Scharfe Worte zur Mittelstandskundgebung
Bürger wollen, dass die Politik funktioniert

Bürgermeister Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt mit dem Festredner Georg Maier, Innenminister von Thüringen, der aus Steißlingen stammt. | Foto: Fiedler
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  • Bürgermeister Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt mit dem Festredner Georg Maier, Innenminister von Thüringen, der aus Steißlingen stammt.
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Tengen. Vor einem sehr gut gefüllten Festzelt konnte am Samstagnachmittag die Mittelstandskundgebung zum Schätzelemarkt durchgeführt werden, zu der Bürgermeister Marian Schreier den Thüringer Innenminister Georg Maier eingeladen hatte. Schreier selbst mahnte die vielen Still- und Rückstände der Klima-, Mobilitäts- und Infrastrukturpolitik an, Maier sieht es auch als Sozialdemokrat als nötig an, einen „neuen Patriotismus“ zu entwickeln. Maier selbst hat seine Wurzeln in Steißlingen im Hegau, die beiden Politiker kennen sich aus dem Steinbrück-Wahlkampf, bei dem sie zusammen im Strategieteam arbeiteten. Zur Kundgebung waren auch viele Vertreter regionaler Politik ins Festzelt gekommen.

380 Helfer im und am Zelt

Dass der Schätzelemarkt wieder „zieht“ war bereits zum Bieranstich am Freitagabend deutlich geworden, bei dem so gut wie kein Platz mehr frei war und bei dem Marian Schreier mit zwei sicheren Schlägen und dem Gemeinderat im Rücken zum letzten Mal in seiner Amtszeit hier das größte Volksfest eröffnete, und er auch ausdrücklich den vielen Helfern der Stadtkapelle dankte, dieses Fest wieder möglich gemacht zu haben. 380 Personen waren hier um das Festzelt mit Auf- und Abbau wie im Service über die Markttage im Einsatz, sagte der Vorsitzende der Stadtkapelle Tengen, Alex Stihl, beim Bieranstich.

Aktuelle Themen und Krisen-Positionen im Festzelt ausgeprochen

Die Begrüßung zur Mittelstandskundgebung durch Bürgermeister Marian Schreier im ebenfalls sehr gut gefüllten Festzelt war dabei schon fast eine Kampfansage. Dass die aktuelle Politik unter Druck stehe, könne man derzeit in vielen Umfragen beobachten. Der Teil der Personen, die immer weniger Krisenkompetenz in der Politik wahrnehmen, steige immer weiter an. „Ich mache mir Sorgen über diesen Befund“, gestand Schreier in seiner Rede. Die Ergebnisse der ganzen Umfragen seien ein Auftrag an die Politik, die Dinge zu ändern.

Sommerstimmung auf dem Rummel und in den Marktgassen

Man habe eine Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung, aber schnelles Internet fehle immer noch vielerorts. Die Landesregierung wolle bezahlbares Wohnen fördern, aber diese Wohnungen fehlten immer noch in vielen Städten. Der Bund wolle 2045 klimaneutral werden, das Land fünf Jahre früher, aber Windräder und Solarpanele werden deutlich zu langsam gebaut. „Ich glaube, die Erwartung ist ein Land, das funktioniert“, so Schreier. „Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Milane zählen hilft nicht

Man habe in Deutschland nicht nur ein Umsetzungsproblem vom Bund über das Land bis zu den Kommunen. Beim Beispiel Klimaziele bemerkte Schreier, dass der Bund diese in den letzten Jahren mehrfach gerissen habe, dass die Bundesregierung nun Emissionsberechtigungen habe kaufen müssen von Bulgarien, Ungarn und Tschechien, wo man die Klimaziele sogar schon übererfüllt habe. Auf Landesebene sei versprochen worden, bis 2026 1.000 Windräder zu bauen: In 2021 seien im Land gerade mal 28 neue Windräder gebaut worden und vier abgebaut. 2022 seien es im ersten Halbjahr gerade mal fünf neue Windräder gewesen. „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann braucht es wahrscheinlich über 40 Jahre, bis diese Ziele erreicht sind“, kritisierte Schreier. Der Kreistag in Konstanz, dem er auch angehöre, habe 2019 beschlossen, ein Klimaschutzkonzept aufzustellen, es sei drei Jahre später noch immer nicht verabschiedet. Für all die Beispiele gebe es natürlich Gründe, aber auf das Ergebnis komme es am Ende an. Und: Milane zählen helfe nicht.

