Ansichten der Bürgemeister
Was die Wahl für die Kommune bedeutet

Symbolbild | Foto: Archiv

Kreis Konstanz. Nach der Bundestagswahl sind die Erwartungen an eine neue Regierung groß. Das WOCHENBLATT hat Bürgermeister aus der Region gefragt, welche Auswirkungen die Wahl ihrer Ansicht nach auf ihre eigene Stadt oder Gemeinde hat.

Bernd Häusler, Oberbürgermeister von Singen: Ein Blick in die Glaskugel habe ich nicht. Ich kann aber sagen, was ich mir von der neuen Bundesregierung erhoffe.
Zunächst einmal hoffe ich auf eine schnelle Koalitionsfindung, denn unser Land braucht dringend eine stabile Regierung - besonders in diesen auch außenpolitisch herausfordernden Zeiten.
Zwei Themen sollten dringend angegangen werden. Unsere Unternehmen benötigen konkurrenzfähige Rahmenbedingungen, die ein Wirtschaftswachstum in Deutschland ankurbeln und Arbeitsplätze in der Region sichern. In Gesprächen mit Singener Unternehmern habe ich große Sorgen gehört, wenn sich da nicht schnell was ändert.
Damit einhergehend wäre ein umfassender Bürokratieabbau in allen Bereichen notwendig. Etwa die darniederliegende Baubranche könnte so schnell wieder belebt werden. In Singen haben wir mehrere große Wohnbauprojekte, die auf Stopp gestellt wurden. Zu nennen wären etwa das Schlossquartier oder das Scheffelareal.
Auch das Thema Migration beschäftigt uns als Kommunen. Singen hat eine große Tradition, was die Integration von Menschen aus anderen Ländern angeht. Gemeinsam haben wir als Bürgergesellschaft diese Stadt und unsere lokale Wirtschaft in über 100 Jahren aufgebaut. Singen ist für viele Menschen aus dem Ausland zur Heimat geworden. Gerade auch für unsere Industrie haben die ausländischen Mitarbeitenden etwa bei der Alu Singen oder Maggi einen wichtigen Beitrag geleistet.
Aber der Zuzug von Flüchtlingen – alleine in Singen leben aktuell 2.500 Flüchtlinge - stellt uns etwa bei der Kinderbetreuung oder in den Schulen, aber auch auf dem Wohnungsmarkt vor Herausforderungen, die alle Kommunen über das Maß ihrer Leistungsfähigkeit bringen.
Die allerorten hohe Schuldenlast der Kommunen bereitet mir große Sorgen. Ein entscheidender Faktor hierbei ist die unzureichende Finanzierung von Aufgaben, die der Bund an die Kommunen delegiert. Hier muss dringend etwas geändert werden, sonst können wir als Städte und Gemeinden künftig kaum mehr als unsere Pflichtaufgaben erfüllen und haben keinen finanziellen Gestaltungsspielraum mehr.

Marcus Röwer, Bürgermeister von Volkertshausen: Möglicherweise ist es etwas früh, die Auswirkungen des Wahlausgangs für unsere Kommune zu benennen. Ich gehe aber davon aus, dass die Option auf eine Zweierkoalition erstmal ein gutes Zeichen für die Kommunen ist, weil mit einer größeren Beständigkeit und Verlässlichkeit in der Bundespolitik gerechnet werden kann. Für konkretere Aussagen ist ein Koalitionsvertrag abzuwarten.
Für unsere Kommune werden die Koalitionsvereinbarungen insbesondere zu zwei Themen bedeutend sein: Erstens: Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen: Die Einnahmen der Kommunen durch Zuweisungen und Steueranteile haben sich zuletzt nicht so umfangreich entwickelt, wie die Kosten für die von den Gemeinden zu erfüllenden Pflichtaufgaben. Das reduziert enorm die Spielräume für freiwillige Leistungen oder kommunale Gestaltungsmaßnahmen, die für eine intakte Ortsgesellschaft jedoch von großer Bedeutung sind.
Zweitens: Ehrliche Aufgaben- und Standardkritik: Vor den großen Krisen hatten wir eine lange Zeit, die von Wirtschaftswachstum und steigenden Steuereinnahmen geprägt war. In dieser Zeit wurden in vielen Lebensbereichen Ansprüche geschaffen und hohe Standards gesetzt, die in unserer heutigen Lage teilweise schier nicht mehr zu erfüllen sind. Das muss sich die Politik ehrlich ansehen und die Dinge gegebenenfalls neu sortieren. Beide benannte Themenfelder hängen unmittelbar miteinander zusammen.

