Baukräne über Singen
Die Rolle der Baugenossenschaft bei der Stadtentwicklung

Die bereits 1911 gegründete „Baugenossenschaft Oberzellerhau e.G.“ (BGO) mit ihrem Zuhause in der gleichnamigen Straße. Davor ein Werk des Holzbildhauers Klaus Prior. | Foto: Bernhard Grunewald
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  • Die bereits 1911 gegründete „Baugenossenschaft Oberzellerhau e.G.“ (BGO) mit ihrem Zuhause in der gleichnamigen Straße. Davor ein Werk des Holzbildhauers Klaus Prior.
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Singen. Das Thema Wohnen gehört seit Anbeginn zur Geschichte Singens, der am schnellsten wachsenden Ortschaft in ganz Deutschland zwischen 1895 und 1975. Der Eisenbahnbau in den 1860er Jahren und die nachfolgende Industrialisierung mit den großen Unternehmen stellte die bereits 1899 zur Stadt erhobene Gemeinde vor drängende Probleme.

Ursprünglich ein beschauliches, über Jahrhunderte organisch gewachsenes Dorf, musste nun schnell neuer Wohnraum geplant und geschaffen werden, um die Wohnungsnot zu lindern und dringend benötigte Arbeitskräfte und weiteres Gewerbe ansiedeln zu können. Es waren Eisenbahner, die 1910 den „Bauverein Singen“ gründeten; der erstmalig gewählte Maggi-Arbeiterausschuss forderte bereits 1907 den Bau von Werkswohnungen.

Weitsichtig schlossen sich 1911 Maggi, Fitting und später auch die Alu zur „Gemeinnützigen Baugenossenschaft Singen“ zusammen, im Volksmund schnell „Gartenstadt“ genannt. Trotz gemeinsamer Herausforderungen der ersten Nachkriegszeit - Wohnungsnot, explodierende Bau- und Grundstückspreise, Baustopps, Unterfinanzierung, Hyperinflation und ideologischer Nazi-Abkehr von modernem Wohnungsbau - fusionierten beide Genossenschaften erst 1940, um einem „Führererlass“ zuvorzukommen.

Dessen Pläne zur Unterwerfung vieler Völker durch Krieg und Massenmord hinterließen am Ende die Scherben des „1000-jährigen Reiches“, die Trümmer der zerstörten Städte mitsamt größter Wohnungsnot sowie die Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen in die alliierten Westzonen.

Neue alte Herausforderungen

Erst 1949 endete die neunjährige Zwangs-Bauruhe der Baugenossenschaft in Singen - in der damaligen zweiten Nachkriegszeit stand die Twielstadt dann erneut vor enormen Problemen: die Zuweisung von Kriegsflüchtlingen und Vertriebenen aus den Ostgebieten in die Industriestadt Singen. Zudem der steigende Bedarf ab 1955 an ausländischen Arbeitskräften für die heimische Industrie lösten erneut eine drückende Wohnungsnot aus.

Mit der Gründung der „Baugenossenschaft Hegau eG“ 1952 durch Gründervater Emil Sräga aus Nordböhmen nahmen viele Heimatvertriebene ihr Schicksal in Singen und der Region selbst in die Hand und schufen gemeinschaftlich neuen Wohnraum. Singen erlebte in den 50er und 60er Jahren mit 1000 neuen Einwohnern pro Jahr ein buchstäblich „amerikanisches Wachstum“, welches kaum zu bewältigen war.

Die Hauptlast schulterten auch die beiden Baugenossenschaften im steten Dialog mit der Stadt. Die „Oberzellerhau“, wie die ältere seit Mitte der 50er Jahre zunehmend genannt wurde, blieb über 50 Jahre bei ihrem Prinzip einer „Vermietungsgenossenschaft mit Steuerfreiheit“, entschied sich durch eine Gesetzes- und Satzungsänderung 1992 dann neu für die Steuerpflicht, den Bau von Eigentumswohnungen und orientierte sich seither am Markt. Bis 2022 konnte so der Bestand der BGO auf insgesamt 1.541 Mietwohnungen und 18 Gewerbeobjekte vor Ort ausgebaut werden.

Die „Hegau“ schuf bis 1968 einen regionalen Bestand von 1.013 Wohnungen, welcher 2023 auf 1.995 Mietwohnungen erhöht werden konnte. Beide Genossenschaften prägen mit markanten Bauten, Sanierungen, Seniorenheimen und zukunftsorientierten Projekten seit Jahrzehnten das Stadtbild Singens und setzen immer wieder Maßstäbe im ökologisch und energetisch-optimierten Bauen. So stehen gerade - nach der bereits erfolgten Modernisierung und Aufstockung der fünf Punkthäuser in der Überlinger Straße - mit den „Überlinger Höfen“ 64 weitere „Hegau“-Wohnungen in fünf Gebäuden vor der Vollendung.

Legendär ist beiden Genossenschaften ihre lange soziale Tradition und gesellschaftliche Verpflichtung. So gab die „Hegau“ 2017 geflüchteten Menschen Wohnraum in der Romeiasstraße, verbunden mit dem Kunstprojekt ARTE ROMEIA.

Zwischenzeitlich sind allerdings auch die Baugenossenschaften zwischen die Mühlsteine steigender Baulandpreise, Baukosten, Unterhaltungskosten und Finanzierungsmöglichkeiten geraten: „Entscheidend sind vor allem die Kapitalmarktzinsen“, so Axel Nieburg, langjähriger „Hegau“-Vorstand, „aber wir können auf unsere 6,60 Euro Durchschnittsmiete pro Quadratmeter verweisen und fordern rasches Handeln des Gesetzgebers gegen die Krise im Wohnungsbau.“

Die bereits 1911 gegründete „Baugenossenschaft Oberzellerhau e.G.“ (BGO) mit ihrem Zuhause in der gleichnamigen Straße. Davor ein Werk des Holzbildhauers Klaus Prior. | Foto: Bernhard Grunewald
Ein Glanzstück städtebaulicher Reparatur war die 2021 abgeschlossene Wiederbebauung in der Romeiasstraße durch die Baugenossenschaft Hegau eG. | Foto: Bernhard Grunewald
Autor:

Bernhard Grunewald aus Singen

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