Schlechter als die Abwehr des VfB Stuttgart

Schreier machte in seiner Ansprache auch ein Verantwortungsproblem aus. Wirtschaftsminister Habeck habe im September die Länder kritisiert und gesagt, so wie bislang könne es beim Ausbau der erneuerbaren Energien in den Ländern nicht weitergehen, mit „Macht euren Job!“. Die Grüne Umweltministerin Bauer habe ebenfalls dieses Jahr erklärt: die Ausschreibungsverfahren des Bundes seien das Problem und die Flächenbereitstellungen in den Ländern. Und damit werde in Richtung des Bundes und der Kommunen gezeigt. „Wenn sie mich als Bürgermeister fragen, sind es für die die Vorschriften auf Landes- und Bundesebene, die das Problem sind. Sehr viele Prozesse und Verfahren sind in Deutschland schlechter geordnet als die Abwehr des VfB Stuttgart“, meinte Schreier sarkastisch. Angesichts so vieler, die sich hier als „unzuständig“ erklären, brauche es auch nicht die nächste Kommission, sondern man brauche eine ernsthafte Reform des öffentlichen Sektors unter dem Titel „Wirkung statt Zuständigkeit“. Für die BügerInnen sei nicht entscheidend, wer zuständig sei, sondern dass Busse pünktlich fahren würden, dass Schulen saniert würden, dass Windräder gebaut würden und wir überall schnelles Internet haben.

Wer kennt den Osten?

Der Thüringer Innenminister Georg Maier fragte ins Festzelt, wer denn den „Osten“ schon mal persönlich kennengelernt hat. Umfragen zum letzten Tag der Deutschen Einheit hätten immerhin ergeben, dass doch 22 Prozent der Menschen aus den „alten Bundesländern“ noch nie in den neuen Ländern gewesen seien. „Das ist eigentlich ein Unding, denn wir sollten uns gerade in schweren Zeiten besser untereinander verstehen lernen“, meinte Maier hier nicht als Steißlinger, sondern als Vertreter der „neuen Länder“. Denn jetzt gerade versuchten immer mehr Menschen das Land auseinanderzutreiben. Es müsse dafür gesorgt werden, dass mehr Gerechtigkeit herrsche. „Wir brauchen Patriotismus, und dass die Menschen zu ihrem Land stehen“, sage er auch als Sozialdemokrat.

Schätzelemarkt statt Twitter

Dafür brauche es eine Politik, die bei den Lebenswirklichkeiten der Menschen anfange. Die Politik sollte sich deshalb viel weniger um Twitter oder Facebook kümmern: „Wir brauchen mehr Schätzelemarkt“, meinte er wegen des Treffpunkts und wegen der persönlichen Begegnungen. Und es brauche auch eine neue Solidarität in den aktuellen Krisenzeiten, mit der Abschöpfung von Übergewinnen, aber auch Sonderabgaben von den ganz Reichen. Die Leidtragenden der aktuellen Krisen sind für ihn im Bereich der Wirtschaft mittelständische Unternehmen. Deshalb brauche man jetzt auch schnell ein Hilfsprogramm für den Mittelstand. Für ihn gehe es bei der aktuellen Krise darum, dass man die Demokratie verteidige, nicht nur hier, sondern auch in Europa und mit einer Unterstützung für die Ukraine. „Gedanken sind wie Regenschirme, sie funktionieren am besten, wenn sie offen sind“, schloss Maier seine Rede mit einer Beobachtung von seinem letzten Weimar-Besuch, die er auf einen Stromkasten gemalt fand.

Bürgermeister Marian Schreier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt mit dem Festredner Georg Maier, Innenminister von Thüringen, der aus Steißlingen stammt. | Foto: Fiedler
Beim letzten Bieranstich von Marian Schreier am Freitagabend im Festzelt (von rechts): die neue Festwirtin Andrea Kroschk, Marian Schreier, Arthur Welte von der Fürstenberg-Brauerei und Alex Stihl von der Stadtkapelle Tengen. Im Rücken aller der Tengener Gemeinderat. | Foto: of
Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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