Patrick Stärk, Bürgermeister von Mühlhausen-Ehingen: Zuerst einmal gratuliere ich Andreas Jung und Lina Seitzl zum Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag. Gleichzeitig bedauere ich das Ausscheiden von Ann-Veruschka Jurisch.
Was für Mühlhausen-Ehingen gilt, gilt eigentlich für alle Gemeinden im Landkreis und darüber hinaus. Wir haben erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass je nach Landkreiskommune jeder fünfte beziehungsweise gar jeder vierte Wähler den rechten Rand gewählt hat. Hier sollten – und ich habe da durchaus Hoffnung – die beiden Parteien, die nun Koalitionsgespräche aufnehmen, sich zusammenraufen und „liefern“. Spürbar liefern in den drängendsten Fragen der Wirtschafts- und Migrationspolitik, ohne dabei auch die Energie- und Umweltfragen aus dem Blick zu verlieren.
Auch wir Bürgermeister haben hier die Forderungen direkt an die bisherigen Abgeordneten formuliert und das WOCHENBLATT hatte auch darüber berichtet. In diese Richtung sollte und muss es gehen.

Selcuk Gök, Bürgermeister von Tengen: Die Auswirkungen der Bundestagswahl auf die Stadt Tengen lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau abschätzen. Das Wahlergebnis ist aus meiner Sicht nicht überraschend. Welche konkreten Folgen es für unsere Stadt und die Kommunen insgesamt haben wird, wird sich erst mit den anstehenden Koalitionsverhandlungen und dem späteren Koalitionsvertrag zeigen. Dieser wird den Bürgerinnen und Bürgern eine Orientierung geben, in welche Richtung die Politik auf Bundesebene in den nächsten vier Jahren gehen wird.
Für die Kommunen wird es im ersten Moment voraussichtlich keine gravierenden Veränderungen geben, weder positiv noch negativ. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung die Bedeutung der kommunalen Ebene anerkennt.
Ein Abbau der Bürokratie und erweiterte finanzielle Handlungsspielräume wären essenziell, um die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und Herausforderungen wie Infrastruktur, Bildung und Daseinsvorsorge zukunftsfähig zu gestalten. Ich wünsche Friedrich Merz viel Erfolg bei dieser großen Herausforderung.

Vera Schraner, Bürgermeisterin von Büsingen:
Die Erwartungen an die neue Regierung sind hoch, nicht bloß in Büsingen, sondern in ganz Europa. Wichtig ist für uns, dass es auf jeden Fall eine Veränderung gibt.
Wir brauchen Unterstützung in der Wirtschaft, wir brauchen Unterstützung beim Schritt Richtung erneuerbare Energien, wir brauchen Entbürokratisierung. Das ist das, was uns betrifft. Es gibt so viele Gesetze und Verordnungen, die wir schlicht und ergreifend nicht umsetzen können.
Zum Beispiel können Sie heute in Büsingen de facto kein Auto leasen: Wenn ich in der Schweiz ein Auto kaufe, mache ich normalerweise einen Leasingvertrag mit einem Schweizer Finanzdienstleister. Ich kriege aber keinen Vertrag, weil ich auf deutschem Boden wohne. Und wenn ich das Auto in Deutschland lease, muss ich es über den Zoll bringen. Dann muss ich es verzollen und das macht das Leasing eigentlich obsolet.
(Anmerkung der Redaktion: Die Antworten von Vera Schraner stammen von einem Interview mit dem SRF, auf das die Bürgermeisterin verwiesen hat.)

Monika Laule, Bürgermeisterin von Radolfzell: Union und SPD als mögliche "Große Koalition" führen Sondierungsgespräche zu den Knackpunkten Migration, Bürgergeld, Mindestlohn, Steuern, Renten. Die neue Bundesregierung hat viele Herausforderungen zu bewältigen, die Kommunen vor Ort direkt betreffen.
Durch zeitnahe Reformen muss das Wirtschaftswachstum in unserem Land wieder angekurbelt werden, der Bürokratieabbau ist umsetzen. Innere und äußere Sicherheit sind verlässlich zu regeln. Die Bürger erwarten einen handlungsfähigen Staat. Wir wollen auf kommunaler Ebene mitgestalten. Wir Städte stemmen den Großteil der öffentlichen Leistungen für die Bürger. Finanzierung und Gestaltungsmacht müssen stimmen.
Wir erwarten, dass die künftige Bundesregierung die Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt vereinfacht und beschleunigt. Wir erwarten, dass die neue Bundesregierung die Bildungsgerechtigkeit stärkt und für den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Welt sorgt, beginnend in den Kitas.
Das Wahlergebnis zeigt die Wichtigkeit, auf kommunaler Ebene das Vertrauen der Bürger in Politik und die Demokratie zu stärken. Dass die AfD in Radolfzell ohne Präsenz vor Ort 16,3 Prozent der Zweitstimmen erhält und drittstärkste Partei ist, motiviert uns, die gesellschaftspolitischen Herausforderungen konsequent und praxistauglich zu lösen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und verlässliche Entscheidungen zu treffen. Die hohe Wahlbeteiligung ist ein Zeichen, dass das Miteinander aller Verantwortlichen gefordert ist.

