Medizinische Versorgung
Nur etwa jeder vierte Hausarzt im Landkreis Konstanz ist jünger als 50
Landkreis Konstanz. Wer kennt die Situation nicht: volle Wartezimmer, Termine nur mit wochenlangem Vorlauf, Ärzte, die keine neuen Patienten annehmen können. Jeder hat solche Situationen selbst erlebt oder kennt Erzählungen von Verwandten und Bekannten. Das Problem mit der Ärzteversorgung ist nicht neu. Ein Blick auf in Bedarfsplanung zeigt aber, dass die Ärztesituation rein rechnerisch nicht so schlecht ist.
Denn laut Bedarfsplanung liegt die Hausarztversorgung in den Bezirken Singen und Radolfzell bei über 90 Prozent. Für Stockach und Konstanz verzeichnete die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) zuletzt sogar eine Versorgung von über 100 Prozent. Das heißt, es gibt hier mehr niedergelassene Hausärzte, als eigentlich vorgesehen. Auch bei den meisten Fachärzten – beispielsweise Augenärzte oder Kinderärzte – liegt die Versorgung deutlich über 100 Prozent.
Geht es rein um die Zahlen der Bedarfsplanung, ist die Ärzteversorgung im Landkreis Konstanz auf einem guten Stand. "In Konstanz und Stockach haben wir rein rechnerisch zurzeit eine gute hausärztliche Versorgung", sagt Gabriele Kiunke, Pressereferentin der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), auf Nachfrage des WOCHENBLATTs. Auch die fachärztliche Situation sei "rein rechnerisch noch gut bis sehr gut".
Wann sich Ärzte niederlassen können
Die Bedarfsplanung ist ein vom "Gemeinsamen Bundesausschuss" - dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands - verfasstes und regelmäßig überarbeitetes Dokument, das Vorgaben zu der Ärztezahl in einem bestimmten Gebiet macht. Diese Vorgaben werden anhand der Bevölkerungszahl berechnet.
Ist das Gebiet voll, können sich hier keine zusätzlichen Ärzte niederlassen, die gesetzlich Versicherte behandeln möchten. Die Versorgung durch Hausärzte erfolgt in sogenannten Mittelbereichen, der Kreis Konstanz ist in vier solche Bezirke eingeteilt. Der Bedarf an Fachärzten wie Augenärzte oder Kinderärzte wird für den Landkreis berechnet.
Gemeinden arbeiten an Praxismodellen
Soweit die Theorie. Dass diese aber nicht unbedingt immer die Realität wiedergibt, zeigt die Erfahrung von Bürgern, die von Schwierigkeiten bei der Ärztesuche erzählen. Beispielsweise die Gottmadingerin Elke Keller, deren Wohnort zum Mittelbereich Singen gehört. „Mein Hausarzt in Singen wird dieses Jahr aufhören“, schreibt sie in einer Stellungnahme an den Gemeinderat. „Ich hoffe, dann hier in Gottmadingen einen Hausarzt zu finden. Wie ich vernommen habe, ist es jetzt aber schon ein Problem, dass in Gottmadingen nicht genügend Hausärzte pro Einwohner tätig sind.“
Von Bürgermeister Michael Klinger gab es Verständnis, aber keine Hoffnung auf eine schnelle Lösung. „Die Hausarztversorgung treibt auch uns um“, sagte er. Das Thema sei lange Zeit verschlafen worden und sei kein „Landproblem“ mehr. Die Hochschulen kritisierte er dafür, dass es trotz der Probleme keine Veränderungen bei den Voraussetzungen für das Medizinstudium gegeben hat. "Es braucht keinen Numerus Clausus von eins Komma, um Einfühlungsvermögen zu haben."
Zusammen mit der Stadt Singen und niedergelassenen Ärzten habe Gottmadingen einen koordinierten Prozess gestartet, um Praxismodelle der Zukunft zu schaffen. „Das ist kein wahnsinnig einfacher Prozess und braucht seine Zeit“, erläuterte der Rathauschef.
