OB Möhrle hat Südwestdeutsche Kunststiftung aufgebaut
Singens steiniger Weg zur Kulturstadt
Wer Singen nicht mag, wird auch nicht mit der Stadt klarkommen. Zu leicht bleibt man bei der Widersprüchlichkeit hängen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ein weit verbreitetes Image: Hier gibt es Arbeit, später auch wachsenden Wohnraum und gute Schulen. An den Werkstoren hingen die großflächigen Schilder „Wir suchen“. Und sie kamen, die Arbeitsuchenden – und Singen wuchs, erreichte aber nie die Zahl von 50 000 Einwohnern. Aber es gibt nicht nur ein quantitatives Wachstum, Qualität ist echtes Wachstumsbedürfnis, ein Ziel auf dem Weg zur Kulturstadt. Wenn es heute ein MAC, ein Museum als private Stiftung gibt, dann ist dies ein vorläufiger Höhepunkt in der Stadtentwicklung. Konstanz fühlt sich zwar als Universitätsstadt wegen der Kultur als Oberzentrum, doch Singen hat eine Stadthalle und mit dem MAC einen strahlenden Diamanten zu bieten.
Die Kunstsammlung der Südwestdeutschen Kunststiftung knüpft an das größte Geschenk der Nachkriegszeit an, die großen Expressionisten vor der Haustür auf der Höri, die jährliche Singener Kunstausstellung in der Ekkehardschule und Oberbürgermeister mit Mut zum Bekenntnis zur Kultur. Das war eine zweischneidige Geschichte. Theopont Diez galt als „kunstsinnig“. Doch beim Mut gab es Grenzen. Die Stadt baute zwar langsam eine bedeutende Kunstsammlung auf, doch bei den Ankäufen war man eher sparsam, denn was hätte man alles damals günstig ab Leinwand kaufen können?!
Die Künstler lebten unter uns, voran Professor Curth Georg Becker, der Sohn der Stadt und Kopf der Sommerausstellung, deren Eröffnungen Glanzpunkte im Leben der Stadt waren: Und plötzlich stand man da beim Small Talk Otto Dix gegenüber! Diez selbst hatte seinen Dix daheim an der Wand hinter seiner Schreibmaschine hängen, ein sehr schönes Blatt mit persönlicher Widmung.
Ja, sie sind alle wieder da. Unter dem Dach der Südwestdeutschen Kunststiftung, die ein Ergebnis der 24jährigen Amtszeit von Friedhelm Möhrle als Oberbürgermeister ist. Möhrles Amtsantritt fiel 1969 in eine Zeit des gesellschaftspolitischen Umbruchs, was gerade die Kultur betraf. Die Höri-Maler (wobei der Sammelbegriff schon sehr mutig war und ist) starben nacheinander, die alte Singener Kunstausstellung auch. „Kunst rund um den Bodensee“ zu etablieren, war als Ausstellungsklammer nicht stark genug, obwohl der Singener „Kulturpapst“ Dr. Herbert Berner mit Bruno Effinger den nimmermüden Chef der legendären „Fähre“ in Saulgau mit ins Boot geholt hatte. Kunst war in den 80er Jahren nicht nur wegen des Bestehens der vielfach ungeliebten Singener Galerie „Kunsthäusle“ ein Politikum. Möhrle hatte gegen erheblichen politischen Widerstand dafür gesorgt, dass das Kneipentheater „Die Färbe“ in Singen stabilisiert wurde, später die „Gems“ nach Singen geholt und damit den Geist der soziokulturellen Szene unter dem Hohentwiel implantiert. Mit Dr. Alfred G. Frei als Kulturamtsleiter hat dann die Arbeiterkultur ihren Stellenwert in Singen bekommen.
