WOCHENBLATT-Interview mit Nico Dmeiri von der Arbeitsagentur
Arbeit ist sein Geschäft
Stockach. Wahlwies trifft Stockach. Nico Dmeiri wurde in dem Ortsteil geboren, besuchte dort die Waldorfschule, bevor er an die Realschule der Kernstadt wechselte. Nach der Mittleren Reife folgten ein Jahr am Berufskolleg Wirtschaft I am Berufsschulzentrum vor Ort und eine Ausbildung zum Fachangestellten für Arbeitsförderung, heute Fachangestellter für Arbeitsmarktdienstleistungen. Danach durchlief er verschiedene Stationen bei der Arbeitsagentur, auch als Arbeitsvermittler und Berufsberater, und zuletzt war er als Geschäftsstellenleiter in Friedrichshafen tätig. Nun kehrt der 35-jährige Vater eines Sohnes zu seinen lokalen Wurzeln zurück: Seit 1. September ist er der neue Leiter der Arbeitsagentur im Rathaus in der Adenauerstraße in Stockach. Ein Gespräch mit ihm zu Arbeitsmarkt, Anstößen und Antrieben.
WOCHENBLATT: Von Friedrichshafen in Stockachs ländliche Ruhe. War das ein Kulturschock?
Nico Dmeiri: Es ist ein ganz anderes Arbeiten hier. Die Geschäftsstelle in Friedrichshafen war größer, dort herrschte sehr viel Trubel, und bei der Kundschaft gab es teilweise sehr herausfordernde Fallkonstellationen. Durch die großen Industriebetriebe konnten aber auch sehr viele freie Stellen angeboten werden. In Stockach ist es ruhiger, es ist ein anderer Menschenschlag, aber der ländliche Raum stellt auch andere Herausforderungen bei der Arbeitsvermittlung. Die Beschäftigungsmöglichkeiten in den kleineren Umlandgemeinden sind geringer, und der öffentliche Personennahverkehr ist nicht so gut ausgebaut.
WOCHENBLATT: Sie sind nicht nur Leiter der Geschäftsstelle Stockach, sondern auch Leiter des Reha-Teams in Konstanz. Wie sehen denn Ihre Arbeitsinhalte im Bereich des Reha-Teams aus?
Nico Dmeiri: Dieses Reha-Team ist spezialisiert auf die Arbeitsvermittlung von schwer behinderten Menschen und Rehabilitanden, die ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Hier hat es eine Umstrukturierung gegeben, denn zuvor war ein Reha-Team für alle sieben Geschäftsstellen des Bezirks der Arbeitsagentur Konstanz-Ravensburg, der von Wangen im Allgäu bis nach Singen reicht, zuständig gewesen. Dieser Bezirk war zu groß, und ein effizientes Arbeiten durch die weiten Entfernungen erschwert – darum wurde eine Aufteilung nach Landkreisen vorgenommen. Mein Team ist für den Landkreis Konstanz zuständig, und die sieben Mitarbeiter können sich in den Geschäftsstellen Konstanz, Singen und Stockach intensiver um unsere Kunden kümmern. Mein Vorgänger, der bisherige Leiter des Reha-Teams, hatte seinen Sitz in Ravensburg, und er führte die Mitarbeitenden quasi aus der räumlichen Distanz. Nach der Umstrukturierung und der Aufteilung in Landkreise arbeite ich von Konstanz aus und bin somit näher dran an der Arbeit des Teams. Uns stehen viele Mittel zur Verfügung, denn etwa 50 Prozent des Haushalts der Agentur für Arbeit fließen in den Reha-Bereich. Durch meine beiden Aufgabenbereiche als Leiter des Reha-Teams und Geschäftsstellenleiter teile ich meine Arbeitszeit zwischen Konstanz und Stockach auf, wobei ich an zwei bis drei Tagen hier vor Ort bin.
WOCHENBLATT: Welche Ziele haben Sie sich denn für Ihre Arbeit in der Geschäftsstelle der Arbeitsagentur Stockach gesteckt?
Nico Dmeiri: Oberster Grundsatz ist, Menschen durch eine gute Vermittlungsarbeit und hohe Beratungsqualität in Arbeit zu bringen. Dafür sind Qualifizierungsmaßnahmen sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Kunden unerlässlich.
WOCHENBLATT: Die Zahlen für Ihren Zuständigkeitsbereich, zu dem die Verwaltungsgemeinschaft Stockach mit den Umlandgemeinden Orsingen-Nenzingen, Bodman-Ludwigshafen, Eigeltingen, Hohenfels und Mühlingen gehört, sind doch sehr gut.