Zu wenige Nachwuchsärzte
Derzeit sieht es danach aus, dass sich die Situation in Zukunft noch verschlimmern wird. Auf Anfrage des WOCHENBLATTs lieferte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg einen Überblick über die Altersstruktur der im Landkreis niedergelassenen Hausärzte. Laut KVBW-Pressereferentin Gabriele Kiunke sind von diesen Medizinern im Kreis 45 unter 50 Jahre alt. Von den übrigen gehören 44 zu den über 64-Jährigen. „Mehr als die Hälfte der Ärzte ist älter als 55 Jahre. In den kommenden Jahren werden daher viele Praxisinhaber in den Ruhestand gehen, was sich auf die ärztliche Versorgung auswirken wird.“
Viele Arztsitze könnten dann auch nicht nachbesetzt werden, da der medizinische Nachwuchs fehle. „Die Zahl der aus Altersgründen ausscheidenden Mediziner ist deutlich größer als die des ärztlichen Nachwuchses.“ Zudem bevorzuge die nachrückende Generation die Arbeit als Angestellte und in Teilzeit. "Viele junge Ärztinnen und Ärzte benötigen damit Praxisstrukturen, die sie in den Städten und Ballungsgebieten häufiger finden, was auf dem Land zum Teil zu erheblichen Nachwuchsproblemen führt - insbesondere im hausärztlichen Bereich."
Das MVZ als mögliche Lösung
Ein Praxismodell, das diesen Wünschen gerecht werden kann, sind sogenannte „Medizinische Versorgungszentren“ (MVZ). Hier sind die Ärzte nicht selbstständig, sondern angestellt und verfügen so über feste Arbeitszeiten. In den Städten und Gemeinden im Kreis Konstanz sind diese Einrichtungen bereits Thema: Erst im November 2022 hat der Gemeinderat Radolfzell den Aufbau einer solchen Einrichtung initiiert.
Wie Radolfzell die medizinische Versorgung sichern will:
„Beschlossen wurde, dass sich die Stadt mit einem gemeinschaftlichen Schreiben an den Gesundheitsverbund des Landkreises Konstanz richten wird, mit der Forderung, im Krankenhaus Radolfzell zu gegebener Zeit ein medizinisches Versorgungszentrum mit chirurgischer Notfallversorgung und Nachsorge-Versorgung auf den Weg zu bringen“, erläutert die Radolfzeller Pressesprecherin Nicole Rabanser.
Dieses „Radolfzeller Manifest“ sei im Dezember von Oberbürgermeister Simon Gröger dem Geschäftsführer des Gesundheitsverbundes Bernd Sieber mitgeteilt worden. Sollte der noch zu bestimmende Standort für den Neubau der zentralen Klinik eine wohnortnahe Versorgung für Radolfzell gewährleisten, würden er und der Radolfzeller Gemeinderat das begrüßen. Falls dies jedoch nicht der Fall sein sollte, bestehe er auf einer Lösung für Radolfzell in Form eines MVZ im heutigen Krankenhausgebäude.
In Singen verabschiedete der Gemeinderat im Juli 2022 eine „politische Willenserklärung“ für ein MVZ. In Stockach ist eines im Gesundheitshaus geplant. Hier stößt das Vorhaben aber auf den Widerstand niedergelassener Ärzte. Sie befürchten, dass das MVZ die in der Bedarfsplanung festgelegten Plätze an einem Ort konzentriert und sie so anderen Orten abzweigt.
Die Hintergründe zum MVZ in Stockach:
Für die Einrichtung eines MVZ in Gottmadingen plädierte übrigens auch Elke Heller. Sie schlug vor, dafür das ehemalige Postgebäude zu verwenden und einen Investor dafür zu suchen. "Von der Lage her ideal: Eine Apotheke, das Rathaus, den Bahnhof und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe."
Autor:Tobias Lange aus Singen |
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