Begegnung mit Sigrun Mattes war ein Geschenk
Abschied von der „Kuh vom Land“
Sigrun Mattes war in der Fastnacht groß geworden. In der Singener Rielasinger Straße war einst ihre Heimat. Sie wusste immer, wo ihre Wurzeln waren. Stets wollte sie anderen Freude bereiten. Das galt auch für sie als Fernsehstar, als der „Kuh vom Land“. Still ist sie am 2. Januar von uns gegangen. Von Gesundheit war sie nicht immer gesegnet. Und so war ihr letzter irdischer Wohnort geradezu „logischerweise“ das Singener Krankenhaus. Sigrun musste viel leiden, vor allem litten viele Freunde mit ihr. Und dennoch rappelte sie sich immer wieder auf! Am Tag vor Heilig Abend wurde sie im Krankenhaus 74 Jahre alt. Da hatte sich gleichsam ein Lebenskreis geschlossen, denn nochmals hatte sie im Herbst mit ihrer Hegauer Mundartbühnen begeistern können. Sigrun musste man kennengelernt haben. Gemeinsame Freunde ebneten den Weg zu ihr. In den 70er Jahren verkörperte sie die neue Narrenmutter der Rattlinger unterm Rosenegg. Narrenvater an ihrer Seite war „Nordlicht“ Reinhard Bähn. Die Rüelesinger waren plötzlich im Höhenflug befindlich. Texter der legendären Elfernummer war Günther Dauth, der örtliche Zeitungskorrespondent. Und so lernten wir Sigrun kennen, längst noch keine „Kuh vom Land“, die der unvergessene „Wafrö“ später fernsehreif schrieb. Geblieben ist mir bis heute Novizin Sigrun als „Tennis-Maus“. Sie kämpfte mit Schläger und Ball – und mit den Pointen des Textes. Anmutig servierte sie im Tennis-Röckchen die verbalen Asse. Das Publikum tobte, denn die Zuschauer fanden sich in ihrem örtlichen Tennisclub-Wahn wieder!
Sigruns Auftritte waren immer nahe am Publikumstrend, ihm wurde gleichsam der Spiegel vorgehalten. Mit Sigrun war ein neuer Bühnenstar entdeckt. Der Weg in den Narrentempel nach Langenstein war relativ kurz: Mit Sigrun gab es bald die erste Alefänzin! Mit ihrer Anmut faszinierte sie die Narrenschar. Sie nutzte die Bandbreite der Themenvielfalt, lästerte sich quer durch die Männergesellschaft. Ihre Rielasinger Zeit war vorüber, nachdem ihr Bruder Erdmann Maier Opfer der eigenen Hybris geworden war. Sie erwarb Achtung durch ihren aufrechten Gang. Ihren eigenen Platz hatte sie in der Narrenszene gefunden. Im Sozialmilieu war sie längst daheim. Sie trat in Altenheimen auf, bereitete den Menschen einfach Freude! Sigrun war schlicht ihr eigenes Markenzeichen! Als die Singener Blumenzupfer Jubiläum feierten, war sie Ehrengast mit glanzvollem Auftritt! Sie gleichsam heimgekommen. Mit der Hegauer Mundartbühne hatte sie die Herzen der Uralemannen bis tief in den Schwarzwald erobert. Wenn Sigrun mit ihren Mundartjüngern zur Bühnenschau rief, kamen die Fans in Bussen aus dem Hinterland!
Nach anfänglicher Vorsicht und Zurückhaltung überschlugen sich die Medien bedingt durch die Vielzahl der Pointen: Das Publikum hatte sich durchgesetzt, die „Kunsthalle“ war zum Tempel alemannischer Mundart geworden. Sigrun musste man ins Herz geschlossen haben! Mit ihrem Ehemann Helmut war sie zur Glanzfigur von Büüre geworden! Heimatliches zierte die alte Scheuer des „Adler“. Ihr eigener Fundus zierte manches Heimatstück! Das kleine örtliche Heimatmuseum z‘ Büüre lebte von ihrem Fundus. Grandiose Erlebnisse lieferten Fototermine vorab zu Theaterstücken. Sollte das Stück in früheren Zeiten beim Friseur spielen, dann wurde die Bühnenbildwahl zur Qual, denn da standen wahrlich komplette Salons zur Auswahl!
Die Begegnungen mit Sigrun hatten stets eine besondere Qualität. Asthma quälte sie auf der Bühne und zwischen den Auftritten! Der Vorläufer des alemannischen Dorfs beim Singener Stadtfest führte uns auf der kleinen Bühne vor dem Wochenblatt zusammen. Unser Ziel war, abseits kommerzieller Szenen einen Platz für Sozialthemen und entsprechende Aktionen zu schaffen. Das war in traurigen Zeiten, als die Standgebühr zum sozialen Unmaß geworden war. Wir boten unseren Partnern Standflächen zum Nulltarif an! Organisationen wie die Selbsthilfe Körperbehinderter hatten schon teure Flächen angemietet. Wir holten sie da heraus! Dazu brauchten wir ein Zugpferd! Das konnte nur Sigrun Mattes mit ihrer Mundortbühne sein. Sie nutzten das Stadtfest längst als Auftaktwerbung für die Kunsthallen-Veranstaltungen. Und Sigrun machte mit.
Auf der Bühne stellte ich die Sozialeinrichtungen der Stadt vor. Von St. Pirmin bis zum Lioba-Heim reichten die Gesprächs-Partner. Einen Blinden und eine Rollstuhlfahrerin interviewte ich auf der Bühne. Unterdessen harrten Sigruns Fans auf der anderen Straßenseite unter dem Vordach auf ihren nächsten Auftritt. Und das bei stärker werdendem Regen! Sigrun war erkältet, wollte aber auch am Sonntagnachmittag weitermachen! Irgendwann zog ich die Notbremse und moderierte die letzte Aufführung an, weil die Bühne immer rutschiger wurde!
Sigrun mit eigener Bühne und festen Auftrittszeiten hatte jetzt für einige Jahre Tradition. Ihr Ensemble wurde immer professioneller. Hinter der Bühne entstand ein Umkleidezelt. Die Poppele-Zunft wurde Partner im alemannischen Dorf. Unvergessen ist das Rittermahl mit der Metzgerei Hertrich und die Präsentation althergebrachten Handwerks. 1993 gab es am Samstagmorgen zusammen mit dem Seefunk eine Live-Übertragung zur OB-Wahl, die ich zusammen mit dem kürzlich verstorbenen Peter Voncken zwischen Andreas Renner und Walafried Schrott moderierte.
Wo Sigrun mitmachte, pulsierte das Leben. Handicaps waren dann wie weggeblasen! Sie lebte tapfer inmitten von uns! Mit und für ihre Mundartbühne zeigte sie Statur! Sie hat Bühnentalente entdeckt und gefördert! Ihr Mutterwitz war wahrlich ansteckend. Um an ihrem 70. Geburtstag bei der Gratulationscours fotografieren zu können, musste ich mich mit dem Gehstock anschleichen. Daran musste ich mich am 23. Dezember erinnern! Begegnungen wie diese sind nicht wiederholbar. Sie bleiben ein Geschenk!
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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