Er habe eine entsprechende Ausbildung, habe Erfahrung in dem Beruf gesammelt. Wie er sich um seinen Boden kümmern muss, "das muss mir nicht die EU sagen".

Auch Landwirtschaft nach Kalender funktioniere einfach nicht. Dem stimmte Andreas Schwab zu: "In einem guten Jahr können Landwirte bestimmte Vorgaben perfekt erfüllen, weil das Wetter mitspielt", in anderen nicht. Die EU handle hier eher "dirigistisch" und "überambitioniert". Er selbst sprach sich dafür aus, "die Flexibilität ein Stück weit bei dem Landwirt zu lassen".

Sorge bereiten Stefan Leichenauer auch die möglichen Agrar-Fördergelder an die Ukraine. So eine Förderung stehe nicht zur Diskussion, konnte Andreas Schwab hier einwerfen: "Aber klar ist, dass wir den Landwirten als Berufsgruppe durch die zollfreien Importe aus der Ukraine schon jetzt ein Sonderopfer abverlangt haben." Waren, die ursprünglich Richtung Osten abgewandert wären, gelangen nun in den europäischen Markt. Handel oder Verarbeiter wählten dann meist das günstigere Produkt, ergänzte Andreas Deyer, "bei allem Bekenntnis, wie wertvoll ihnen Regionalität ist".

Er habe die Hoffnung, dass die zuletzt sehr ideologisch geführte Agrarpolitik künftig wieder mehr auf Sachlichkeit beruhen werde. "Es ist demnächst wieder eine GAP (Gemeinsame Agrarpolitik)", sagte er als Beispiel. "Alle wollen die natürlich mit Umweltleistungen hinterlegen. Aber zuerst mal müssen wir einen Rahmen haben, dass wir überhaupt wirtschaften und produzieren können."

Auch dem stimmte Schwab wieder zu: "Wir müssen uns gemeinsam bewusst sein, dass wir die Selbstversorgung nicht komplett ignorieren dürfen. Es ist nicht nur touristisch und biologisch wichtig, sondern eben auch wirtschaftlich, dass wir es für die Landwirte in der Region attraktiv halten, zu arbeiten."

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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