Nico Dmeiri: Mit einer Arbeitslosenquote von 3,1 (Anmerkung: 1,5 SGB III; 1,6 SGB II; Gesamt 3,1) Prozent haben wir nahezu Vollbeschäftigung. Wir haben etwa 600 Arbeitssuchende, denen ungefähr 400 freie Stellen gegenüber stehen. Das Problem ist, dass die Berufsbilder immer komplexer und die Anforderungen im Arbeitsleben immer größer werden. Geringer Qualifizierte haben es daher schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Sie springen oft von Arbeitgeber zu Arbeitgeber, weil sie nur in befristeten Arbeitsverhältnissen oder bei Zeitarbeitsfirmen unterkommen. Es ist ein Ziel, sie dauerhaft auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren.
WOCHENBLATT: In welchen Bereichen gibt es im Raum Stockach freie Stellen?
Nico Dmeiri: Vor allem im verarbeitenden Gewerbe, also im Metall- und Elektrobereich. Aber auch in der Pflege, überhaupt im Gesundheitsbereich, im Erziehungssektor und im Baubereich. Und auch im Einzelhandel werden Mitarbeiter gesucht.
WOCHENBLATT: Wie stellt sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt dar?
Nico Dmeiri: Auch hier sind die Zahlen sehr gut: Wir haben aktuell nur noch neun Bewerber auf der Suche nach einer Lehrstelle registriert, die anderen konnten alle untergebracht werden. Hier ist die Berufsberatung gefragt, und auch berufsvorbereitende Maßnahmen können helfen. Eine gute Beratung ist wichtig, da in Deutschland etwa 25 Prozent - also fast jeder vierte Jugendliche - ihre Ausbildung abbrechen.
WOCHENBLATT: Ist es schwierig, Flüchtlinge in Arbeit zu vermitteln?
Nico Dmeiri: Im Geschäftsstellenbezirk Stockach machen die Ausländer etwa 15 Prozent unter den Arbeitslosen aus, der Anteil der Flüchtlinge ist wesentlich geringer. Dreh- und Angelpunkt bei der Arbeitssuche sowohl für Ausländer als auch der Flüchtlinge ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Denn auch wer als Küchenhilfe arbeitet, benötigt deutsche Sprachkenntnisse. Aber gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel bieten die Flüchtlinge ein großes Potential. Doch ihre Betreuung ist größtenteils die Aufgabe des Jobcenters, das für anerkannte Asylbewerber zuständig ist. Die Arbeitsagentur kümmert sich während des laufenden Verfahrens um diese Menschen. Hier ist es auch wichtig, dass Erwartungshaltungen der Realität angepasst werden. Es muss klar sein, dass die Verdienstmöglichkeiten während einer Ausbildung nicht so hoch sind, diese Ausbildung aber der Schlüssel für ein höheres Einkommen ist.
WOCHENBLATT: Noch eine allgemeine Frage. 2001 wurde das Arbeitsamt in die Agentur für Arbeit umbenannt. Aber die alte Bezeichnung ist noch immer geläufiger?
Nico Dmeiri: Ja, die alte Bezeichnung wird noch immer, gelegentlich sogar in den Medien, benutzt. Aber die Reform war dennoch sinnvoll, weil wir mit der Umbenennung weg vom Ruf der angestaubten Behörde hin zum Image eines modernen Dienstleisters mit aktuellen Vermittlungsstandards gelangt sind. Es wurde viel in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter investiert, und der Blick auf unsere Kundschaft hat sich ebenfalls verändert: Wir sprechen nicht mehr von Arbeitslosen, sondern eben von Kunden – auch um den Dienstleistungscharakter stärker zu betonen.
WOCHENBLATT: Zum Schluss noch ein Ausblick auf die Zukunft. Nach fast zehn Jahren Hochkonjunktur – muss mit einem Abflachen der positiven wirtschaftlichen Entwicklung und wieder ansteigenden Arbeitslosenzahlen gerechnet werden?
Nico Dmeiri: Nein. Wenn die Entwicklung normal weiterläuft und es keine gravierenden Ereignisse wie 2008 die Bankenkrise gibt, dann sprechen alle Prognosen dafür, dass wir weiter von hohen Beschäftigungsquoten ausgehen können.
- Matthias Güntert
Autor:Redaktion aus Singen |
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