Interview mit Mario Hüttenhofer
„Der menschengemachte Klimawandel ist Fakt“

Dr. Mario Hüttenhofer erklärt im WOCHENBLATT-Interview, warum es keinen Zweifel am menschengemachten Klimawandel gibt und auf welche Energiequellen Deutschland zukünftig setzen sollte. swb-Bild: Jana Akyildiz
  • Dr. Mario Hüttenhofer erklärt im WOCHENBLATT-Interview, warum es keinen Zweifel am menschengemachten Klimawandel gibt und auf welche Energiequellen Deutschland zukünftig setzen sollte. swb-Bild: Jana Akyildiz
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Singen. Die Leserbeiträge zum Thema Energiewende von Stefan Meichle und Heidi Wirsch in den WOCHENBLATT-Ausgaben vom 14. Und 21. Dezember haben zahlreiche Reaktionen ausgelöst. Darunter auch von Dr. Mario Hüttenhofer aus Singen. Er ist promovierter Chemiker und Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie von Bündnis 90/Die Grünen. Bis Juli 2022 war er zudem Vorstandsmitglied im Grünen-Ortsverband Singen und bis Dezember 2022 Vorstand bei KLIMA vor acht e.V.

WOCHENBLATT: Herr Dr. Hüttenhofer, Sie haben sich als Reaktion auf den Leserbeitrag von Herrn Stefan Meichle gemeldet, um eine andere Sichtweise einzubringen.
Mario Hüttenhofer: Von Herrn Meichle kam die Aussage, Deutschland könne seine Bewohner nur mit energieintensiver, industrieller Produktion ernähren. Das halte ich für eine grundlegend falsche Sicht. Ob eine Wirtschaft erfolgreich ist und Wertschöpfung generiert, hat grundsätzlich nichts mit der Menge an Energie zu tun. Wir haben aber tatsächlich Industriezweige, die sehr viel Energie verbrauchen. Chemie, Stahl, Zement, Automobilbau – das sind große, oft exportorientierte Industrien in Deutschland. Deren Erfolg wird zukünftig aber maßgeblich von der Fähigkeit auf fossile Energie zu verzichten bestimmt werden. Was ein Zögern bedeutet, kann man gerade beim Elektroauto sehen.
Es ist auch aus meiner Sicht falsch, dass eine vollständige Energieversorgung durch erneuerbare Energien, im Kern also Wind und Photovoltaik, nicht funktioniert. Es gibt viele Studien, darunter vom Fraunhofer-Institut ISE in Freiburg und dem DIW Berlin, die zeigen, dass eine 100-prozentige Energiestromversorgung möglich ist. PV und Windkraft ergänzen sich dabei sehr gut. Sowohl täglich als auch saisonal. Aber natürlich kann es Mangelsituationen geben, weswegen wir Netzausbau und Speicher brauchen. Mit Speichern, Wasserkraft, aber auch Biogasanlagen können wir dann die Lücken füllen.
Die Frage, ob wir Natur zerstören müssen, um Windräder und Photovoltaikanlagen aufzustellen, finde ich suggestiv. Das Klima ist essenziell für die Natur und uns Menschen. Die durch die Verbrennung von fossilen Rohstoffen verursachte Klimaveränderung verursacht mehr Naturschäden, als es ein Windrad könnte. Es ist ein Kraftwerk, das viel Energie auf einer kleinstmöglichen Fläche produziert. Sie sind abbaubar und beim Aufbau werden Ersatzflächen geschaffen. Die großen Naturschutzverbände sind sehr dafür, dass wir Windkraft und Photovoltaik ausbauen.

