Viele Fragen nach dem "markanten Regen"
Die Jahrhunderthochwasser kommen immer öfter

Ein Bild aus Rielasingen, wo im Unterdorf blitzschnell zwei Flutwellen zuammentrafen: zum einen durch die Aach, und durch das vom Extremregen wasser. | Foto: FFW Rielasingen-Worblingen
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  • Ein Bild aus Rielasingen, wo im Unterdorf blitzschnell zwei Flutwellen zuammentrafen: zum einen durch die Aach, und durch das vom Extremregen wasser.
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Singen/Hegau. Die Welt war im Hegau am letzten Mittwoch nur bis kurz vor 7 Uhr in Ordnung gewesen. Denn dann entlud sich ein enormes Gewitter über der Region, vor dem die Warn-App Nina zunächst mit einem erwarteten Niederschlag von 40 Litern warnte, kurz darauf auf 80 Liter und Hagel korrigierte. Und die 80 Liter wurden vielerorts erreicht in einer Zone zwischen Stockach und Gottmadingen, sodass viel Wasser in Ortschaften strömte.
Diesmal hatte es Singen ziemlich schwer erwischt: Die Regenkarten zeigen das Zentrum rund um den Hohentwiel, wo sich von der Anhebung "Schanz" aus eine regelrechte Flutwelle in Richtung Singener Dorf entwickelte. Das Theater "Die Färbe" wurde förmlich von einem Fluss durchspülte, laut Feuerwehr stand es bis zu 70 Zentimeter hoch. Bilder zeigen auch, wie geistesgegenwärtig Schauspieler und Personal vieles in Sicherheit brachten, wenn auch die Küche erst mal nicht zur Verfügung steht, das Theater aber sein Sommertheater fortsetzt. "Wir hatten an diesem Vormittag rund 130 Notfallmeldungen direkt im Feuerwehrhaus und über die Leitstelle, die Einsätze ging zum Teil über den ganzen Tag", sagte der Singener Feuerwehrkommandant Mario Dutzi auf Nachfrage. Die Wasserwelle breitete sich auch über die Kanalisation dramatisch schnell aus. Stundenlang musste das Tiefgeschoss des Cano trockengelegt werden, auch bei Karstadt war die Zufahrt in die Tiefgarage überschwemmt, die beiden Unterführungen beim Bahnhof hatten sich in Minutenschnelle gefüllt, so dass dort auch Autos hängen blieben.

Das dramatischste Bild entwickelte sich an der Unterführung der alten Schlachthausstraße unter der Bahn. Dort wurde ein Teil des Gleiskörpers inklusive jeder Menge Sand und Schlamm durch die Welle abgetragen. Ein Auto dass dort havariert war, konnte erst befreit werden, nachdem die Schotterberge mit dem Bagger abgetragen waren, Tage später. Auch die Bahnstrecke war länger nicht befahrbar, zunächts nur einspurig konnte der Verkehr wieder aufgenommen werden. Für den Schienersatzverkehr musste zu Beginn auf Taxis zurückgegriffen werden, so der Störungsmelder der Bahn.
Auch Gottmadingen erwischte es, genau im Ortskern. Dort gab es einen Rückstau beim Riederbach genau an der aktuellen Baustelle der B34 in der ohnehin gesperrten Ortsdurchfahrt, weil dort der angeschwollene Bach mit dem Wasser von den Straßen zusammentraf. Selbst an der Umleitungstrecke war erst mal landunter gemeldet worden. Auch in Hilzingen war die Feuerwehr intensiv gefordert gewesen, in der Hauptsache im Kernort, der am Rand dieser Regenzelle lag.

Wie kommt es dazu?

Viele Menschen waren von dem Ausmaß des Unwetters am Mittwochmorgen überrascht. Es flutete Keller und setzte Straßen unter Wasser. Nicht wenigen stellte sich die Frage, wie es zu einem solchen Wetterereignis kommen kann.
Die Antwort darauf weiß Uwe Schickedanz, Leiter der regionalen Wetterberatung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Stuttgart. Einfach ausgedrückt: Die zu diesem Zeitpunkt vorherrschende feuchtwarme Luft hob sich an und kühlte in den höheren Lagen wieder ab. In kühlerer Luft kann sich das gasförmige Wasser aber weniger gut halten. "Es bilden sich Wolken und letztendlich Niederschlag."

