Bahngipfel stellt nochmals Positionen klar
Abgeordnete wollen weiter endlich Fortschritt bei der Gäubahn
Singen. Singens rasanter Aufstieg zur "Ziehmutter des Hegaus", so Landrat Ludwig Seiterich (1954 - 1968), als die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands von 1895 bis 1975, war von Anfang an engstens mit der Entwicklung der Eisenbahn und der nachfolgenden Industrialisierung des Knotenpunktes verbunden – seither hat die Stadt ein überaus wachsames Auge auf Bahn-Pläne. Besonders aufmerksam und sensibel betrachtet die Hegaumetropole deshalb – im Schulterschluss mit der Region und allen weiteren Anrainern – das aktuelle politische Geschehen rund um die Zukunft der Gäubahn, die Zürich über Singen mit der Landeshauptstadt Stuttgart verbindet.
Derzeit wird im Zuge der geplanten weiteren Umsetzung des „Stuttgart 21“-Projekts entlang der gesamten Strecke mit seinem Einzugsgebiet von 1,4 Millionen Menschen befürchtet, dabei über Jahre hinweg vom Stuttgarter Hauptbahnhof und seinen wichtigen Fernverbindungen ins In- und Ausland abgehängt zu werden – ein fatales Signal angesichts eines allseits gewünschten Umstiegs auf den öffentlichen Schienenverkehr, zudem ein Abrücken sowohl von politischen Verträgen mit der Schweiz als auch von Versprechungen vor der Volksabstimmung 2011, dass mit dem Projekt Stuttgart 21 alles besser und schneller werde, denen eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler seinerzeit auch Glauben schenkte.
Angesichts weiterhin offener, teils strittiger Fragen fand nun am Donnerstagvormittag auf bemerkenswerte Initiative aller drei Bundestagsabgeordneten unseres Wahlkreises hin– Andreas Jung (CDU), Dr. Lina Seitzl (SPD) und Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) – ein „Bahngipfele“ im städtischen Ratsaal statt, an dem politisch hochrangige Gäste und Experten vom Fach digital und in Präsenz sehr interessiert teilnahmen.
Alle MdBs unterstrichen „in hervorragender Zusammenarbeit“ (Jung) die Bedeutung sowohl unserer „wunderschönen, wirtschaftlich starken Region“ (Seitzl) mit ihren „besonderen Exzellenzen“ (Jurisch) als auch deren unverzichtbar notwendige Anbindung an die Landeshauptstadt. Im Mittelpunkt stand deshalb erneut der leidenschaftliche und dringende Appell sowohl der drei Volksvertreter, der Anliegergemeinderäte als auch von OB Bernd Häusler, die Anbindung der Gäubahn an den Stuttgarter Hauptbahnhof auch in anstehenden Bauphasen ohne Umsteigen sicherzustellen.
„Wir wollen zum Hauptbahnhof“, brachte es Frieder Staerke vom Verkehrsclub in Konstanz auf den Punkt. Veronika Netzhammer, bis 2011 regionale CDU-Landtagsabgeordnete, verwies auf die damalige Planung, eine Bahnverbindung von Italien-Schweiz-Deutschland-Polen zu schaffen, wie sie vor und nach dem 2. Weltkrieg bereits bestand – „jedoch nicht auf dem Rücken der Gäubahn-Benutzer“. Stuttgart zähle „in summa“ zum Gewinner des Milliardenprojekts, weshalb es „zumutbar“ sei, dass die Stadt zunächst „auf die Entwicklung von Teilflächen verzichte“, um eine weitere Anbindung zu ermöglichen. Wenn alleine 2,5 Mrd. Euro vom Bund für 9-Euro-Tickets zur Verfügung stünden, müsse auch genug Geld für eine Lösung vorhanden sein.
Damit traf sie einen empfindlichen Nerv beim zugeschalteten Thorsten Krenz, DB-Konzernbevollmächtigter in Baden-Württemberg. „Das Geld wächst nicht auf Bäumen“, so Krenz. Er höre und verstehe die Anliegen der Region, „aber die Stadt hat auch Rechte“, womit er wohl städteplanerische Vorhaben auf dem seitherigen Bahnhofsgelände meinte.