Hier geht es zum Leserbeitrag von Stefan Meichle:

„Auch die Wind- und Sonnenenergie führt uns in die Abhängigkeit“

WOCHENBLATT: Haben Sie auch Bemerkungen zu dem Beitrag von Heidi Wirsch?
Mario Hüttenhofer: Bei Frau Wirsch sieht man, dass einzelne Fakten herausgenommen werden und mit unbelegten Behauptungen verknüpft werden, wodurch falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Im Hintergrund höre ich da heraus: Können wir der Wissenschaft vertrauen? Frau Wirsch stützt sich zum Teil auf Thesen, die so nicht stimmen, die aus dem Zusammenhang gerissen sind und verbindet sie mit Verschwörungsideen wie dem „Great Reset“. Das sehe ich sehr kritisch.
Frau Wirsch hat aber recht darin, dass Schwefelhexafluorid sehr klimaschädlich ist. Dieses Gas wurde in der Vergangenheit in vielen Bereichen zum Schutz von elektrischen Schalteinrichtungen verwendet. Ist aber seit 2014 EU-weit für viele Bereiche verboten, leider nicht bei Windkraftanlagen. Das kann man aber in den Griff bekommen. Die Hersteller haben jedoch bereits gegengesteuert. Während des Betriebs ist es eingekapselt und entweicht nicht. Und beim Abbau der Anlage gibt es bereits jetzt eine Selbstverpflichtung der Hersteller, einen Austritt zu verhindern und es zu entsorgen. Auch gibt es inzwischen technische Alternativen. Die EU-Kommission schlägt zudem in ihrer neuesten Überarbeitung der F-Gase-Verordnung vor, hoch klimaschädliche Gase, auch SF6, nun endgültig zu verbieten.
Frau Wirschs Aussage zum Fracking stimme ich zu. Die Risiken sind zu hoch und die Förderung von Erdgas durch Fracking bringt uns einer dekarbonisierten Gesellschaft auch nicht näher.

Den Leserbeitrag von Heidi Wirsch lesen Sie hier:

„Wir haben in den vergangenen Jahren völlig über unsere Verhältnisse gelebt“

WOCHENBLATT: Sprechen wir Klartext: Die Mehrheit in der Wissenschaft und Bevölkerung ist sich einig, dass der Klimawandel zumindest teilweise menschengemacht ist.
Mario Hüttenhofer: Es ist Fakt. Wenn man sich die Studienlage anschaut, die der IPCC, der Weltklimarat der UN, veröffentlicht hat, dann sind es hunderte bis tausende von Publikationen, die keinerlei Zweifel daran lassen, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Dass er, durch Treibhausgase verursacht, im Durchschnitt eine globale Erwärmung verursacht. Das ist der Stand der Wissenschaft. Es gibt keinen Zweifel, dass es eine globale Erwärmung gibt und dass sie überwiegend durch Menschen verursacht ist. Natürlich gibt es auch andere Einflüsse auf das Klima, die würden uns aber eher in eine Eiszeit führen und die sind von der Größenordnung der Veränderung viel, viel schwächer als der menschliche Einfluss. Es gibt über die Erdgeschichte große Temperaturschwankungen. Aber wenn man sich den Zeitraum der letzten 100.000 Jahre ansieht, dann hatten wir noch nie eine so hohe Durchschnittstemperatur, wie wir sie heute haben. Wir waren an der oberen Schwelle der Warmzeit und wären beim natürlichen Zyklus auf dem Weg in eine Eiszeit gewesen. Wir machen aber nochmal einen Ausschlag nach oben.

