WOCHENBLATT-Interview mit Marcos Padotzke
Nicht nur in der Kabine
Stockach/Rio (sw). Stockachs berühmte Söhne: nicht nur Hans Kuony. Nein, es gibt auch noch andere. Marcos Padotzke etwa, gebürtiger Stockacher, Weltbürger, ausgebildeter Opernsänger, Musiker und Simultandolmetscher. Der nun in Heidelberg Lebende war bei den »Paralympics« in Rio de Janeiro am Mikro, um für Verständnis in verschiedenen Sprachen zu sorgen. Ergänzend zu dem Bericht in unserer Print-Ausgabe vom Mittwoch, 21. September, hier ein Interview mit Marcos Padotzke.
WOCHENBLATT: Wie kamen Sie denn zu der Tätigkeit als Simultandolmetscher?
Marcos Padotzke. Ich war vor zwei Jahren schon bei der WM in Brasilien als Simultandolmetscher für ARD und ZDF tätig. Angebahnt hatte sich das lustigerweise bei einem Konzert der »Papis Pumpels« in Friedrichshafen, wo ich einmal an den Keyboards aushalf. Bei der Fastnachtssendung »Bütt an Bord« traf ich die Verantwortlichen vom SWR, sprach sie an, ob sie denn nicht während der WM in Brasilien einen Simultandolmetscher bräuchten. Ich war damals gerade am Ende meines Studiums in Heidelberg. Dort hatte ich meine Master im Konferenzdolmetschen gemacht. Und so kam eins zum anderen, und ich wurde während der WM für die Verdolmetschung der Live-Interviews eingesetzt.
WOCHENBLATT: Was waren denn Ihre Aufgaben?
Marcos Padotzke: Ich arbeite mit den Sprachen Deutsch, Portugiesisch und Italienisch. Als Simultandolmetscher wird man hauptsächlich bei Konferenzen eingesetzt, von mittleren bis großen Konzernen: Betriebsratssitzungen, internationale Meetings, Reden, Vorträge. Aber auch bei Werksführungen und Schulungen. Eine Konferenz zieht sich immer über den ganzen Tag, aber die Vorbereitung kann sich manchmal über mehrere Wochen ziehen, je nach Schwierigkeitsgrad. Werksführungen dauern manchmal nur zwei Stunden, aber auch da ist die Vorbereitung kompliziert. Und fürs Fernsehen muss man sich auch lang und gut vorbereiten, obwohl die Einsätze immer kurz sind. Interviews von zwei bis 30 Minuten Länge.
WOCHENBLATT: Hatten Sie schon mit bekannten Persönlichkeiten zu tun?
Marcos Padotzke: Ja, ich habe schon bekannte Persönlichkeiten verdolmetscht, bei der WM vor zwei Jahren viele Spieler der brasilianischen Nationalmannschaft, aber auch italienische Fussballspieler. Zuletzt bei den Paralympics Athleten wie Alex Zanardi oder auch den IPC Präsident Craven. Persönlich treffe ich diese Menschen jedoch nie, ich sitze ja in der Kabine.
WOCHENBLATT: Können Sie ein, zwei besondere Erlebnisse in kurzen Worten schildern?
Marcos Padotzke: Besondere Erlebnisse waren natürlich die Paralympics. Den Präsidenten des brasilianischen olympischen Komitees, Carlos Nuzman, bei Eröffnungs- und Abschlussfeier zu verdolmetschen, war ein Erlebnis. Er sprach ja im vollbesetzten Maracanã-Stadion. Da fühlt man dann schon mit, wenn in der Eröffnungsfeier fast zwei Minuten das ganze Stadion buht und pfeift, weil er die Regierung erwähnt hat.
WOCHENBLATT: Wie war die Stimmung, wie war der Stellenwert der Paralympics?
Marcos Padotzke: Die Paralympics sind hier großartig besucht worden: 2,1 Millionen Tickets, oft volle Stadien und die Menschen sind wirklich begeistert von den Athleten. Das liegt auch daran, dass die Ticketpreise erheblich gesenkt wurden. Bei Olympia waren die Eintrittspreise sehr hoch, so dass hauptsächlich Touristen in den Stadien waren.
WOCHENBLATT: Haben Sie den Eindruck, dass den Spielen von Menschen mit Behinderungen genügend Aufmerksamkeit in Medien, Öffentlichkeit und bei Besuchern in Rio gezollt wird?
Marcos Padotzke: Absolut! Die Medien haben alle umfangreich darüber berichtet, und die Einwohner Rios sind alle begeistert dabei. Man hört oft Sätze wie: »Ich möchte mit meinen Kindern zu den Wettbewerben gehen und ihnen das zeigen. Sie sollen sehen, dass man jedes Hindernis, sei es auch noch so hoch, überwinden kann, wenn man es wirklich will. Diese Menschen sind ein Beispiel dafür, wie man Grenzen überwinden kann und über sich hinauswachsen kann.«
WOCHENBLATT: Wie präsentiert sich das Land aus Ihrer Sicht?
Marcos Padotzke: Klar, politisch zerrissen. Die Leute haben keine Lust mehr auf die ganze Korruption in der Politik. Daher auch die Buhrufe gegen jeden Vertreter der Regierung. Durch die vielen Skandale in den letzten Jahren ist das Land natürlich auch wirtschaftlich in der Krise. Und natürlich gibt es riesige soziale Gegensätze in Brasilien. Aber oft wird in Europa ein sehr negatives, klischeehaftes Bild von Brasilien vermittelt. Das Land hat seine Probleme, aber es gab immer ein Auf und Ab in seiner Geschichte. Die Brasilianer lassen sich nicht unterkriegen. Mit viel positiver Einstellung, Improvisationsgabe und dem berühmten »jeitinho«: Es ist ein besonderer Charakterzug und eigentlich eine positive Eigenschaft der Brasilianer, dass es ihnen immer wieder gelingt, sich durch geschickte Tricks, Verhaltensweisen und mentaler Beweglichkeit ein Problem in eine Chance zu Verwandeln. Die Widrigkeiten des Alltags, Hindernisse, Probleme und Stolpersteine des Lebens werden so geschickt umschifft.
WOCHENBLATT: Was machen Sie nach den Paralympics beruflich? Sind Sie noch als Sänger tätig?
Marcos Padotzke: Natürlich arbeite ich noch als Musiker, als Sänger eigentlich schon seit mehreren Jahren nicht mehr. Ich bin im kommerziellen Musicalbereich tätig. Bei großen Musicals wie Cats, Phantom der Oper, Chicago, Wicked oder jetzt bei Rocky spiele ich Klavier und dirigiere.
Interview Simone Weiß
Zu Marcos Padotzke steht in unserer WOCHENBLATT-Ausgabe vom 21. September auf Seite 24 unter dem Titel »Kein Hindernis ist zu hoch« ein weiterer Bericht.
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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