75. Geburtstag im Pestalozzi-Kinderdorf
»Ohne Spenden wird's wohl nie gehen«

Kinderdorf-Geschäftsführer Bernd Löhle, Schauspielerin Marie Luise Marjan und Sozialminister Manne Luche bei einem gemeinsamen Bild am Rand des Festakts zum 75. Geburtstag des Pestalozzi-Kinderdorfs. | Foto: Fiedler
  • Kinderdorf-Geschäftsführer Bernd Löhle, Schauspielerin Marie Luise Marjan und Sozialminister Manne Luche bei einem gemeinsamen Bild am Rand des Festakts zum 75. Geburtstag des Pestalozzi-Kinderdorfs.
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Stockach-Wahlwies. Im März ging es nicht, den wirklichen 75. Geburtstag des Pestalozzi-Kinderdorfs zu feiern. Doch nun konnte ja ganz ohne Einschränkungen das Wiegenfest begangen werden, nachdem man den Besuch von Sozialminister Manne Lucha mit dem Gastspiel von Marie Luise Marjan und dem Kurpfälzischen Kammerorchester Mannheim unter einen Hut gebracht hatte, am Samstag mit einer öffentlichen Gala in der Roßberghalle.

Unter der Moderation von Thomas Warndorf gab es da manches nicht nur von Geschäftsführer Bernd Löhle zu erfahren. Über die Idee der beiden Gründer, und was der Geist des Pädagogen Pestalozzi auch heute noch bedeutet in der indivuellen Förderung junger Menschen. 3.300 Kinder und junge Menschen waren schon hier in den 75 Jahren Kinderdorf hier in Wahlwies, derzeit sind es 150 in 26 Familien. Waren es am Anfang die Kriegswaisen in einer Zeit großer Not, sind es heute eher die Kindeswohlgefährdungen, Beziehungstraumata, für die das Jugenddorf der Ort der nötigen Distanz und Neuorientierung zu mehr Selbstbestimmung und Selbstbewußtsein werden.

Die ehemalige »Mutter Beimer« aus der Lindenstraße, Marie Luise Marjan, war keineswegs aus Zufall eingeladen. Die inzwischen 82-Jährige kennt den Bodensee von Kuraufenthalten,  und auch Dirigent Georg Mais, und sie selbst ist ja bekannterweise selbst ein Waisenkind, das ganz klein zu Pflegeeltern kam, welche auch aufgrund der Kriegswirren, erst nach sieben Jahren das Mädchen adoptieren konnten. Sie habe damals die richtigen Eltern bekommen, und diese hätten alles für sie getan, blickte die noch ganz schön fitte Marie Luise Marjan zurück und hatte gleich einen klaren Appell an den Sozialminister Manne Lucha, nämlich hier schneller zu werden mit dem Adoptionsrecht, weil da Familien viel zu lange warten müssten, für die Klarheit über eine Zukunft mit einem Pflegekind bekommen könnten.

Der Minister nahm den Ball zumindest hier in der Roßberghalle mit einer Hand auf. Man sei ja gerade dabei, das Landesjugendhilfegesetz zu renovieren, einen klaren Masterplan Jugend aufzustellen. Denn angesichts der aktuellen Situation brauche es durch die Rückkehr des Kriegs nach Europa einen klaren Kompass, denn was man gerade erlebe, werde die neue Normalsituation. Lucha zollte als einer, dem als Lausbub der Gang in die Hauptschule seinerzeit nicht erspart geblieben sei, einen sehr hohen Respekt für die Arbeit des Kinderdorfs. Hier werde das afrikanische Sprichwort, dass es ein ganzes Dorf brauche, um ein Kind zu erziehen, wirklich gelebt. Das Kinderdorf habe mit seiner Größe und seiner Vielfalt eine enorme Bedeutung für den ganzen Südwesten. Geschäftsführer Bernd Löhle habe auch in Pandemiezeiten als sehr wertvoller Berater für das Land fungiert.
Stockachs Bürgermeister Rainer Stolz, der auch für die Stiftung sprach, die inzwischen wichtiges Fundament des Kinderdorfs ist, zeigte wirklich stolz, dass es zwei besondere sozialpolitische Einrichtungen in der Stadt gab, als er vor 30 Jahren sein Amt antrat: und es gibt sie mit dem Krankenhaus und dem Pestalozzi-Kinderdorf heute noch. Dieses »Dorf im Dorf« hier in Wahlwies, sei ein nicht immer einfaches Miteinander gewesen, so Stolz auch im Rückblick auf den jüngsten Gewächshausbau. Stolz verwies auch darauf, dass das Kinderdorf ohne Spenden nicht existenzfähig wäre, also immer diesen Anker in der Region brauche, der durch viele Stifter und Spender aufgebaut wurde. Das liegt an dem, was für die Betreuung an Vergütung bezahlt wird. »Ohne die Spender könnten wir im Sommer mit unseren Kindern zum Beispiel keine Ferien machen«, sagte Bernd Löhle auf Nachfrage. Und: auch für den Bau eines weiteren nötigen Familienhauses jetzt ab Herbst, müsse man die Stiftung stark in Anspruch nehmen.

Ein Jahr in einer Stunde

Für das besondere Jubiläumsgefühl sorgte dann das Kurpfälzische Kammerorchester Mannheim unter der Leitung von Georg Mais, das in der Region ja auch durch Auftritte bei den Meisterkonzerten in Stockach schon brillierte. Der Wunsch nach den ganzen vier Jahreszeiten von Vivaldi wurde hier gern erfüllt, mit einem ganz einzigartigen Konzert, dass die Anwesenheit Marie Luise Marjans nochmals erklärte: denn sie las Vivaldis »Sonette«, die das Bild der von ihrem Wettergefühlen geprägten Jahreszeiten als Beschreibungen nur noch verstärkten. Mit Angelo de Leo von den Berliner Philharmonikern wurde hier für die ja schon sehr anspruchsvollen Dauersoli an der Geige eine sehr glückliche Wahl getroffen, zumal man einerseits den Eindruck hatte, als würde der Dirigent Versuchen hier vorher verplauderte Zeit einzuholen, oder aber dass der Solist hier mit seinem Spiel die Taktung beschleunigte. Nicht nur das Tempo, auch das höchst meisterliche Spiel von De Leo und dem Orchester, das die ganze Dynamik zwischen Sonnensäuseln, Gewittersturm, der Jagd im Herbst bis zum eisigen Hauchen des Winters und dem Gang aufs Eis oder den ersten Vögeln im Frühling mit einer beeindruckenden Dynamik richtig mitreißend ausspielte, war der Frizzante dieser Gale, um in Italien zu bleiben.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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