Friedhöfe als Chancen für Biodiversität
BUND macht Singener Waldfriedhof zum Modellprojekt
Singen. Am Mittwoch haben die GärtnerInnen des Waldfriedhofs in Singen und BUND-Aktive die ersten Maßnahmen zur Gestaltung eines insektenfreundlichen Friedhofes vorgestellt. Gemeinsam haben sie in den letzten Wochen vier Mustergräber angelegt, die BesucherInnen und Angehörigen zeigen sollen, wie sie Gräber naturnah gestalten und so die Artenvielfalt fördern können. Die Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg, Sylvia Pilarsky-Grosch, und Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler haben die Ziele des Projektes und seine Bedeutung für die Artenvielfalt erläutert. Vertreter*innen der Friedhofsverwaltung und BUND-Aktive haben die ersten Maßnahmen umgesetzt.
„Ein gewaltiges Artensterben ist im Gange. Besonders betroffen sind die Insekten. Heute gibt es 75 Prozent weniger Fluginsekten als noch vor 30 Jahren. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Auch in ländlichen Gebieten wird es eng“, sagt Sylvia Pilarsky-Grosch, Vorsitzende des BUND in Baden-Württemberg. Die Gründe für den derzeitigen Artenrückgang: intensive Monokulturen und Pestizideinsatz, aber auch Flächenverbrauch für Siedlungen, Gewerbegebiete und Straßen. Tatsächlich zeigen Studien, dass in Städten mittlerweile mehr Insekten vorkommen als auf dem Land mit intensiver Landwirtschaft.
Umso wichtiger werden daher Grünflächen im urbanen Raum. „Parks, Gärten und Friedhöfe wie der Waldfriedhof in Singen können zu wahren Naturoasen inmitten der Stadt werden. Vorausgesetzt, wir legen sie naturnah und strukturreich an, mit reichhaltigem Nahrungsangebot und Nistmöglichkeiten“, so die BUND-Landeschefin.
Stadt Singen aktiv für den Artenschutz
Der Singener Friedhof ist einer von vier Modellfriedhöfen, die am BUND Projekt Insektenfreundlicher Friedhof teilnehmen. Der Singener Waldfriedhof umfasst eine Fläche von 18 Hektar. Mit seinem alten Baumbestand, weitläufigen sonnigen Bereichen und der Lage inmitten von Wald und landwirtschaftlichen Flächen bietet er gute Voraussetzungen zur Schaffung von Lebensräumen für wildlebende Tiere und Pflanzen. Da auch in Singen der Flächenbedarf für Beisetzungen nicht mehr so hoch ist, wie einst geplant und das Interesse an naturnahen Grabgestaltungen wächst, hat die Stadt den Vorschlag des BUND Singen gerne aufgegriffen und sich für eine Teilnahme an dem BUND-Projekt Insektenfreundlicher Friedhof beworben.
"Für uns ist das BUND-Projekt ein weiterer wichtiger Baustein zur Förderung der Biodiversität in Singen“, unterstreicht Oberbürgermeister Bernd Häusler die Bedeutung des Projekts. „Wir erhalten wertvolle Anregungen und Tipps für die naturnahe Gestaltung und Pflege unserer städtischen Grünflächen. Gleichzeitig kann das Projekt auch Anreiz für unsere Bürger*Innen sein, wie insektenfreundliche Areale auch in Haus- und Kleingarten umgesetzt werden könnten", so Häusler weiter.
BUND-Projekt Insektenfreundlicher Friedhof
„Mit dem Projekt möchte der BUND Baden-Württemberg zunächst auf vier Modellfriedhöfen durch naturnahe Grünflächen die Artenvielfalt erhöhen“, beschreibt Melanie Marquardt, Projekt-Koordinatorin. Im Fokus stehen dabei vor allem Wildbienen wie Hummeln, Sand- und Mauerbienen und Schmetterlinge wie Tagpfauenauge, Schwalbenschwanz oder Kleiner Fuchs. „Unsere langfristige Vision ist, dass Friedhöfe in ganz Baden-Württemberg vorhandene Freiflächen ökologisch aufwerten und pflegen. Unser Anliegen ist außerdem, dass Gärtner*innen und Friedhofsbesucher*innen mittelfristig vermehrt heimische Pflanzen verwenden, wovon dann unsere Insektenwelt profitiert.“
Bis 2024 sollen sechs Flächen auf dem Singener Friedhof insektenfreundlich gestaltet sein. „Aktive des BUND unterstützen die Friedhofs-Gärtner*innen bei den Pflanzungen und kontrollieren regelmäßig, ob die Maßnahmen Wirkung zeigen. Die Friedhofsverwaltung, die städtischen Friedhofsgärtner*innen und der BUND Baden-Württemberg dokumentieren die angepasste Pflege der Flächen. Anschließend entwickelt der BUND Pflegekonzepte und -pläne, die anderen Kommunen, Friedhofsträgern, Friedhofsgärtner*innen und Gärtnereien als Blaupause dienen können“, ergänzt Marquardt.
Warum ausgerechnet Friedhöfe?
Friedhöfe bieten eine besondere Chance für den Arten- und Biotopschutz. Denn mit oftmals altem Baumbestand, artenreichen Blumenwiesen, Stauden und Gehölzen sind sie ökologisch besonders wertvoll. Sie bieten vielen verschiedenen Tieren Nahrungs- und Brutmöglichkeiten und Rückzugsorte. So findet man schon jetzt eine hohe Artenvielfalt auf Friedhöfen. Auch sind Friedhöfe kaum Veränderungen unterworfen. Sie werden selten überbaut oder umgestaltet und so können sich Pflanzen und Tiere über lange Zeit anpassen und entwickeln.
Die Nachfrage nach alternativen und flächensparenden Beisetzungsarten wie der Urnen-Bestattung steigt; viele Friedhofsflächen bleiben in Folge frei. „Das ökologische Potenzial von Friedhöfen ist hoch, es bleibt aber oft ungenutzt. Häufig blühen auf den Gräbern Zierpflanzen und diese bieten Insekten nur selten Nahrung. Gepflegte, monotone Rasenflächen sind ebenfalls wertlos für die Tiere“, sagt die Projekt-Koordinatorin. „Ein weiteres Ziel des Projekts: Wir möchten naturnahe Grab-Anlage und -Pflege mit den ästhetischen Ansprüchen der Besucher*innen verbinden.“
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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