Zusammenspiel mehrerer Komponenten

Wer es miterlebt hat, der sprach mitunter von monsunartigen Zuständen. Doch für den Wetterexperten ist klar: "Es war ein sehr schweres Gewitter." Die Ausmaße, die es angenommen hat, seien dabei das Resultat aus dem Zusammenspiel mehrere Komponenten gewesen. Zunächst war da die feuchtwarme Luftmasse. Dann eine sogenannte "labile Schichtung", was bedeutet, dass die Temperaturunterschiede der Luftschichten zwischen bodennaher heißer Luft und kühlerer Luft in der Höhe relativ groß sind und die Luft schneller aufsteigt. Eine schwache Höhenströmung sorgte schließlich dafür, dass das Gewitter nicht weiterziehen konnte und sich über einen Bereich ergoss.

Überrascht war Uwe Schickedanz von dem Unwetter nicht. "Der DWD hat es vorausgesehen und prognostiziert." Denen, die dann doch überrascht worden sind, wolle er aber auch keinen Vorwurf machen. "Ich bin vom Fach, ich kann leicht reden. Aber nicht jeder beschäftigt sich ständig mit dem Wetter. Ich kann die Überraschung sehr gut nachvollziehen." Denn das Unwetter habe sich sehr schnell entwickelt: von wolkenlos bis zum gefühlten Weltuntergang in zehn bis 15 Minuten.

Warme Luft begünstigt Starkregen

Müssen wir uns zukünftig auf häufigere Unwetter dieser Art einstellen? Der Wetterexperte hat eine klare Antwort: "Ein eindeutiges Ja." Durch die steigenden Temperaturen könne sich mehr Feuchtigkeit in der Luft lösen. Bei 20 Grad könne ein Kubikmeter Luft rund 25 Gramm Wasser aufnehmen, bei 30 Grad seien es bereits 50 Gramm. Und Feuchtigkeit, die sich in der Luft lösen kann, gibt es in der Bodenseeregion ausreichend. Das Resultat: "Mehr niederschlagbares Wasser."

Stark gefordert im Umgang mit solchen Extremwetterereignissen ist der Städtebau. "Die Folgen müssen künftig intensiv berücksichtigt werden", betonte Thomas Mügge, Leiter des Fachbereichs Bauen in Singen, auf Anfrage des WOCHENBLATTs. In hochwassergefährdeten, noch unbebauten Gebieten, wovon es in Singen nur wenige gebe, sei eine risikoangepasste Planung bereits Pflicht. Auch bei nicht direkt gefährdeten Gebieten brauche es Überlegungen, wie sich Starkregen auswirken könne. Einbezogen wird dabei etwa, wie Wasser durch die Bebauung oder das umliegende Gelände abfließen würde. Selbst moderne Kanalnetze seien bei extremen Niederschlagsmengen überfordert. Im Mischbaugebiet Tiefenreute-Bühl sei daher geplant, das Wasser oberflächlich zu führen und dann so versickern zu lassen, dass keine Gebäude gefährdet werden.

Solche und weitere Maßnahmen werden unter dem Modell der "Schwammstadt" zusammengefasst. Hier wird Regenwasser ähnlich einem Schwamm aufgesaugt und gespeichert, statt es in die Kanalisation abzuleiten. So angelegt sei das Neubaugebiet "Engener Straße" in Singen-Beuren: Regenwasser wird auf den Grundstücken in Zisternen gespeichert und drosseln so auch den Zufluss in die Kanalisation. Das Versickern des Regens in dem Areal werde durch gepflasterte Parkflächen mit Bäumen dazwischen erleichtert.
Auch in bebauten Gebieten sind Anpassungen möglich, wie Mügge berichtet. In der Masurenstraße werden Leitungen für ein Nahwärmenetz gelegt, was kombiniert wird mit der Pflanzung von Bäumen, außerdem soll die Straße etwas schmäler und so ein Teil der Fläche entsiegelt werden. Für solche Vorhaben sind Förderungen aus Programmen zu Klimawandelanpassung und -schutz möglich. Im Fall der Masurenstraße wurde eine Förderung im Programm KLIMOPASS (Klimawandel und modellhafte Anpassung) beantragt.

