Vor 80 Jahren
Gedenkfeier zum Luftangriff: Es geschah am helllichten Tag

Rudolf „Rudi“ Stier, Überlebender des Luftangriffs auf Engen-Altdorf am 23. Februar 1945, hier im Gespräch mit Engener Nachbarn vor der Gedenkstele mit dem von Kunstschmied Daniel Wolf geschaffenen Modell des alten Ortskerns. | Foto: Bernhard Grunewald
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  • Rudolf „Rudi“ Stier, Überlebender des Luftangriffs auf Engen-Altdorf am 23. Februar 1945, hier im Gespräch mit Engener Nachbarn vor der Gedenkstele mit dem von Kunstschmied Daniel Wolf geschaffenen Modell des alten Ortskerns.
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Engen. Unter großer Anteilnahme der Engener Bevölkerung wurde am Samstag, 22. Februar, zur Mittagsstunde neben der alten Linde an der Hegaustraße würdevoll der Opfer des Luftangriffs auf Engen-Altdorf am 22. Februar 1945 gedacht.

Nach Ende des Glockengeläuts und des Eingangsliedes „Ich hatt‘ einen Kameraden“, intoniert von der Stadtmusik Engen unter Leitung von Heiko Post, begrüßte Bürgermeister Frank Harsch zahlreiche Anwesende und erinnerte daran, dass der Krieg von Nazi-Deutschland ausgegangen war, wo Menschen längst der NS-Willkür preisgegeben waren. Mit der Bombardierung von Engen war nach seinen Worten „das Elend des Krieges mitten im Altdorf angekommen“ und er betonte: „Jedes einzelne Opfer darf nicht vergessen werden“.

Stadtarchivar Wolfgang Kramer erinnerte lebendig und präzise an jene gemeinsame Operation der Alliierten mit dem Namen „Clarion“ („Kriegstrompete“), bei der Tausende allierter Flugzeuge am 22. und 23. Februar 1945 noch bestehende Transportsysteme im Deutschen Reich bombardierten, um den Vormarsch ihrer Boden-Streitkräfte zu erleichtern. Vor allem sollten Eisenbahnstrecken, Brücken, Bahnhöfe, Stellwerke, Lokomotiven und Waggons zerstört werden, auch entlang der Schwarzwaldbahn. Wie Kramer berichtete, nahmen vier französische Bomber dabei auch Engen ins Visier und warfen gegen 12.40 Uhr ihre tödliche Last über der Stadt ab.

Diese traf mitten am helllichten Tag zunächst die Breite- und Boelckestraße östlich des Bahnhofs, in einem weiteren Angriff insbesondere den alten Ortskern entlang der Munding- und Schwarzwaldstraße. 31 Menschen starben, 19 davon aus Engen und zwölf Schutzsuchende aus anderen bereits bombardierten Städten - viele wurden zudem verletzt oder schwerverletzt, 100 Häuser wurden zerstört oder beschädigt. Wichtig war dem NSDAP-Kreisleiter Emil Knapp jedoch die Freimachung der frontnahen Reichsstraße 31: „Die Knochensammlung kann später erfolgen“, soll er gesagt haben.

Ortsgruppenleiter Karl Elsässer ließ zur Beerdigung der Opfer am 26. Februar 1945 die Parteiformationen antreten und zum Friedhof marschieren, wodurch die Trauerfeier zu einem Staatsakt umfunktioniert wurde. Dies löste eher Unmut unter den Trauernden aus, ebenso das NS-Verschweigen der Bombardierung und der hohen Zahl der Opfer. Der gleichgeschalteten „Bodensee-Rundschau“ war der Fliegerangriff auf Engen keine Zeile wert, lediglich Todesanzeigen im Nachgang ließen gewisse Rückschlüsse zu.

Kreishandwerker, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter wurden zur Schadensbehebung eingesetzt, welche immer wieder durch Materialmangel erschwert wurde, wie Kramer ausführte. Die Hilfsbereitschaft indes war groß: Die Geschädigten kamen bei Verwandten oder anderswo unter. Nach Kriegsende gab es mehrere Geldsammlungen, so im März 1946 von Haus zu Haus durch Mitglieder des neuen „Gemeinderatskomitees“ mit Bürgermeister Joseph König. Der Handharmonika-Verein „Höwen“ sammelte 1947 ebenso für die Fliegergeschädigten wie der Liederkranz Engen noch 1949 mit einem Konzert auf dem Marktplatz, woran Kramer ebenfalls erinnerte.

Ihm folgten Schülerinnen und Schüler des Schulverbundes Engen, welche die einzelnen Namen und das Alter der Getöteten vortrugen. Der 88-jährige Zeitzeuge Rudolf „Rudi“ Stier erinnerte dabei an den Tod der einjährigen Margot Hienerwade. Nach der Enthüllung einer Gedenk-Stele auf der Grünfläche neben der Linde durch Bürgermeister Harsch, Stadtarchiver Kramer und Rudolf Stier wurden auch für das kleine Mädchen und weitere Opfer weiße Rosen niedergelegt. Die Stele zeigt die Straßenzüge und Häuser im Altdorf, welche bombardiert wurden. Das beeindruckende Modell entstand nach Fliegeraufnahmen und Zeitzeugen-Gesprächen des Engener Künstlers Daniel Wolf in dessen Werkstatt an der Linde - und führte zu langen, intensiven Gesprächen unter den Engenern.

Autor:

Bernhard Grunewald aus Singen

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