OB Bernd Häusler zeigte sich einerseits froh, dass der Bund nun die Realisierung des Pfaffensteigtunnels zugesagt habe, welcher die Anbindung der Gäubahn über den Fernbahnhof Flughafen an den Stuttgarter Hauptbahnhof ermöglicht – und sieht den „Mehrwert“, dass Böblingen und Singen damit im Deutschland-Takt angefahren werden können: „So weit waren wir noch nie.“ „Enttäuscht“ zeigte sich der Singener Rathauschef jedoch weiterhin über das Szenario, dass in der Interimsphase der Baumaßnahmen ab 2025 eine Kappung der Gäubahn-Anbindung für sieben bis zehn Jahre drohe – für ihn „nicht vorstellbar“. Es sei technisch wohl möglich, mittels der Panoramabahn über zwei Gleise direkt nach Stuttgart zu gelangen, dies sei weiterhin ein „Gordischer Knoten“.
Michael Theurer, aus Horb, nun FDP-Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und Schienenverkehrsbeauftragter der Bundesregierung, wies mehrfach auf aktuelle Chancen hin, die eine Gäubahn-Planung beinhalte – und auch auf „Bewegung, die in den letzten Tagen hereingekommen ist“. So bekennt sich der Bund zu einer hohen Priorität für die Strecke Stuttgart-Singen-Zürich und deren doppelspurigen Ausbau unter Verzicht auf Neigetechnik, womit ein Deutschland-Takt ermöglicht werden soll. Er wiederholte seinen Vorschlag, die Neckarbahn ab Horb über Tübingen zu nutzen, um nach Stuttgart zu gelangen.
Alle denkbaren Alternativen sollen nach dem Willen der Beteiligten – Bund, Land, Stuttgart, DB, Region – nun in einen „Faktencheck“ einmünden, um eine Lösung für die Gäubahn zu finden.
Nicht nur Jurisch hält die Beteiligung der Region dabei für unabdingbar. Auch Krenz, der die DB „zwischen den Stühlen“ verortet, sprach sich mehrfach für diesen Check aus, dem er nicht vorgreifen wolle. Er wies auf bisher Positives hin, so das Vorliegen eines Ausbauplans für die Gäubahn mit dem Ziel, den D-Takt zu realisieren. Hierzu sei jedoch die Digitalisierung der Stellwerke unabdingbar, wie verschiedene Beiträge ergaben – die Schweiz sei voll digitalisiert und könne somit Takte einhalten, auf der deutschen Seite sei dies noch bitter nötig. Dies gelte insbesondere auch für den Güterverkehr, wie Experten betonten.
Ulrich Fischer von „pro Bahn“ wies mehrfach darauf hin, dass zum Beispiel beim Ausbau von Autobahnen grundsätzlich eine Trassenführung geplant werde, die eine Verkürzung von Strecken ermögliche, während die Bahn teils immer noch auf Gleisstrecken von 1870 verkehre.
Zur generellen Anbindung des Südens gab es noch eindringliche Situationsberichte bezüglich der Schwarzwaldbahn, die laut DB-Fachmann Dirk Anders nächste Woche verbessert sein soll, und zur Bodenseegürtelbahn, die weitere lebhafte Diskussionen auslösten. Andreas Jung fasste nach gut zwei Stunden Diskussion mit Dank an alle Beteiligten zusammen: Die Umfahrung von Singen sei vom Tisch, es bleibe beim IC-Haltepunkt. Der Faktencheck sucht eine mögliche Anbindung an Stuttgart. Der Status der Schwarzwaldbahn sei offen vorgetragen worden. Bund und Land müssen die Kosten der Kommunen entlang der Gürtelbahn übernehmen, die mit über zehn Millionen Euro in Vorleistung getreten seien.
Autor:Bernhard Grunewald aus Singen |
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