Kunst im Umspannwerk wurde mit der Gruppe um Tom Leonhard zu einem weithin wahrgenommenen Lebenszeichen der Moderne aus Singen. Die Stadt öffnete sich zum Ankauf neuer regionaler Künstler, was immer zu heftigen Debatten führte, wenn Möhrle zum Beispiel großflächige Arbeiten von Marcello Mondazzi erwerben ließ. Wenn gewohnte Sichtweisen in Frage gestellt wurden, geriet manchmal die Volksseele in Aufruhr. Singen war damals eine diskussionsoffene Stadt mit einem quicklebendigen Bürgertum. Die Partnerschaft mit Pomezia richtete zudem den Blick auf Italien. Wenn ein Stück von Professor Manzu zu sehen war, erstarrten viele vor Ehrfurcht. Unvergessen ist eine Episode mit Lilo Cicero, der plötzlich im Hegau auftauchte, um hier ein Atelier und/oder eine Mahlschule aufzumachen. Würde er in Engen in den im Umbau begriffenen „Pappenheimer“ ziehen oder über die neue Commerzbank im einstigen „Bären“ in Singen? Er erhoffte sich offene Türen in der Partnerstadt unter dem Twiel. Er verschwand, wie er gekommen war. Nur einige Bilder zeugten bei Günter Litz im Hotel „Widerhold“, wo er zwischendurch gewohnt hatte.
Das alles war hochemotional. Und so beschäftigte sich auch der Aprilscherz des Singener „Schwarzwälder Boten“ damit und lud auf 15 Uhr in die „Alte Sparkasse“ zur Vernissage von Arbeiten des Pomentiner Künstlers Nihil Nemo ein. Kurz vor 15 Uhr kam Bewegung vor die Heimstätte des Kulturamts: Dr. Alfred G. Frey enthüllte eine Vitrine mit Arbeiten von Nihil Nemo und hielt eine glühende Laudatio! Gut gebrüllt, Löwe!
Und was machte Singen mit seinem wahren Kunstschatz? Das Kunstmuseum entstand im Hanse-Haus – aber mehr moderne Galerie von Zeitgenossen (Umspannwerk) als Dokument der Vergangenheit. Nach Letzterem aber rief das Bürgertum, dem die Orientierung der neuen Kulturlandschaft nicht sonderlich gefiel. Die erste Musemsleiterin Andrea Hofmann verabschiedete sich mit einem Buch über die Höri-Maler, doch die Orientierungssuche in Singen blieb. Plötzlich war wahrlich die Hölle los: Da sollte doch ein pensionierter Pfarrer dem scheidenden OB eine Kunstsammlung angeboten haben, wenn er dafür ein Haus für seinen Lebensabend gratis bekomme! Dabei war alles viel einfacher. Friedhelm Möhrle hatte schon lange darüber nachgedacht, wie Kunst in Singen langfristig zu sichern sei. Über seine Amtszeit hinaus hatte er die Südwestdeutsche Kunststiftung ins Leben gerufen, die damalige Rechtsrätin Verena Göppert hatte die juristische Grundlage dafür geschaffen. Mit Paul Gönner, dem Begründer der Hilzinger Kunstausstellung und Vorsitzende des Singener Kunstvereins, war Möhrle in der Kunstszene unterwegs, um sich auch um die Ergänzung der bestehenden Kunstsammlung zu kümmern. Daher kannten sie auch Pfarrer Ewald Förderer, der eine Heimat für seine Sammlung suchte. Und er suchte natürlich einen Altersruhesitz. Beides fand er in Singen. Als Ruheständler besetzte er die Vikarstelle in St. Josef. Und das Haus in der Asternstraße lag bei Möhrle auf dem Schreibtisch, weil er sich jene Verkäufe vorlegen ließ, die unter den üblichen Preisen lagen, um vielleicht auch Grunderwerbssteuer zu ersparen. Da nutzte der OB das städtische Vorkaufsrecht.
Partner für die Stiftung fand Möhrle in jenen Kunstfreunden, die heute Ehrenmitglieder der Kunststiftung sind. Träume platzten aber auch, so die dauerhafte Zusammenarbeit mit der Thüga, die Möhrles erste Stiftungsunterkunft auf der Musikinsel geboten hat. Umso glücklicher ist Möhrle heute über das Ergebnis. Mit Hermann Maier verbindet ihn vieles, vor allem die Liebe zur Kunst. So sieht für ihn Mäzenatentum aus. Und Singen ist doch Kulturstadt geworden!
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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