Singen vor 90 Jahren
Als die Nazis die Gewerkschaften zerschlugen
Singen. Auf den Tag genau 90 Jahre ist es her seit der Besetzung der Singener Büros des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) durch die Nationalsozialisten. Am 3. Mai 1933 übernahmen Trupps von SA und SS die Räume in der Ekkehardtstraße und der Gottmadinger Straße und hissten dort die Hakenkreuzfahne. Im Gewerkschaftshaus in Singen erinnerte der DGB-Kreisvorsitzende und ehemalige Geschichtslehrer Klaus Mühlherr an die Ereignisse von damals und die Ursprünge und Entwicklung des 1. Mai als Tag der Arbeit.
Schwierige Anfänge
Demnach hat der 1. Mai seine Wurzeln in den USA. Im Jahr 1886 fand an diesem Tag eine Kundgebung am Hayetmarket in Chicago statt. Gefordert wurde der Acht-Stunden-Tag. Beim anschließenden "Haymarket-Massaker" starben zwölf Menschen. Zahlreiche mehr wurden verletzt. 1890 wurde zum ersten Mal zum Internationalen Tag der Arbeit aufgerufen.
Die Mobilisierung im Deutschen Kaiserreich gestaltete sich aber schwierig, erläuterte Mühlherr. Auch wegen des "Sozialistengesetz", das sozialistische, sozialdemokratische und kommunistische Versammlungen mit Ziel einer neuen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung verbot. Dennoch habe die SPD beschlossen, den 1. Mai dauerhaft zum Tag der Arbeit zu erklären. "Doch der Erste Weltkrieg hat alles unterbunden, was sich je international entwickelt hat."
Auch in der Weimarer Republik, die nach dem Krieg auf das Kaiserreich folgte, hatte es der 1. Mai schwer. 1919 habe die Nationalversammlung den Tag zwar zum gesetzlichen Feiertag ernannt, doch habe dies nur für ein Jahr gegolten. Eine Fortführung habe der Reichstag abgelehnt.
Zweckentfremdung durch die Nazis
Ausgerechnet unter den Nationalsozialisten nahm der Tag der Arbeit wieder Fahrt auf. So fand am 1. Mai in Singen ein "Festtag der Arbeit" statt. "Es bestand Teilnahmepflicht", erklärte Mühlherr. Auch die ADGB habe damals zur Teilnahme aufgerufen. Wohl in der Hoffnung, man könnte durch Kooperation von Verboten verschont bleiben.
Die Angst war nicht unbegründet: Am 17. März wurden beispielsweise die Redaktionsräume der SPD-Zeitung Volkswille durchsucht und die Redakteure Emil Schwörer und Paul Gutmann in Schutzhaft genommen. Auch die Stadträte Walter Wilke (SPD) und Gustav Raible (KPD) wurden laut Mühlherr verhaftet und das Büro der SPD am 20. März geschlossen. Es folgten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei zahlreichen Vereinen.
Dann kam der 3. Mai. "Und keiner wurde verschont." Die ADGB-Büros wurden besetzt und geschlossen. Einen Tag später folgte die Schließung des Büros der christlichen Gewerkschaft in der Hadwigstraße. Das Eigentum der Gewerkschaften ging an die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die Gemeinschaft "Kraft durch Freude" (KdF). "Ich denke, das war eine friedlich unfriedliche Übernahme", meint Klaus Mühlherr. Er habe keine Informationen darüber gefunden, dass dagegen groß protestiert wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb der 1. Mai erhalten. 1946 wurde er per Verfügung des Alliierten Kontrollrats zum gesetzlichen Feiertag bestimmt. Ab 1951 entwickelte er sich zu einem Tag mit politischen Kundgebungen und kulturellem Programm und schwankender Teilnehmerzahlen. "Das Problem haben wir heute noch", so Mühlherr.
Autor:Tobias Lange aus Singen |
Kommentare