Aachpark für Schwammstadt Stockach

Auf den Weg Richtung Schwammstadt macht sich die Stadt Stockach. Eine Rolle spielt dabei der geplante Aachpark, berichtet Stadtbauamtsleiter Lars Heinzl. Dort soll die Aach renaturiert, ein Aachsee, sowie Überflutungs- und Rückhalteflächen angelegt werden, um ein Flusshochwasser abzumildern. Die rund 1.000 Bäume, die gepflanzt werden sollen, verdunsten Wasser und haben damit "im Aachpark, aber auch für die Kernstadt eine kühlende Wirkung". Außerdem nehmen Pflanzen zum Teil das Regenwasser auf oder Verzögern das Auftreffen des Niederschlags auf dem Boden.
Um mehr öffentliche Grünflächen gehe es indes in der Kernstadt, so Heinzl. "Technisch betrachtet strebe ich ein Trennsystem in der Kanalisation an", um Abwasser und Regenwasser separat zu leiten. Das Regenwasser könne so zurückgehalten und dann später in die Aach abgeleitet werden: "Das entlastet gleichzeitig die Kläranlage und trägt zum Schutz der Gewässer bei, da bei Starkregenereignissen die Kanalisation in die Gewässer überläuft." In Stockach machten zuletzt die bereits getroffenen Vorkehrungen bezahlt, etwa die Notwasserwege in der Aachenstraße: "Beim Starkregen letzte Woche ist der Schacht in der Aachenstraße übergelaufen. Der Notwasserweg hat das Wasser ohne größere Schäden in der Aach abgeleitet."

Pegel-Peak in Rielasingen

Immer mehr Kommunen haben sich inzwischen auf diese Wetterexteme eingestellt und Pegelmessgeräte an neuralgischen Punkten eingerichtet. Denn oft entwickelt sich in solchen Starkregenzellen eine Wasserwelle in kürzester Zeit, wie die neuen Echtzeitmessungen in Rielasingen zeigen. Die Welle, die aus Singen kam, führte praktisch innerhalb weniger Minuten zur deutlichen Überschreitung der Marke "HQ 100" für ein hundertjähriges Hochwasser. Seit massiven Überschwemmungen in 2016, dem letzten "HQ 100" wurde ein neuer Hochwasserschutz für den Ortskern von Rielasingen entwickelt, der am meisten bedroht ist, als ein Beispiel. Der Mittwoch hat gezeigt, dass der Takt für solche Ereignisse immer schneller schlägt, obwohl dazwischen (als anderes Extrem) mehrere Dürrejahre lagen.

Feuerwehren an der Belastungsgrenze

Die Singener Feuerwehr musste alleine letzten Mittwoch 130 Alarmmeldungen nachgehen, die meist auch längere Einsätze bedeuteten. Schon Mitte Juni wurde das Überschreiten von 300 Einsätzen für 2024 vermeldet, inzwischen steht man zur Jahreshäfte bei der Marke von 500 Einsätzen. Im letzten Jahr waren es übrigens etwas über 700 Einsätze, die mit Sicherheit dieses Jahr überschritten werden. Aber schon für letztes Jahr wurde das "Erreichen der Belastungsgrenze" von Kommandant Mario Dutzi ausgesprochen, denn Feuerwehr ist ja zum größten Teil in der Region immer noch Ehrenamt. Die Forderung der Feuerwehr, noch mehr auf hauptamtliche Kräfte zu setzen um damit das Ehrenamt zu entlasten, steht in Singen im Raum. Solche Teams könnten die "kleinen" Einsätze abarbeiten. Zum Beispiel muss immer öfter die Drehleiter zum Einsatz kommen, um den Rettungsdienst dabei zu unterstützen, Personen aus Gebäuden zu bekommen, die man anders gar nicht mehr aus ihren Wohnungen bekommt. Für solche Fälle ehrenamtliche Helfer zu mobilisieren wird auch gegenüber den Arbeitgebern immer schwerer.
Die Regenflut ging für die Feuerwehren angesichts der vielen anderen aktuellen Probleme wiederum schnell vorbei. Am Mittag schien auch schon wieder die Sonne.

Autor:

Redaktion aus Singen

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