WOCHENBLATT: Wenn die Faktenlage so eindeutig ist, warum stehen manche Menschen dem immer noch skeptisch gegenüber?
Mario Hüttenhofer: Das Erste ist, dass dieser Fakt schon sehr lang bekannt ist. Die Erkenntnis, dass CO₂ zu einem Treibhauseffekt führt, ist schon sehr alt – das wissen wir seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Dass es globale Auswirkungen gibt, zeigen uns Messungen des CO₂ in der Atmosphäre. Eisbohrkerne erzählen uns vom CO₂-Gehalt der Atmosphäre der letzten 400.000 Jahre und selbst eine geheime Studie von Exxon aus dem Jahre 1977 kam zu der Einsicht, dass das Verbrennen von fossilen Rohstoffen das CO₂ in der Atmosphäre und damit die Temperatur erhöht. Von Anfang an gab es eine Kampagne der Mineralölkonzerne, das eher kleinzureden. Hinzu kam ein Medienversagen, das man „false Balance“ nennt: einer dagegen, einer dafür. Auch wenn tatsächlich 100 Wissenschaftler den Klimawandel für belegt hielten und nur einer ihn infrage stellte. Das suggerierte über Jahrzehnte bei der Bevölkerung den Eindruck, dass es umstritten ist. Der letzte Punkt ist, dass sich viele Menschen aus meiner Sicht davor fürchten. Wie ein Student, der Angst vor einer herannahenden Prüfung hat. Wir drücken uns. Wir machen alles, um uns dem Problem nicht zu stellen und leugnen das Problem. Es ist schwierig, das Problem zu lösen, aber machbar, auch jetzt noch. Wir haben alle Technologien an der Hand, um das hinzubekommen.
Eine Ihrer Fragen war: „Wie kann man Verzicht sexy machen?“ Ich denke, wir haben alle Mittel in der Hand, das Problem zu lösen und es ist nicht per se Verzicht. Ob es Verzicht ist, ist eine Frage der Perspektive. Wenn Sie und ich fünf Kilogramm Gewicht verlieren, würden wir das erst mal nicht als Verzicht bezeichnen. Es sind zwar fünf weniger, aber wir würden uns wahrscheinlich besser fühlen und uns freuen. Der Weg ist vielleicht manchmal schwierig, aber das ist nicht per se ein Verzicht. Ich spreche eher von Änderung. Ich glaube, dass die Situation, in die wir hinterher hineinkommen, viel besser ist und dass sie nahezu so attraktiv ist, wie wir heute leben.

Was Fridays for Future zu dem Leserbeitrag sagt – mit Links zu den Quellen:

Fridays for Future kontert Leserbeitrag zur Energiewende

WOCHENBLATT: Sie stehen laut Ihrer Internetseite für „aktiven Klimaschutz“. Wie kann der im Alltag von Otto Normalverbraucher aussehen?
Mario Hüttenhofer: Jeder kann etwas tun. Doch im Kern müssen sich die Rahmenbedingungen ändern. Zum Beispiel, wenn wir einen attraktiveren ÖPNV hätten, dann würde es uns allen viel leichter fallen, das zu nutzen. Viele Menschen versuchen auch heute schon ökologisch und klimafreundlich zu leben, aber die kommen an ein Limit. Wir können nicht als einzelne Bürger entscheiden, ob ein Kohle-Kraftwerk gebaut wird. Wir können nicht entscheiden, wie unser Verkehr organisiert ist. Ich plädiere dafür, dass sich die Menschen stärker einbringen, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern und eine Stimmung in der Wirtschaft zu erzeugen, die uns in eine moderne dekarbonisierte Zukunft führen. Wir brauchen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene bessere – sprich nachhaltige und klimafreundliche – Gesetzgebungsinitiativen und Entscheidungen.

WOCHENBLATT: Wenn wir von Politik sprechen: Robert Habeck hat kürzlich einen Vertrag mit Katar zur Lieferung von Flüssiggas ausgehandelt. Dann wurde bekannt, dass Katar am EU-Bestechungsskandal beteiligt sein soll und es drohte zwischenzeitlich, dass es mit der Lieferung Probleme geben könnte. Haben wir bei unserem Versuch, von Russland unabhängig zu werden, wieder aufs falsche Pferd gesetzt?
Mario Hüttenhofer: Ich gebe dazu meine persönliche Meinung. Wie ich die Dinge sehe, versucht Robert Habeck die kurzfristige Energieversorgung sicherzustellen, das erzwingt, dass er kurzfristig auch den Gaseinkauf aus Ländern wie Katar fördert. Dies ist die Folge des Ukraine-Krieges und der entsprechenden Embargos durch die Europäische Union, die ich voll unterstütze – ich habe sogar für einen Gas-Stopp plädiert und bin froh, dass wir das nicht gemacht haben. Wir können dabei nicht nur mit lupenreinen Demokratien sprechen. Was mir zu kurz kommt, ist die zeitliche Begrenzung, denn gleichzeitig müssen wir alles unternehmen, den Erdgasbedarf möglichst schnell auf null zu reduzieren. Bei elektrischem Strom sollen nach den Plänen der Bundesregierung bereits 2030 80 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen.

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Autor:

Tobias Lange aus Singen

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