Jürgen Maas, Bürgermeister von Gaienhofen:
Das Ergebnis der Bundestagswahl zeigt bundesweit einen weiteren, erschreckenden Anstieg der Stimmen von Wählern, die wohl mit Demokratie nur noch wenig anzufangen wissen. In Gaienhofen haben wir erfreulicherweise einen der niedrigsten Anteile für demokratiefeindliche Kräfte im Landkreis. Möglicherweise gelingt es uns ja kommunal hier vor Ort ein wenig, den Menschen zu zeigen, dass Politik jenseits von Parteiideologie oder programmatischen Dogmen immer ein Ausgleich von Interessen ist. Aber auch 14 Prozent für Rechts sind 14 Prozent zu viel!
Den Regierungsauftrag haben jetzt CDU und SPD. Sie stehen nun in der Verantwortung, den Menschen neu deutlich zu machen, dass Demokratie für Zusammenhalt, eine gesunde Wirtschaftsentwicklung und eine faire Verteilung des individuellen Wohlstands ALTERNATIVlos ist und nur ALTERNATIVlos funktionieren kann. Die Verantwortlichen müssen nun endlich parteitaktische Manöver und gegenseitigen Verunglimpfungen hinter sich lassen.
Für Gaienhofen erhoffe ich mir - wie für die kommunale Ebene insgesamt -, dass eine neue Regierung erkennt, wie sehr die Menschen davon geprägt werden, was sie hier vor Ort unmittelbar erfahren und erleben. Die Kommunen müssen die notwendigen Ressourcen bekommen und nicht mit Aufgaben überfrachtet werden, die ohne eine grundlegende Föderalismusreform nicht mehr umsetzbar sind. Die Chancen dazu sehe ich, denn beide gewählten Abgeordneten aus dem Landkreis Konstanz sind intensiv mit den Herausforderungen der Kommunen vertraut.

Susen Katter, Bürgermeisterin von Stockach: Die konkreten Auswirkungen der Bundestagswahl auf unsere Stadt Stockach werden sich erst nach den Koalitionsgesprächen abzeichnen. Wir erwarten schnelle Reformen, die die regionale Wirtschaft unterstützen, ohne den Klimaschutz zu vernachlässigen. Als Kommune wünschen wir uns eine gerechtere Finanzverteilung und die Einhaltung des Grundsatzes: „Wer bestellt, der zahlt.“ Ebenso setzen wir auf Verbesserungen in der Krankenhausstrukturreform, um eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung sicherzustellen.
Trotz der hohen Wahlbeteiligung zeigte die Wahl erneut die reale Gefahr gesellschaftlicher Spaltung. Als Bürgermeisterin ist es auch meine Aufgabe, Demokratie erlebbar zu machen und das Vertrauen in die Politik zu stärken.
Mit einer Bundesregierung, die die Anliegen der Kommunen ernst nimmt, bin ich zuversichtlich, dass wir die globalen und kommunalen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam meistern werden.

Christoph Stolz, Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen: Die Menschen im Land erwarten eine verantwortungsbewusste Politik, um Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen zurückzugewinnen. Dieses ist bei den Kommunen noch mit am höchsten!
Gerade deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig und meine klare Erwartung an die voraussichtliche Bundesregierung aus CDU und SPD, dass eine kommunalfreundliche Politik gemacht wird, die uns Handlungsspielraum zurückgibt, den wir im Verlauf der letzten Jahre verloren haben – und damit meine ich ausdrücklich nicht nur die letzten drei Jahre der Ampel-Regierung.
Wir brauchen eine bedingungslose Berücksichtigung des Konnexitätsprinzips, Bürokratieabbau, Steuerung von Migration und Integration, stabile Gesundheits- und Rentensysteme. Ob all diese Dinge funktionieren, erleben die Menschen vor Ort in Ihren Kommunen. Da beide Parteien hierzu klare Haltungen und Vorhaben kommuniziert haben, werde ich die Abgeordneten unserer Region und deren Parteien auch daran messen.

Thorsten Scigliano, Bürgermeister von Mühlingen: Um die Auswirkungen abzuschätzen, ist es leider noch viel zu früh. Ich hoffe aber, dass sich die neue Bundesregierung, wenn diese sich dann gebildet hat, auch wirklich die Sorgen und Nöten des Landes angeht und nicht wieder nur sehr viel geredet und geregelt wird.
Ich von meiner Seite und mit Sicherheit viele BürgerInnen werden daran die Regierung messen, ob die versprochenen Themen auch umgesetzt werden. Ansonsten könnten schneller wieder neue Wahlen anstehen, mit unangenehmen politischen Veränderungen.
Wichtig sind jetzt Kassensturz, Pflichtaufgaben betrachten, alle anderen Themen reduzieren oder ganz einstellen. Tabuthemen offen besprechen und angehen. Leistung muss sich wieder in der Geldbörse bemerkbar machen und Nichtleistung entsprechend auf ein Minimum unterstützt werden. Das Thema Sicherheit dringend betrachten und etwas unternehmen. Immer mehr Schulden kann nicht die Lösung sein, wenn man die höchsten Steuereinnahmen hat und damit den Konsum komplett abgewürgt hat, weil die Menschen weniger Geld zur Verfügung haben.
Wieder demokratisch denken, nicht Minderheiten geben die Richtung vor, sondern Mehrheiten und alle Meinungen akzeptieren, was leider auch nicht mehr möglich ist.

Autor:

Redaktion aus Singen

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